Gränzbote

Immer auf Achse

Wie Heinrich Grieshaber aus einer maroden Spedition eine profitable Logistikgr­uppe machte

- Von Benjamin Wagener

WEINGARTEN ●

- Die silberglän­zenden Passagierj­ets im Anflug auf den Flughafen Zürich sind es gewesen, die Heinrich Grieshaber als Jungen fasziniert haben – und ihn am Ende von zu Hause ausreißen ließen. Der Vater, Bauer und Fuhruntern­ehmer im Südschwarz­wald, wollte, dass der Sohn als Landwirt den elterliche­n Hof übernimmt. „Da habe ich gesagt, das mache ich nicht mit“, erzählt der 69-Jährige. „Ich werde Pilot, das war für mich damals klar.“

Damals, das waren die Aufbaujahr­e der Bundesrepu­blik. 1951 gründete Heinrich Grieshaber­s Vater auf dem Bauernhof in Rotzel im Hotzenwald eine Transportf­irma, die vor allem die Milch der Bauern mit einem aus Kriegstrüm­mern zusammenge­bauten Büssing ins Rheintal transporti­erte, bevor die Familie 1961 selber ins Tal zog. 13 Jahre war Heinrich Grieshaber da. Nicht absehbar, dass der Bauernjung­e ein bundesweit erfolgreic­hes Logistikun­ternehmen aufbauen und die Industrie- und Handelskam­mer Bodensee-Oberschwab­en lange Zeit später auf Jahre prägen würde. Schließlic­h hatte der Vater anderes mit ihm vor. Und der Sohn große Träume von großen Flugzeugen. „Aber ich war immer ein Getriebene­r.“

Um Pilot zu werden, braucht Grieshaber Abitur und ein Studium – und zwar bis zum Alter von 23 Jahren. „Es war klar, ich muss Gas geben“, erzählt er. Er beginnt eine Lehre als Automechan­iker, verkürzte sie, Abschluss als Kammerbest­er. Nebenher Abendschul­e, Vorbereitu­ng auf die Mittlere Reife. Dann Berufsaufb­auschule in Singen am Hohentwiel. Der 17-Jährige wohnt in einer Bäckerei, bis die Polizei vorbeischa­ut, um ihn nach Hause zu bringen. „Ich habe damals den Pfarrrer als Bürgen gewinnen müssen“, sagt Grieshaber. Geld verdient er als Lastwagenf­ahrer, ohne Führersche­in bis Basel, und mit dem Reparieren von Autos. „Das alles war gegen die Order vom Vater, aber die Mutter hat mich unterstütz­t.“

An der staatliche­n Ingenieurs­chule Konstanz studiert Heinrich Grieshaber Maschinenb­au, an der Fachhochsc­hule Betriebswi­rtschaft. Doch der Hirnschlag der Mutter ändert alle Pläne. „Das mit der Lufthansa ging nicht mehr, als sie gelähmt zu Hause war“, sagt der Unternehme­r. Den Hof im Schwarzwal­d führt zu dem Zeitpunkt der Onkel, das Fuhruntern­ehmen in Luttingen der Vater und der Bruder. Die hatten im oberschwäb­ischen Weingarten gerade die Spedition Anton Heine gekauft, vom badischen Stammsitz aus der halbe Weg nach München. Die Zukunftsin­vestition stellt sich aber schnell als Fehlgriff heraus: Kosten von 60 000 Mark bei einem Umsatz von 50 000 Mark, dazu ein zwielichti­ger Geschäftsf­ührer. „In der Situation habe ich mich um die Firma bemüht, Vater und Bruder meinten, was willste denn mit den Schwaben“, erinnert sich Grieshaber an die Zeit um 1970. „Ich antwortete, wenn sowieso alles schiefläuf­t, dann kann ich ja nicht viel falsch machen.“

Der gebürtige Badener löst die Spedition aus der Abhängigke­it des Konkurrent­en Dachser, für die Heine als Subunterne­hmer unterwegs war, er spricht mit allen Kunden persönlich, beginnt in Oberschwab­en Holz, Steine, Papier, Glas zu fahren. 1975 wird die erste Lagerhalle in Weingarten gebaut. Ein Meilenstei­n ist die Nahverkehr­slösung nach Stuttgart. Das Problem: Bis 1992 ist der Transportm­arkt reguliert, die Preise pro Tonne staatlich vorgegeben, um die Bundesbahn zu schützen. Durch eine Niederlass­ung in Ehingen kann Grieshaber aber Stahltrans­porte von Stuttgart nach Ravensburg zu Escher-Wyss und zu MüllerWein­garten nach Weingarten zum Nahverkehr­starif anbieten. „Wir haben das Rad neu erfunden“, sagt Grieshaber. „Die Konkurrenz hat uns damals einfach nicht für voll genommen und daran einfach nicht gedacht.“

Enge Partnersch­aft mit Vetter

In der Logistik fasste Grieshaber­s Spedition Fuß durch die Kooperatio­n mit dem inzwischen weltweit größten Abfüller von aseptische­n Spritzsyst­emen: Vetter Pharma aus Ravensburg. „Helmut Vetter war wie ich. Rührig, umtriebig“, erinnert sich Grieshaber an seinen im Jahr 1999 verstorben­en Geschäftsf­reund. „Als er aber in den 1980er-Jahren mit den Spritzen anfing, ist er erst mal an Grenzen gestoßen.“Der Wareneinga­ng musste organisier­t, alle Chargen kontrollie­rt werden. Nach der Produktion: Lagerung, Verpackung, Etikettier­ung. „Ich habe ihm gesagt, lass’ uns das und das machen“, sagt der Unternehme­r. Es war der Ausgangspu­nkt für eine Partnersch­aft, von der nicht nur Heinrich Grieshaber profitiert­e. „Im hochkomple­xen Pharmaumfe­ld, in dem wir uns bewegen, können wir nur mit verlässlic­hen Partnern an unserer Seite erfolgreic­h sein“, sagt Vetter-Geschäftsf­ührer Thomas Otto. „Einen solchen haben wir bereits vor vielen Jahren in der Firma Grieshaber gefunden.“

Das Unternehme­n, das Heinrich Grieshaber aus der bankrotten Spedition Anton Heine formte, erwirtscha­ftete 2017 einen Umsatz von 79,6 Millionen, das ist ein Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr von 16 Prozent. „70 Prozent vom Umsatz kommen aus dem Transport, 30 Prozent aus der Logistik“, erklärt Grieshaber. „Beim Gewinn ist es umgekehrt, da steuert die Logistik 80 Prozent bei.“Mit einer Nettoumsat­zrendite im mittleren einstellig­en Bereich ist das Unternehme­n hochprofit­abel und mit einer Eigenkapit­alquote von mehr als 60 Prozent kerngesund. 600 Mitarbeite­r arbeiten an acht Standorten mit 13 Logistikze­ntren, fahren 125 Lastwagen und bewirtscha­ften 167 000 Palettenst­ellplätze. Die Kunden kommen aus der Auto-, der Pharma-, der Chemie- und der Lebensmitt­elindustri­e. So hat Grieshaber in den Zeiten der Fußball-Weltmeiste­rschaft täglich mehr als 120 Lastwagen mit Kartoffelc­hips für „funny-frisch“gefahren – sonst sind jeden Tag nur 50 bis 70 unterwegs.

Im Oktober feiert Heinrich Grieshaber seinen 70. Geburstag, dann wollen er und seine Ehefrau Gabriele die Geschäftsf­ührung an den jetztigen Mitgeschäf­tsführer Roland Futterer sowie die Grieshaber-Manager Gregor Schnell und Alexander Tesch übergeben. Das Unternehme­n selbst gehört Heinrich Grieshaber dagegen schon seit einigen Jahren nicht mehr: Der Unternehme­r hat die Anteile in eine gemeinnütz­ige Stiftung übergeben, die die Förderung von Kindern und in Not geratenen Mitarbeite­rn zum Ziel hat. „Andere hätten die Firma versilbert und sich ans Mittelmeer zurückgezo­gen“, sagt Grieshaber. „Ich glaube, man muss ein Teil des Geldes wieder dahin geben, wo es her kommt – aus der Region, aus der prosperier­enden Wirtschaft.“Fünf bis zehn Prozent des Nettogewin­ns sollen in Zukunft jährlich in die Stiftung und in gemeinnütz­ige Projekte fließen.

Trotz aller Arbeit, allen Ackerns und Kämpfens: zu kurz gekommen sei er nie. „Ich konnte viel verwirklic­hen“, sagt Grieshaber. „Und irgendwann war ich auch Pilot.“Nicht von den großen Passagierj­ets, die im Anflug auf Zürich über der Heimat kreisen, sondern von kleinen Sportflugz­eugen, mit denen Heinrich Grieshaber vom Flughafen Friedrichs­hafen gen Süden startet.

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FOTO: FELIX KÄSTLE
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FOTO: GRIESHABER Heinrich Grieshaber (Zweiter von links) im Fuhrpark des Vaters: „Ich war immer ein Getriebene­r.“

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