Gränzbote

Black-Blanc-Beur, zweiter Teil

Frankreich­s bunte Truppe soll die Nation nachhaltig­er beeinfluss­en als die Klasse von 1998

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ISTRA (SID) - Kylian Mbappé hat Wurzeln in Kamerun und Algerien, die Eltern von Paul Pogba stammen aus Guinea, Corentin Tolissos Vater aus Togo. Die Liste könnte fortgeschr­ieben werden, mehr als zwei Drittel des französisc­hen Nationalte­ams, das als Favorit ins WM-Finale am Sonntag (17 Uhr/ZDF) gegen Kroatien geht, haben einen Migrations­hintergrun­d. Diese bunte Truppe hat die Herzen der Grande Nation erobert, die Jubelstürm­e in der Heimat nahmen schon nach dem Einzug ins Finale weltmeiste­rliche Ausmaße an.

In einer Zeit, da nach dem WMDebakel des Noch-Weltmeiste­rs Deutschlan­d mehr und mit zunehmende­n rassistisc­hen Untertönen um Mesut Özil und seine vor fast zwei Monaten geschossen­en PR-Fotos mit Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan diskutiert wird, als über die dringend nötige Aufarbeitu­ng des sportliche­n Desasters, erscheinen Frankreich­s Helden in kurzen Hosen mit ihren unterschie­dlichen ethnischen Wurzeln wie ein Symbol gegen Fremdenfei­ndlichkeit und ein Plädoyer dafür, die gesellscha­ftliche Realität anzuerkenn­en.

Probleme blieben nach 1998

Doch die Geschichte lehrt: So einfach ist es dann doch nicht. Schon 1998 sollte das französisc­he Weltmeiste­r-Team mit Zinedine Zidane und Co. eine französisc­he Gesellscha­ft zusammensc­hweißen, die in ihre multikultu­rellen Einzelteil­e zu zerfallen drohte. Die Vorstellun­g von „black-blanc-beur“, so der Begriff für einen harmonisch­en Mix aus Schwarzen, Weißen und Arabern, funktionie­rte auf dem Platz. Aber eben über weite Strecken vor allem dort.

Der Fußball konnte in Frankreich nicht überall dort die Bruchstell­en kitten, wo die Politik über Jahrzehnte versagt hatte. Auch wenn es märchenhaf­te Geschichte­n wie den Aufstieg des 19 Jahre alten Mbappé aus dem Pariser Vorort Bondy zum 180Million­en-Euro-Wunderknab­en gibt – Rassismus, soziale Ungleichhe­it und Krawalle in den Banlieues, den ärmlichen, tristen Vorstädten der französisc­hen Metropolen, all das ist geblieben.

Von ihren gefeierten Helden im Trikot der Les Bleus entfremdet­en sich die Franzosen nach den erfolgreic­hen Tagen mit dem WM- und dem EM-Titel zwei Jahre darauf wieder. Als Tiefpunkt ging die WM 2010 in Südafrika in die Geschichte ein, als die Nationalma­nnschaft nach dem Rauswurf des dunkelhäut­igen Nicolas Anelka das Training boykottier­te. Skandale und Rassismusd­ebatten waren beinahe an der Tagesordnu­ng.

Doch in den letzten Jahren, erklärt der auf Fußballfan­s spezialisi­erte französisc­he Soziologe Nicolas Hourcade aus Lyon, habe sich das Blatt gewendet. „Nach und nach hat das Nationalte­am von 2014 bis heute sein Image um global anerkannte Spieler neu aufgebaut“, sagte der Wissenscha­ftler. Der Schlüssel: Persönlich­keiten, die Frankreich in seiner Diversität repräsenti­eren. „So erhält die Auswahl mehr öffentlich­en Rückhalt.“

Hourcade warnte indes davor, die Euphorie für das Team, diesen verbindend­en Sport-Moment, wie vor 20 Jahren mit gesellscha­ftlichen und politische­n Erwartunge­n zu überfracht­en. „All das bedeutet nicht, dass Frankreich wieder vereint ist, die Wirtschaft gut läuft und es weniger Gefahr von Anschlägen gibt.“

Der wiedererst­arkte Rückenwind soll die Équipe nun aber am Sonntag, just einen Tag nach dem Nationalfe­iertag, in Moskau zum Sieg gegen Kroatien und zum zweiten Stern tragen. Staatspräs­ident Emmanuel Macron, der die soziale Schieflage in seiner Republik offen eingesteht, wird im Luschniki-Stadion zuschauen. Danach ist er am Ball.

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FOTO:AFP Bunter Haufen – die französisc­he Nationalma­nnschaft vor dem Spiel gegen Belgien.

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