Dem Bild ist nicht mehr zu trauen
Kunsthaus Bregenz zeigt Video- und Soundarbeiten des Belgiers David Claerbout
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BREGENZ - „Wirklichkeit ist für mich gesellschaftlich geformter Wahnsinn“, sagte David Claerbout einmal in einem Interview. Der belgische Künstler arbeitet mit Fotografie, Video, Sound und Computeranimation. Dabei verwendet er sowohl eigenes als auch gefundenes Material. Durch die Verknüpfung und oftmals Überblendung dieser Medien stellt er gängige Sehgewohnheiten infrage und kreiert neue Visionen von Wirklichkeit. Jetzt sind Videoinstallationen von ihm im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu sehen. Es ist eine Ausstellung, die die Geduld des Betrachters herausfordert. Zieht doch Claerbout das Langsame dem Schnellen, das Gründliche dem Eiligen vor.
Am Anfang staunt man nur. Träge wandert die Kameraeinstellung den gewaltigen Arkadengang entlang, eine Steinstütze folgt der anderen, immer weiter rund um das Innere des Berliner Olympiastadions. Steinerne Ödnis, Langeweile macht sich breit, denn die Runde dauert ewig, bis die Kamera wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt ist. Der Loop eignet sich zur meditativen Übung. Und doch macht sich Unbehagen breit, beruhigend wirkt nämlich die 1936 von den Nationalsozialisten erbaute Monumentalarchitektur auch in der von David Claerbouts filmisch bearbeiteten Vision nicht.
Der Künstler, der in Antwerpen und Berlin lebt, hat für sein Szenario mit dem Titel „Olympia“(2016-3016) eine aberwitzige Mischung aus ruhiger Kamerafahrt und Veränderung des Gebäudes entwickelt. Er ließ die Architektur Stein für Stein digital am Computer rekonstruieren, um sie mittels eigener Software einem realen Alterungsprozess auszusetzen. In Bregenz kann man jetzt beobachten, wie plötzlich hier und da das Unkraut sprießt. Der digitale Zerfall des Stadions über einen auf 1000 Jahre angelegten Prozess – angelehnt an Hitlers Wahnidee eines 1000-jährigen Reichs – hat aber auch etwas mit der Realität zu tun. So werden permanent reale aktuelle Wetterdaten aus Berlin in das virtuelle Stadion eingespeist.
Videoarbeiten von suggestiver Langsamkeit sind charakteristisch für das Werk des 49-jährigen Künstlers. Zeit ist bei ihm ein zentrales und stets wiederkehrendes Element, das durch Verzögerungen, Entschleunigung und der Ausdehnung von filmischem oder fotografischem Material sichtbar und wahrnehmbar wird.
Immer wieder derselbe Augenblick
Seit 1996 erkundet Claerbout die Grenzen zwischen stehendem und bewegtem Bild. Dabei werden Perspektiven und Blickpunkte gewechselt, die für den Zuschauer den Eindruck entstehen lassen, das Geschehene nacheinander zu erleben. Und dennoch findet oft nur ein einziger Augenblick statt.
„The Quiet Shore“(2011) zum Beispiel, präsentiert auf einer gigantischen Leinwand im Erdgeschoss, ist weniger ein Film als eine Abfolge von Schwarz-Weiß-Bildern. Zu sehen sind Menschen bei Ebbe an einem Strand in der Bretagne. Im Mittelpunkt steht ein Junge, der mit den Händen ins flache Wasser schlägt, so dass es um ihn herum aufspritzt. Und exakt dieser Moment wird aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt, was theoretisch ja gar nicht möglich ist. Tatsächlich handelt es sich um manipulierte Bilder, die im Studio entstanden sind. „Keines davon ist gesehen, jedes ist konstruiert“, erklärt Claerbout in Bregenz. Nichts ist demnach, wie es scheint. In digitalen Zeiten ist der Fotografie längst nicht mehr zu trauen.
Wer aufmerksam durch die Ausstellung im KUB geht, wird feststellen, dass der Künstler diese Methode in veränderter Form immer wieder anwendet. Bei „Travel“im ersten Stock wird der Betrachter auf eine Wanderung durch einen Wald mitgenommen, während im Hintergrund Entspannungsmusik läuft. Man schaut und schaut und merkt, dass hier etwas nicht stimmt. Die Landschaft wirkt seltsam künstlich.
Auch die 3D-Installation „Radio Piece“(2015), die in Hongkong spielt, stellt Wahrnehmungen infrage – und zwar nicht nur die visuellen, sondern auch die auditiven. Etwa wenn der Betrachter über Kopfhörer auf einmal Schritte hört, die aus dem Ausstellungssaal zu kommen scheinen. Mit der Folge, dass sich mancher irritiert umdreht.
Hinter jeder dieser „Parallelwelten“, wie der belgische Künstler seine Videos nennt, steckt viel Zeit, Geduld, Arbeit und ein 15-köpfiges Team. Trotzdem überlässt Claerbout wohl auch einiges dem Zufall. „Der Plan kommt hinterher, das Skript auch“, sagt er. Da werden dann auf einmal aus bewegten Bildern fotografische Kompositionen und Fotografien mit Bewegung versehen. Für KUB-Direktor Thomas D. Trummer sind diese großformatigen Projektionen nicht nur eine Reflexion über Zeit und Wahrnehmung, sondern auch „eine stille Auseinandersetzung mit Licht und Schatten, Raum und Architektur“. Man müsse nur genau hinschauen und sich Zeit nehmen – eine Herausforderung in unserem hektischen Alltag.
Bis 31. August, Öffnungszeiten täglich 10-20 Uhr, jeden Tag um 18 Uhr wird eine 15-minütige Kurzführung angeboten. Weitere Infos: www.kunsthaus-bregenz.de