Deschamps und seine individuellen Krieger
Frankreich im Freudentaumel – Team um Superstars und Arbeiter nährt die Aussicht auf eine große Zukunft
PARIS (SID/dpa/falx) - Die begehrteste Trophäe des Weltfußballs ist zurück in der Heimat der Equipe Tricolore. Gemeinsam mit Trainer Didier Deschamps hatte Kapitän Hugo Lloris als Erster die mit Wasserfontänen empfangene Air-France-Maschine verlassen und den Roten Teppich auf dem Rollfeld des Pariser Flughafens betreten. Auf der Champs-Elysees warteten Tausende Fans in einem blau-weiß-roten Fahnenmeer auf die Weltmeister. „Der Tag des Triumphes ist endlich da“, titelte „France Football“nicht zu Unrecht nach dem 4:2 über unglaublich tapfere Kroaten. Das ganze Land war in Ekstase vereint, mancherorts entlud sich diese Energie auch in Krawallen.
„Es ist historisch“, schrieb „L'Equipe“. Wie wahr: nicht zuletzt dank einer Gemeinschaft voller Unikate, vereint durch Deschamps, für den schön spielen nicht maßgeblich ist: Er will Erfolg. Da ist der Baske, ganz pragmatisch.
Die neuen Weltmeister – denen nun der französische Verdienstorden der Ehrenlegion, die ranghöchste Auszeichnung des Landes, verliehenwerden soll – sind allesamt technisch beschlagene Ausnahmespieler. Der Wunderknabe Kylian Mbappé oder Stürmerstar Antoine Griezmann. Aber erst Deschamps hat auch Individualisten wie Paul Pogba oder Talenten wie dem Stuttgarter Benjamin Pavard beigebracht, was zu tun ist, wenn man Weltmeister werden will. Sie alle haben sich gefügt. „Wir waren eine geschlossene Mannschaft. Die Ersatzspieler waren nie genervt. Das hat dem Team sehr gut getan“, erklärte Griezmann. Ähnli- ches war vier Jahre zuvor von den deutschen Weltmeistern zu hören.
Nein, Frankreich spielte nicht berauschend, auch im Finale, gestand Deschamps, „war nicht alles richtig“. Aber, stellte er lapidar und zugleich zufrieden fest: „Frankreich ist Weltmeister, das heißt, wir haben Dinge besser gemacht als die anderen.“Les Bleus waren eine Einheit, bereit, alles für den Sieg zu tun. „Diese Spieler sind Krieger. [...] Talent macht keinen Unterschied. Wichtig ist die mentale Einstellung. Und die haben alle meine Spieler.“
Und diese zeigt sich nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz – ist es die Kombination aus Talenten (Mbappé), Lichtgestalten (Griezmann), Paradiesvögeln (Pogba) und bodenständigen Arbeitern (N'Golo Kanté), die im Zusammenspiel Großes leisten. Vor allem der emsige Kanté zeigte, was auch heute noch im verrückten Zirkus Profifußball möglich ist. Der 1,68 Meter kleine Mittelfeld-Abräumer des FC Chelsea war gar zu schüchtern, um seine Teamkollegen zu fragen, ob er den WMPokal auch mal hochhalten dürfe. Es dauerte, ehe Steven Nzonzi bemerkte, dass sich Kanté immer im Hintergrund aufhielt. Dann reagierte der Spieler des FC Sevilla, der im WMFinale für Kanté eingewechselt worden war, und gab seinem Mitspieler den Pokal. Schüchtern, aber stolz posierte Kanté für Fans und Fotografen. Bestätigung also für Chelsea-Legende John Terry, der den Franzosen vor dem Finale als „den nettesten Kerl im Fußball“bezeichnete.
Deschamps ist es zugleich gelungen, aus seiner größten Niederlage die Lehren zu ziehen. Bei der EM 2016 in Frankreich unterlag die bestens besetzte Equipe Tricolore im Endspiel Portugal (0:1 n.V.). „Es war so schmerzvoll, diese Gelegenheit, Europameister zu werden, liegengelassen zu haben. Aber vielleicht wären wir nicht Weltmeister heute. Wir haben viel daraus gelernt“, so Deschamps. Er hat in den vergangenen zwei Jahren einen Umbruch eingeleitet und ihn erstaunlich schnell abgeschlossen. „Neue Spieler sind dazugekommen, und das war sehr gut für uns. Sie haben den Wert des Teams gesteigert“, sagte Griezmann. Und das heißt nicht, dass Deschamps mit dieser Equipe Tricolore einfach unverändert weitermacht. Frankreich scheint ein schier unerschöpfliches Reservoir an Spielern zu haben. Für die internationale Konkurrenz verheißt das nichts Gutes.
„Talent macht keinen Unterschied. Wichtig ist die mentale Einstellung. Und die haben alle meine Spieler.“