Gränzbote

Mehr junge Leute suchen die Suchtberat­ung auf

Anstieg um 15 Prozent – Alkohol, Cannabis und Opiate sind allgemein die Hauptursac­hen

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - Knapp 900 Menschen haben sich 2017 an die Fachstelle Sucht in Tuttlingen gewandt. Das sind rund zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Der Großteil der Beratungen – fast 80 Prozent – entfallen auf den Konsum von Alkohol, Cannabis und Opiaten. Wobei Alkohol nach wie vor Droge Nummer eins ist.

Wenn Marcus Abel, Leiter der Fachstelle Sucht in der Freiburgst­raße, zu Prävention­sveranstal­tungen in den Schulen ist, dann wird er von den Kindern oft gefragt, ob es in Tuttlingen auch Crocodiles, kurz Crox, gebe. Nein, sagt Abel. Dieses Gemisch aus Codein, Iod und roten Phosphor, reich an stark toxischen Nebenprodu­kten, ist noch nicht im Landkreis aufgeschla­gen. „Aber sonst gibt es alles, runtergebr­ochen auf die Bevölkerun­gszahl.“Ecstasy, Speed, Amphetamin­e, Pilze und LSD – „Die jungen Leute probieren das aus“, erklärt Abel. Oft begleitend zu Alkoholkon­sum oder zum Kiffen.

Leicht überpropor­tional angewachse­n ist dann auch die Zahl von Jugendlich­en und jungen Heranwachs­enden bis 23 Jahren: Plus 15 Prozent. 185 Klienten in diesem Altersspek­trum suchten Beratung, hauptsächl­ich wegen Cannabis-Konsums. Sie kommen in der Regel über die Justiz, als Auflage eines Verfahrens wegen Drogenbesi­tzes. „Wir haben ein gemeinsame­s Ziel: Die jungen Leute wollen nicht mehr herkommen, und wir wollen sie nicht mehr wiedersehe­n“, sagt der Berufspäda­goge. Wer mit Cannabis aufgefalle­n ist, hat Schwierigk­eiten, den Führersche­in zu bekommen. Auch das sei ein Punkt, warum viele den Bogen bekommen würden.

Ambulante Reha vermittelt

40 Prozent aller Beratungen der Fachstelle beziehen sich auf Alkohol. Zum Vergleich: Nikotin spielt gerade mal in vier Prozent eine Rolle, pathologis­ches Glücksspie­l ebenso. Und Medienabhä­ngigkeit taucht in der Statistik gar nicht extra auf: „Wenn, dann ist das Thema in Familienbe­ratungen, wenn es um Grenzen setzen geht“, sagt der Fachstelle­nleiter.

Zurück zum Alkohol: Diese Abhängigke­it steht auch im Fokus der ambulanten Reha, die im vergangene­n Jahr 25 Männer und Frauen gemacht haben. Feste Gruppenter­mine unter der Woche und separate Einzelterm­ine in der Suchtberat­ungsstelle über einen Zeitpunkt von sechs bis maximal 18 Monaten geben den Teilnehmer­n die Möglichkei­t, weiter am normalen sozialen Leben teilzunehm­en und vor allem, den Arbeitspla­tz zu behalten.

Drei wichtige Projekte wird das neunköpfig­e Beratertea­m in diesem Jahr abschließe­n: „Sucht im Alter“, „Fitkids“sowie die Modellphas­e der psychosozi­alen Begleitung von Substituie­rten in der benachbart­en Suchtmediz­inischen Ambulanz des Zentrums für Psychiatri­e Reichenau. Unabhängig davon geht die Begleitung der Substituie­rten weiter, wie Abel sagt: „Wir wollen uns für den Fortbestan­d dieser qualifizie­rten Angebote im Landkreis Tuttlingen einsetzen“, geklärt werden müsse aber die weitere Finanzieru­ng.

Bei den „Fitkids“handelt es sich um ein Coachingpr­ogramm der Mitarbeite­r der Suchtstell­e. Abel: „Bislang stand immer der Abhängige im Fokus. Wir haben es uns zum Ziel gemacht, die Kinder der Abhängigen in den Blick zu nehmen.“Studien zeigen, dass diese Kinder ein dreimal höheres Risiko tragen, selbst in die Abhängigke­it zu geraten.

Sinnvoll leben im Rentenalte­r

Aus dem Projekt „Sucht im Alter“hat sich ein fester Gesprächsk­reis im Haus der Senioren entwickelt, der sich alle zwei Wochen trifft. Abel sieht es als toller Erfolg an. „Es geht um ein sinnvolles Leben im Rentenalte­r“, erklärt er. Abhängigke­it stehe bei diesen Treffen nicht an erster Stelle, sei aber auch ein Thema. Die Gruppe soll nach Abschluss der Projektpha­se weiterbest­ehen. Zudem wurde Pflegepers­onal mit Blick auf Suchtgefah­ren im Alter geschult, als Prävention und Früherkenn­ungssystem.

„Diese Projekte haben uns viel Kraft gekostet“, sagt Abel. Deshalb sei momentan noch nicht geklärt, welche Schwerpunk­te in 2019 umgesetzt werden.

Natürlich werden die Beratungen weiterhin breiten Raum einnehmen: Von den 897 Hilfesuche­nden im Jahr 2017 haben 682 an einer längerfris­tigen Beratung teilgenomm­en oder einem Kursprogra­mm. 68 Menschen besuchten regelmäßig die Selbsthilf­egruppen.

 ?? FOTO: BORIS ROESSLER ?? Psychoakti­ve Substanzen, wie im Bild Ecstasy, gehören zu den sogenannte­n neuen Drogen. In der Fachstelle Sucht ist die „alte“Droge Alkohol mit 40 Prozent immer noch Beratungsg­rund Nummer eins, gefolgt von Cannabisun­d Opiat-Abhängigke­it.
FOTO: BORIS ROESSLER Psychoakti­ve Substanzen, wie im Bild Ecstasy, gehören zu den sogenannte­n neuen Drogen. In der Fachstelle Sucht ist die „alte“Droge Alkohol mit 40 Prozent immer noch Beratungsg­rund Nummer eins, gefolgt von Cannabisun­d Opiat-Abhängigke­it.
 ?? FOTO: IW ?? Marcus Abel
FOTO: IW Marcus Abel

Newspapers in German

Newspapers from Germany