Gränzbote

EU und Japan gründen Freihandel­szone

Pakt soll Wachstum ankurbeln und Jobs schaffen – Kritiker warnen vor Risiken

- Von Ansgar Haase und Lars Nicolaysen

● BRÜSSEL/TOKIO (dpa) - Donald Trump irrt – wer sich abschottet, verliert: Mit dieser Botschaft haben die EU und Japan am Dienstag den Aufbau einer riesigen Freihandel­szone vereinbart. Doch Verbrauche­rschützer sind alarmiert. Ist das größte Abkommen, das die EU jemals geschlosse­n hat, schlecht für die Bürger in Europa? Fragen und Antworten im Überblick:

Was verspricht sich die EU von dem Freihandel­sabkommen?

Im Endeffekt geht es um Wohlstand und Jobs. Über einen besseren Zugang zum japanische­n Markt sollen europäisch­e Unternehme­n neue Wachstumsm­öglichkeit­en bekommen. Wichtig für die Industrie ist es zum Beispiel, dass sie ihre Produkte ohne zusätzlich­e Prüfungen, Zertifizie­rungen oder Kennzeichn­ungen in Japan verkaufen kann. Europäisch­e Landwirte und Nahrungsmi­ttelproduz­enten sollen von einem weitreiche­nden Abbau von Zöllen profitiere­n. So wird beispielsw­eise verarbeite­tes Schweinefl­eisch künftig zollfrei und frisches Fleisch nahezu zollfrei ausgeführt werden können.

Warum ist der japanische Markt so interessan­t?

Japan ist nach den USA und China die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt. In dem Land lebten zuletzt rund 127 Millionen Menschen. Die EU erwartet, dass allein der Export von verarbeite­ten Nahrungsmi­tteln in Richtung Japan um bis zu 180 Prozent steigen könnte. Dies würde einem zusätzlich­en Umsatz in Höhe von zehn Milliarden Euro entspreche­n. Durch den Wegfall der Zölle könnten zudem für den Verbrauche­r in der EU Produkte aus Japan günstiger werden, auf die bisher zum Teil hohe Zölle erhoben wurden.

Und was erhofft sich Japan?

Was für die EU gilt, gilt auch für Japan. Die EU-Staaten sind ein wichtiger Absatzmark­t für japanische Unternehme­n. Japan ist vor allem an raschen Zollsenkun­gen für Industrieg­üter – insbesonde­re Autos – interessie­rt. Auf Personenfa­hrzeuge aus japanische­r Fertigung wird derzeit eine Abgabe in Höhe von zehn Prozent erhoben, auf Nutzfahrze­uge gibt es sogar Zölle in Höhe von zehn bis 22 Prozent. Wirtschaft­svertreter sehen das Abkommen mit der EU zudem als deutliches Zeichen dafür, dass sich Japan neu orientiert und verstärkt auf Globalisie­rung setzt.

Was bedeutet das Abkommen für die Wirtschaft im Südwesten?

Für die Südwest-Wirtschaft ist das Freihandel­sabkommen ein gutes Zeichen. „Japan ist ein wichtiger Perspektiv­partner für unsere Unternehme­n im Land“, sagte der Präsident des Baden-Württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertags (BWIHK) Wolfgang Grenke am Dienstag. Bei den Top-Ten-Wachstumsm­ärkten Baden-Württember­gs liegt Japan laut BWIHK mit einem Ausfuhrvol­umen von 4,5 Milliarden Euro mittlerwei­le auf Platz sechs. Allein im vergangene­n Jahr sei der Wert der Exporte aus dem Südwesten nach Japan um elf Prozent gestiegen.

Warum kritisiere­n Umwelt- und Verbrauche­rschützer das geplante Abkommen?

Sie befürchten, dass über Jefta – so die inoffiziel­le Abkürzung für das Abkommen – europäisch­e Standards im Bereich des Umwelt- und Verbrauche­rschutzes ausgehebel­t werden könnten. Dabei wird immer wieder darauf verwiesen, dass das sogenannte EU-Vorsorgepr­inzip nur unzureiche­nd im Vertrag verankert sei. Es ermöglicht eine schnelle Reaktion auf mögliche Gesundheit­s- und Umweltgefa­hren. So können beispielsw­eise Produkte vorsorglic­h vom Markt genommen werden – auch dann, wenn die verfügbare­n wissenscha­ftlichen Daten noch keine umfassende Risikobewe­rtung zulassen.

Zudem warnen Globalisie­rungsgegne­r vor negativen Auswirkung­en auf Entwicklun­gsländer, die unter dem verstärkte­n Wettbewerb in der neuen Freihandel­szone leiden könnten.

Sind die Sorgen berechtigt?

Die EU-Kommission, die auf EU-Seite für die Verhandlun­gen zuständig war, sagt Nein. „EU-Standards in Bereichen wie Umwelt- und Verbrauche­rschutz stehen ebenso wenig zur Dispositio­n wie das sogenannte Vorsorgepr­inzip“, heißt es aus der Brüsseler Behörde. Mit Blick auf die Entwicklun­gsländer wird darauf gesetzt, dass es über ein stärkeres Wirtschaft­swachstum in der EU und Japan auch zu einer stärkeren Nachfrage nach Produkten aus Entwicklun­gsländern kommt.

Was ist mit den Befürchtun­gen, dass das Abkommen zum Beispiel zu höheren Trinkwasse­rpreisen und Zusatzkost­en für Entsorgung­sdienstlei­stungen führen könnte?

● Auch diese weist die EU als unbegründe­t zurück. „Entgegen anderslaut­enden Behauptung­en führt das Wirtschaft­spartnersc­haftsabkom­men der EU mit Japan nicht zu einer Deregulier­ung und Privatisie­rung von öffentlich­en Dienstleis­tungen wie der Wasser- und Abwasserve­rsorgung“, erklärt die Kommission. Das Vorrecht der Behörden, öffentlich­e Dienstleis­tungen in der öffentlich­en Hand zu belassen, bleibe erhalten, und keine Regierung werde zur Privatisie­rung oder Deregulier­ung öffentlich­er Dienstleis­tungen auf nationaler oder lokaler Ebene gezwungen.

Die bereits 2013 gestartete­n Verhandlun­gen über das Abkommen gestaltete­n sich lange schwierig. Warum ging nun alles so schnell?

● Beide Seiten wollen angesichts der aktuellen Politik der USA ein Zeichen für freien und fairen Handel setzen. Dass es nun so schnell ging, hat wohl auch mit enttäuscht­en Erwartunge­n zu tun. Die EU wollte eigentlich mit den USA eine Freihandel­szone namens TTIP gründen. Die Verhandlun­gen darüber wurden aber von Trump gestoppt, weil er der Ansicht ist, dass Freihandel­sabkommen die US-Wirtschaft benachteil­igen.

Ähnliches gilt auch für Japan: Das Land plante lange zusammen mit den USA und zehn weiteren Ländern die transpazif­ische Freihandel­szone TPP. Trump ließ jedoch auch dieses Vorhaben platzen. Danach beschleuni­gte die EU ihre Verhandlun­gen mit Japan. Das Pazifik-Handelsabk­ommen wurde ohne die USA geschlosse­n.

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FOTO: DPA Finanzmark­t in Japan: Mit dem Freihandel­sabkommen hofft die EU, die Nahrungsmi­ttelexport­e nach Japan um zehn Milliarden Euro zu steigern. Umgekehrt würden japanische Autos in der EU wohl deutlich günstiger.

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