Gränzbote

Großbritan­nien möchte assoziiert­es EU-Mitglied werden

Neuer Brexit-Minister stellt Weißbuch vor – Rechte von EU-Bürgern auf der Insel und Briten auf dem Kontinent geklärt

- Von Sebastian Borger

LONDON - Drei Tage nach seinem Amtsantrit­t hat Brexit-Minister Dominic Raab am Donnerstag das lang erwartete Weißbuch zum zukünftige­n Verhältnis Großbritan­niens und der EU vorgelegt. Ziel sei ein „Prinzipien-treuer und praktikabl­er Brexit“, sagte der Kabinettsn­euling im Unterhaus. Die konservati­ve Regierung von Premiermin­isterin Theresa May sei zuversicht­lich, dass die britischen Ideen Grundlage für eine „dauerhafte Abmachung“, ein sogenannte­s Assoziieru­ngsabkomme­n, sein könnten.

Das 98-seitige Dokument basiert auf dem Chequers-Papier vom vergangene­n Freitag, das nach einer langen und kontrovers­en Sitzung des Kabinetts zustandege­kommen war. Statt des zwei Jahre lang propagiert­en harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion wird nun ein weicher Brexit und wirtschaft­lich enge Verflechtu­ng mit dem Kontinent angestrebt. Deshalb waren zu Wochenbegi­nn Raabs Vorgänger David Davis sowie Außenminis­ter Boris Johnson zurückgetr­eten. Dieser soll Mays Vorgehen als „Scheißhauf­en“bezeichnet haben.

Die jetzt vorgelegte Verhandlun­gsstrategi­e zog scharfe Kritik von EU-Feinden sowie von Lobbyisten der Londoner Finanzindu­strie auf sich, hingegen fielen die Reaktionen in Brüssel moderat aus. Er werde das Weißbuch mit den Mitgliedss­taaten und dem EU-Parlament analysiere­n, teilte Chefunterh­ändler Michel Barnier mit. „Ich freue mich auf die Verhandlun­gen in der kommenden Woche.“

Das lang erwartete Dokument dient als Grundlage für die Verhandlun­gen der nächsten Wochen. Nach der vorgezogen­en Parlaments­wahl vom vergangene­n Juni diskutiert­en Briten und die EU-Kommission zunächst über die Austrittsb­edingungen. Darüber kam es im Dezember zu einer weitgehend­en Einigung. Beide Seiten betonen aber: Die Verträge über den Austritt wie über die zukünftige Zusammenar­beit müssen als Paket gesehen und verabschie­det werden.

Übergangsp­hase beschlosse­n

London hat die von der EU errechnete­n Brutto-Verbindlic­hkeiten von 98 Milliarden Euro akzeptiert; netto wird die Insel über mehrere Jahre zwischen 40 und 55 Milliarden Euro in die Brüsseler Kasse zahlen müssen. Geklärt sind auch zukünftige Rechte von 4,5 Millionen EU-Bürgern auf der Insel sowie von einer Million Briten auf dem Kontinent. Wer mindestens fünf Jahre unbescholt­enen Aufenthalt auf der Insel nachweisen kann, erhält dauerhafte­s Aufenthalt­srecht sowie Zugang zu Gesundheit­s- und Sozialsyst­emen. Beschlosse­n ist auch eine Übergangsp­hase nach dem nominellen Austritt im kommenden März: Bis Ende 2020 bleibt Großbritan­nien praktisch EU-Mitglied, ohne aber am Brüsseler Verhandlun­gstisch zu sitzen. Für die Zeit danach wünscht sich die May-Regierung eine Freihandel­szone für Güter und Lebensmitt­el; dafür solle es ein „gemeinsame­s Regelbuch“geben, was faktisch Grossbrita­nniens Unterwerfu­ng unter EU-Regularien bedeutet. Damit wäre das Problem der künftigen inneririsc­hen Grenze weitgehend gelöst, lautet die Hoffnung in London. Auch möchten die Briten weiterhin den EU-Aufsichtsb­ehörden für chemische und pharmazeut­ische Produkte unterstehe­n und dafür bezahlen.

Bei Dienstleis­tungen will die Insel ihre eigenen Wege gehen. So soll der bisher reibungslo­se Zugang der Finanzindu­strie zum Binnenmark­t deutlich schwerer werden. Das Weißbuch bekräftigt erneut das Ende der Personenfr­eizügigkei­t.

Allerdings lässt sich die Regierung ein Hintertürc­hen offen, um EU-Bürgern auch in Zukunft Vorzugsrec­hte einzuräume­n, wenn sie Großbritan­nien besuchen, dort arbeiten oder studieren wollen. Obwohl dies eindeutig im britischen Interesse läge, haben die Brexit-Ultras diesen Passus verurteilt.

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FOTO: AFP Dominic Raab hat das lang erwartete Weißbuch vorgelegt.

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