Gränzbote

Ein Israeli baut seine Kindheit in Deutschlan­d nach

Mosche Samter erinnert sich so an die Jahre vor der NS-Zeit

- Von Sara Lemel

JOKNEAM ILLIT (dpa) - Mosche Samter sehnt sich oft nach der verlorenen Welt seiner Kindheit in Deutschlan­d. Deshalb hat der 94-jährige Israeli sie mit eigenen Händen wieder auferstehe­n lassen – in liebevoll gebauten Miniaturmo­dellen. Stolz steht Samter in dem Museum „Great Mini World“in dem Ort Jokneam Illit im Norden Israels und erklärt Besuchern seine Werke.

Die Miniaturen­sammlung zeigt eine Welt, die es längst nicht mehr gibt. Samter wurde 1923 in Sachsen in Reichenbac­h im Vogtland geboren. Ein Modell zeigt das Schuhgesch­äft, in dem sein Vater damals arbeitete. „Schuhwaren-Haus S. Hamburger“, steht auf der Fassade. Daneben auf Deutsch die Werbung: „Schwarze Woche – Jetzt schwarze Schuhe kaufen!“

Am 26. September ist Samters 95. Geburtstag. Er geht mühsam und hat einen Betreuer, doch seine Augen sind hellwach. Besonders am Herzen liegt ihm das Modell seines alten Klassenzim­mers in Reichenbac­h. „Ich war das einzige jüdische Kind in der Klasse“, erzählt der freundlich­e Mann mit den buschigen Augenbraue­n, der immer noch akzentfrei Deutsch spricht. Altmodisch­e Holzpulte und Stühle stehen in mehreren Reihen hintereina­nder. Auf den Tischen winzige Tintenfäss­er und Schreibgri­ffel. „Als schwarze Tintenfäss­er habe ich Schnürsenk­elÖsen benutzt“, sagt Samter. Über diese Idee freut er sich bis heute.

An der Wand hängt ein kleines Schwarz-Weiß-Foto, auf dem Samter mit seinen Schulkamer­aden zu sehen ist – im Jahre 1936. Dem Jahr, als die Familie aus Deutschlan­d nach Palästina fliehen musste. Damals hieß Mosche noch Herbert. Doch in seiner neuen Heimat wurde er kurzerhand umgetauft. Aus dem deutschen Namen wurde ein hebräische­r. „Der Lehrer sagte: ,Es gibt noch keinen Mosche in der Klasse, also nenne ich Dich Mosche’“, sagt er lachend.

Angst um verblieben­e Angehörige

Während des Zweiten Weltkriegs diente Samter in der britischen Armee. Er erinnert sich an den 1941 begonnenen Afrikafeld­zug des deutschen Generals Erwin Rommel. Damals habe man große Sorge gehabt, der „Wüstenfuch­s“könnte mit seinen Truppen bis Palästina vordringen. „Da wurden alle jungen jüdischen Leute aufgerufen, im englischen Militär zu dienen. Das war ja zu unseren Gunsten.“

Während des Holocaust habe seine Familie sich auch um Angehörige gesorgt. „Wir hatten Verwandte, die noch in Deutschlan­d waren, und die in Gefahr waren, teilweise auch umgekommen sind“, erzählt er. Die Schwester seines Vaters und ihre Familie seien von den Nazis ermordet worden. Trotzdem reiste er nach dem Krieg zurück und besuchte Angehörige in der damaligen DDR. „Meine letzte deutsche Verwandte lebt in einem Altersheim in Hannover“, sagt Samter.

Die Begabung und die Begeisteru­ng fürs Basteln wurde dem Vater dreier Kinder, der 27 Enkel und Urenkel hat, schon in die Wiege gelegt. „Ich bin schon vor der Schulzeit in eine Bastelstun­de gegangen“, erzählt Samter. „Da haben wir hauptsächl­ich mit Laubsäge und Sperrholz gearbeitet.“Sein ganzes Leben lang habe er gebaut, etwa Spielzeug für seine Kinder.

Doch ausreichen­d Zeit für seine aufwendige­n Miniaturwe­lten hatte Samter erst nach seiner Pensionier­ung mit 62 Jahren. Er hatte zuerst als Buchbinder gearbeitet und dann jahrzehnte­lang bei einer MercedesVe­rtretung in Haifa, wo er für die Korrespond­enz zuständig war. „Ich bin ziemlich frühzeitig in Rente gegangen“, sagt er. „Da hatte ich 40 Jahre gearbeitet – genug.“

Mehr als 30 Jahre lang hat er rund acht Modelle im Jahr gebaut. Vor zwei Jahren eröffnete der Witwer mit seinen Töchtern einen Ausstellun­gsraum in einem Büro-Hochhaus, um seine Schätze zu zeigen. „Ich helfe den Kindern“, sagt Samter verschmitz­t.

Die Motive seiner Puppenstub­en sind sehr vielfältig. Eine Kreation zeigt winzige Geigen und andere Musikinstr­umente, eine andere betende Juden in einer Synagoge.

Der stärkste kreative Motor sei jedoch Nostalgie. Der Modellbaue­r erinnert sich gern zurück an die Zeit vor der Nazi-Machtergre­ifung und der Flucht aus Deutschlan­d. „Ich hatte eine schöne Kindheit.“

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FOTO: ILIA YEFIMOVICH Der Israeli Mosche Samter bastelt sich seine Erinnerung an die Kindheit en miniature nach, zum Beispiel das Schuhaus Hamburger in seiner Heimatstad­t Reichenbac­h.

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