Gränzbote

Milliarden erobern die Stadt zurück

Neues Album ist eine Liebeserkl­ärung an Berlin

- Von Von Silke Nauschütz

BERLIN (dpa) - Ganz oben, hoch über Berlin flirrt die Luft. Es riecht nach Abgasen, Pommesbude und irgendwie auch nach Sommer. Hochhäuser, Abrissbirn­en und Baukräne, die wie Mahnmale aus den Häuserfluc­hten ragen. Neues verdeckt das Alte, Moderne steht neben Geschichte. Die Rockband Milliarden ist zum dpa-Interview aufs Dach gekommen. Hier haben die Berliner ihre Stadt im Blick, zärtlich und wütend.

„Wir wollen Wunden aufreißen, um reinzuscha­uen. Darin liegt die Sehnsucht des Ortes, an dem wir groß geworden sind“, sagt Sänger Ben Hartmann, der auch auf dem zweiten Album „Berlin“mit seiner leidenscha­ftlichen, rauen Stimme so sehr an Ton-Steine-Scherben-Sänger Rio Reiser (1950 - 1996) erinnert. „Berlin hat eine äußere und eine innere Architektu­r. Alles wird überbaut, ohne zu fragen, wer wir waren und wer wir sein wollen. Es gibt spannender­e Art und Weisen, mit der Stadt umzugehen“, findet der 31jährige Hartmann.

Von der Straße ins Herz

Mit ihrem aktuellen Album haben Milliarden das versucht. Es ist ihre Liebeserkl­ärung an eine „unruhige und sterbende Stadt“. Die Musiker verschmelz­en Postpunk und Pop mit kantigen, ehrlichen Texten, direkt von der Straße ins Herz. Einer der stärksten Songs des Albums erzählt von „Rosemarie“, die betrunken Touristen auf der Warschauer Straße erschreckt. In „Über die Kante“besingt Ben den Traum von der Freiheit, der an Investoren verhökert wird. Milliarden beschreibe­n eine Stadt, die es so in ein paar Jahren nicht mehr geben wird.

Auch auf diesem Album ergänzen sich die beiden Freunde, Keyboarder Johannes Aue und der aus dem Punk kommende Gitarrist und Sänger Hartmann, gut. „Ab und zu kommt ein Wort um die Ecke geflogen und bleibt“, beschreibt Ben die Entstehung der Texte. Sie erzählen vom „Wegwollen“und doch „Klebenblei­ben“, vom „sich fremd fühlen“und einer tiefen Verbundenh­eit mit Berlin.

Nicht nur wegen ihrer Authentizi­tät füllen Milliarden inzwischen große Konzertsäl­e und spielen auf prominente­n Festivals. Die Fans hono- rieren offenbar auch, dass Musik und Liveauftri­tte für die Band immer noch eine riesige Spielwiese sind. „Wir werden nicht profession­ell mit dem, was wir tun“, behaupten Hartmann und Aue und weisen auch gleich noch einmal auf ihre wachsende Unprofessi­onalität an den Instrument­en hin.

Fazit: Wer sein Album einfach frech „Berlin“nennt, ist entweder schlau oder naiv und uncool. Oder wie Milliarden der Stadt mit Leib und Seele verfallen.

Live: 4.10. Stuttgart, Im Wizemann; 11.10. München, Backstage.

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FOTO: J. CARSTENSEN „ Wir werden nicht profession­ell mit dem, was wir tun“, sagen Ben Hartmann ( links) und Johannes Aue von der Band Milliarden.

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