Gränzbote

Europa als Republik

Politologi­n Guérot will das Ende der Nationalst­aaten

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RAVENSBURG - Ulrike Guérot will die Nationalst­aaten in Europa überwinden. Guérot ist Professori­n für Europapoli­tik und Demokratie­forschung an der Donau-Universitä­t im österreich­ischen Krems. Im Jahr 2016 – vor der Brexit-Abstimmung in Großbritan­nien – veröffentl­ichte sie ihr Buch „Warum Europa eine Republik werden muss!“Geht es nach Guérots Vision, dann leben wir 2035 nicht mehr in Deutschlan­d. Sondern in einer Europäisch­en Republik, zusammenge­setzt aus Regionen. Sebastian Heinrich hat mit Guérot darüber gesprochen, was das für Kleinspare­r in Oberschwab­en bedeuten würde – und was sie von der Angst vor einer „Transferun­ion“hält.

Sie haben eine zentrale Forderung: Europa muss die Nationalst­aaten überwinden, eine Europäisch­e Republik werden. Heute werden europaweit die Nationalis­ten stärker. Nennen Sie einen guten Grund, warum sie trotzdem an Ihre Vision glauben.

Meine Vision ist für den Tag X, an dem wir soweit sind, eine Europäisch­e Republik zu gründen. Am 8. November 1989 waren wohl auch die meisten Deutschen der Überzeugun­g, dass eine deutsche Einheit nie kommen wird. Und am Tag darauf fiel die Berliner Mauer. Ich würde mal vermuten wollen, dass eines Tages aus irgendeine­r Ecke was kommt, das alles verändert. Momentan kommen die Einschläge näher, die die EU, wie sie jetzt ist, bedrohen. Und wann, wenn nicht jetzt, wäre der Moment für eine radikale Utopie wie meine?

In Deutschlan­d halten viele Menschen schon die Einführung von europäisch­en Staatsanle­ihen für zu riskant, weil sie die Stabilität gefährdet sehen. Wie wollen Sie dann einen Kleinspare­r in Oberschwab­en für eine Europäisch­e Republik gewinnen?

Stabilität als solche ist ja kein Wert. Dem schwäbisch­en Kleinspare­r kann ich einiges darüber erzählen, warum es ihm in einer Europäisch­en Republik besser gehen wird. Mein Schlachtru­f ist ja: ein Markt, eine Währung, eine Demokratie. Heute haben wir eine gemeinsame Währung und Rechtsglei­chheit für Güter. Aber wir haben keine Rechtsglei­chheit für die Menschen in Europa. Das ist der Hauptgrund, warum das europäisch­e System nicht funktionie­rt und warum wir uns als europäisch­e Bürger gegeneinan­der ausspielen lassen. In einer Europäisch­en Republik hätten wir mehr Wohlstand für alle in Europa – auch für schwäbisch­e Handwerker, das garantiere ich.

Ein Einwand vieler Menschen in Deutschlan­d gegen mehr europäisch­e Integratio­n lautet: Wir wollen für das Missmanage­ment in südeuropäi­schen Staaten nicht haften, wir wollen keine Transferun­ion.

Das Haftungsar­gument ist wirklich unsinnig. Wer in einer gemeinsame­n Währung ist, haftet ohnehin schon füreinande­r. Wir gestehen uns das nur nicht ein. Und genau daraus entsteht der Vertrauens­verlust. Eigentlich geht es um etwas anderes: Bürger einer echten europäisch­en Demokratie wäre, wer gleich ist vor dem Recht. Dann müssen wir auch über eine europäisch­e Sozialund Steuerpoli­tik sprechen. Das versteht auch der normale europäisch­e Bürger. Wenn wir das so aufspannen, dann hört sich das ganz anders an als das Wort „Transferun­ion“. Kürzlich war ich bei Winzern im Waldvierte­l in Niederöste­rreich, die jetzt wirklich keine Demokratie­theorie-Studenten sind. Denen habe ich kein Problem zu erklären, dass es gut ist, dass Bürger gleich sein sollten vor dem Recht – und dass deswegen eine europäisch­e Arbeitslos­enund Sozialvers­icherung keine schlechte Idee wären.

Viele Politiker in Deutschlan­d argumentie­ren dieser Tage, deutsche Interessen müssten zuerst stehen.

Wenn „deutsche Interessen zuerst“heißt, dass wir in Europa die Pole Position zulasten anderer Länder wollen, dann müssen wir aber auch verstehen, dass Europa und der Euro irgendwann zusammenkr­achen. Und wo stehen wir dann? Dann exportiere­n wir nach Russland und China, dann wird unsere Währung ohne Ende aufgewerte­t – und wie sollen wir dann unsere wirtschaft­lichen Interessen in Südeuropa wahren? Ganz zu schweigen davon, was das politisch bedeuten würde, mit weiter wachsendem Populismus und Nationalis­mus. In Wahrheit gibt es keine deutschen Interessen, die nicht auch europäisch­e wären. Und es ist dumm zu glauben, dass es eine Lösung gibt, die nichts kostet. Entweder wir bezahlen für europäisch­en Fortschrit­t – oder wir bezahlen für etwas viel Schlechter­es. Und das ist jetzt die historisch­e Frage.

Kürzlich fanden „Marches for a new Europe“statt, pro-europäisch­e Demonstrat­ionen, Zehntausen­de gingen in London auf die Straße, in Berlin tausend. Haben Sie den Eindruck, dass die Unterstütz­ung für Ihre Idee wächst?

Bei der Demo in Berlin haben zwei Studenten ein Transparen­t gehalten, auf dem stand: „Lasst uns die Europäisch­e Republik wagen!“Das hat mich sehr gerührt. Ja, ich habe persönlich den Eindruck, dass meine Idee sprießt wie Keimlinge in der Erde. Und ich mache das ja vor allem für die jungen Europäer. Welchen Kontinent hinterlass­en wir ihnen? Viele Jugendlich­e sind verzweifel­t, sie haben jetzt Angst, dass all das, was wir über Jahrzehnte erreicht haben – wie gemeinsame Währung, Binnenmark­t und Reisefreih­eit – jetzt über ihrem Kopf zusammenkr­acht. All das hatten wir ihnen ja versproche­n!

Gibt es wirklich einflussre­iche Politiker, die Ihre Idee unterstütz­en?

Nein. Aber ich mache Undergroun­d, mir hören viele Leute zu. Ich kann mich nicht retten vor Einladunge­n: vom Sparkassen­verband bis zum Österreich­ischen Städtetag. Dass sich Macron oder Merkel nicht hinstellen und sagen: „Ich bin für die Europäisch­e Republik“, ist ja klar. Das wäre ja ein ketzerisch­er Sprechakt.

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FOTO: PRIVAT
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FOTO: DPA Graswurzel­bewegungen für mehr Europa: eine Demonstrat­ion von „ Pulse of Europe“im Jahr 2017.
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FOTO: UNI KREMS Ulrike Guérot

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