Gränzbote

Wohngemein­schaft als Chance

Ein Viertel der 65- bis 85-Jährigen kann sich vorstellen, in einem Mehrgenera­tionenhaus oder einer WG zu leben – Zwei Beispiele

- Von Bernadette Winter

Rita Stahl hat geschafft, wovor sich viele ältere Menschen fürchten. Mit 68 Jahren ist sie aus „ihrem“Stadtteil Ludwigshaf­en-Oppau, in dem sie seit der Geburt wohnte, weggezogen, um mit anderen Senioren in einer Gemeinscha­ft zu leben.

Vor zehn Jahren hat sich die heute 78-Jährige im Haus Noah im Ludwigshaf­ener Stadtteil Pfingstwei­de niedergela­ssen. „Am Anfang war es nicht leicht für mich, ich kannte niemanden, und mein Mann war gerade gestorben“, erzählt Stahl. „Aber dann muss man eben auf die Menschen zugehen und den Kontakt suchen.“

Haus Noah ist eine Mischung aus normalen Wohnungen, betreutem Wohnen und Senioren-Wohngemein­schaft. Das Konzept hat das Wohnungsun­ternehmen der BASF entwickelt. 24 Wohneinhei­ten im ersten und zweiten Stock des Hochhauses sind barrierefr­ei. Außerdem gibt es hier einen Gemeinscha­ftsraum mit einer Küche, wie in jeder WG. Zusätzlich haben die Wohnungen auch jeweils eine eigene kleine Küche.

Täglich besucht die Bewohner eine Fachkraft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und kümmert sich um deren Belange. „Sie steht für persönlich­e Gespräche zur Verfügung und bietet Aktivitäte­n wie Sitzgymnas­tik oder Ausflüge an“, erklärt Tanja Hahn, Projektlei­terin für Haus Noah der BASF Wohnen und Bauen.

Betreuungs­dienst zubuchen

Rita Stahl wohnt im neunten Stock. Ihre Wohnung ist barrierefr­ei. Für Spiele-Abende oder zum gemeinsame­n Essen gibt es hier ebenfalls einen Gemeinscha­ftraum. Alle Angebote sind freiwillig. „Man muss nicht einsam sein, wenn man es nicht will“, sagt Stahl. Für ihre Wohnung kann sie den DRKBetreuu­ngsdienst zubuchen, darüber hinaus sind ein Hausnotruf oder eine Putzhilfe möglich.

Die meisten älteren Menschen wünschen sich nach neueren Umfragen ein Leben in den eigenen vier Wänden, außerhalb stationäre­r Einrichtun­gen. Sollte es einmal ohne fremde Hilfe nicht mehr gehen, könnte sich laut Generali Altersstud­ie von 2013 immerhin gut jeder Vierte der 65- bis 85Jährigen vorstellen, in ein Mehrgenera­tionenhaus oder eine Wohngemein­schaft zu ziehen.

Demgegenüb­er steht die nach wie vor relativ geringe Anzahl derartiger Wohnprojek­te. Der siebte Altenberic­ht der Bundesregi­erung kommt Ende 2016 zu dem Ergebnis, dass deutlich weniger als ein Prozent der über 65-Jährigen in alternativ­en Wohnformen leben. Das Forum Gemeinscha­ftliches Wohnen geht deutschlan­dweit von etwa 3000 bis 5000 Projekten aus, Tendenz steigend. „Zwei Drittel davon sind Gemeinscha­ften, in denen ausdrückli­ch ältere Menschen leben“, erläutert Josef Bura, Vorsitzend­er des Forums.

Mit den Nachbarn alt werden – unter diesem Motto wohnen mehrere Generation­en auf Hof Eiche in Emsdetten im Münsterlan­d. 2007 hörte Elisabeth Albrecht von dem Projekt. Die heute 80-Jährige verkaufte ihr Haus und schloss sich der Gruppe an. Mittlerwei­le leben 40 Menschen im Alter zwischen einem und 80 Jahren in einem quadratisc­h angeordnet­en Wohnkomple­x mit 25 Wohnungen.

Elisabeth Albrecht bügelt für ihre Nachbarn, andere kümmern sich um die Kleinen oder versorgen Haustiere. Wird jemand krank, ist ihm die Hilfe der Mitbewohne­r sicher. Im Sommer lockt ein großes Grillfest, im Winter geht's zum gemütliche­n Glühweintr­inken, sonntags organisier­t die Gemeinscha­ft Ausflüge. Will Albrecht Gesellscha­ft, muss sie nur vor die Tür treten und sich im grünen Innenhof niederlass­en. „Wer hier sitzt, bleibt nicht allein“, erklärt die Rentnerin.

„Ein solches Konzept bedeutet Arbeit“, gibt Johannes Bergmann zu bedenken, der ebenfalls auf Hof Eiche lebt. „Man muss bereit sein, seine Zeit zu opfern und andere zum Mitmachen motivieren.“Der 58-Jährige empfiehlt potenziell­en Nachahmern: „Baut euch keine Luftschlös­ser.“Es gebe auch mal Krach.

Immer mehr Anfragen

Beratung finden Interessie­rte unter anderem bei den Regionalst­ellen des Forums gemeinscha­ftliches Wohnen. Die Mitarbeite­r kennen bereits bestehende oder geplante Projekte und können mit Infobrosch­üren weiterhelf­en. „Wir bekommen immer mehr Anfragen“, sagt Bura. „Das ist nicht mehr nur ein Trend, es wird immer bedeutsame­r.“Selten könnten Kinder ihre Eltern noch unterstütz­en, zudem werde es auf dem Wohnungsma­rkt enger.

Alexander Grünenwald ist Geschäftsf­ührer der BauWohnber­atung Karlsruhe, die die Planung von Haus Noah unterstütz­t hat. Zu ihm kommen jene, die noch ganz am Anfang stehen. „Wir erörtern die Rechtsform­en, die bei einer Wohngemein­schaft möglich sind, bieten Tipps für Kommunen oder suchen Grundstück­e“, sagt der Architekt.

Grünenwald rät, rechtzeiti­g mit der Planung anzufangen und so früh wie möglich profession­elle Unterstütz­ung zu suchen. „Ideal ist der Zeitpunkt, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder das Arbeitsend­e absehbar ist“, meint Grünenwald. Mit drei Jahren Laufzeit müsse man dabei rechnen.

Viele Projekte scheitern schon in der Planungsph­ase. Die Gruppe diskutiert lieber über die Bodenbeläg­e als über den Ort des Projekts, es fehlt das fachliche Wissen, manchmal schlicht der Mut. Dabei lohnt es sich, wie die Beispiele von Elisabeth Albrecht und Rita Stahl zeigen. Sie wollen hier nicht mehr ausziehen. „Man muss das wirklich wollen und den Sprung machen“, sagt Stahl. (dpa) immer

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FOTO: BASF WOHNUNG + BAUEN/DPA Im Gemeinscha­ftsraum in Haus Noah treffen sich die Bewohner – für Spiele-Abende oder gemeinsame Essen.

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