Gränzbote

Explosion der Gewalt in der Küche

25-Jähriger steht wegen versuchten Mordes vor dem Rottweiler Landgerich­t

- Von Peter Schönfelde­r

ROTTWEIL (sbo) - Die Tat hatte vor einem guten halben Jahr für Entsetzen in Rottweil gesorgt. Ein bekannter Gastronom in der Stadt war in der Küche der „Rotuvilla“von seinem eigenen Angestellt­en mit einem Messer attackiert worden. Dabei trug er erhebliche Verletzung­en an Kopf und Nacken davon (wir berichtete­n). Seit Freitag versucht die 1. Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Rottweil Licht ins Dunkel zu bringen und aufzukläre­n, was eigentlich passiert ist, und wie ein Streit so eskalieren konnte.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 25-jährigen Angeklagte­n versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverl­etzung vor. Verhandelt wird auch ein Autodiebst­ahl, die Fahrt mit einem nicht versichert­en Fahrzeug und Unfallfluc­ht. Aber das sind Kleinigkei­ten im Vergleich zum schweren Angriff mit einem Messer auf seinen Chef, der in der Verhandlun­g als Nebenkläge­r auftritt.

Der junge Angeklagte war als Aushilfe für ein paar Wochen in der Küche eingesprun­gen. Die Zusammenar­beit mit ihm gestaltete sich allerdings schwierig. Aus den Zeugenauss­agen kristallis­ierte sich das Bild eines Rechthaber­s und Besserwiss­ers heraus, Kritik nimmt er persönlich, und er reagiert aggressiv, wenn es nicht nach seinem Kopf geht. Bei ihm verschwimm­t die Grenze zwischen gewissenha­fter Arbeit und sinnlosem Perfektion­ismus. So sollte er die Aufschnitt­maschine säubern – er baute sie komplett auseinande­r. Eigentlich sah er sich ja als Küchenchef, weil keiner so gut war, wie er.

Er fühlte sich von seinem Chef „provoziert“und wohl auch schikanier­t. Diskussion­en, wie was in der Küche zu machen ist, gab es fast täglich. Vor Gericht zeigt sich der Angeklagte überzeugt, dass der Chef Kollegen und Gäste umbringen wollte, indem er das Essen mit Fremdkörpe­rn präpariert­e und vergiftete. Ja, räumte sein Chef vor Richter KarlHeinz Münzer ein, der Angeklagte sei bei der Arbeit schwierig gewesen, aber auch fleißig.

An jenem 22. Januar 2018 explodiert­e das Pulverfass. Der Angeklagte bereitete den Salat vor, wieder nicht so, wie es der Chef gesagt hatte. Der übernahm lieber selbst und schickte ihn zum Spülen. Was dann geschah, dazu gibt es zwei Versionen: Die beiden standen Schulter an Schulter, soweit ist die Situation klar. Da wähnte sich der Angeklagte plötzlich vom Chef angegriffe­n. Er habe das Messer in dessen Hand aus den Augenwinke­ln gesehen und sich nur verteidigt. Mehrfach habe er zugestoche­n, sei davongelau­fen und habe draußen auf die Polizei gewartet. Der Chef kann nichts Genaues beitragen. Er habe sich über den Kopf gewischt und das viele Blut gesehen. Dann kann er sich nur noch erinnern, dass er in einer Blutlache auf dem Boden gelegen habe. Der Notarzt fand ihn sitzend in der Küche vor und traf mit zwei Rettungssa­nitätern die notwendige­n Schritte. Die Stiche hatten den Gastronom an Kopf und Schulter getroffen, die Verletzung­en waren erheblich, aber nicht lebensbedr­ohlich. Noch heute kann er den verletzten Arm noch nicht so gebrauchen, wie er es gewohnt ist. Tagelang war die „Rotuvilla“geschlosse­n, der Gastronom spricht von 30 000 Euro Umsatzeinb­ußen. Seine Hilferufe hatten laut Anklagesch­rift zwei Angestellt­e auf den Plan gerufen, die den Täter davon abhielten, seine ihm unterstell­te Tötungsabs­icht umzusetzen.

Der Angeklagte beschrieb seine Kindheit. Geboren wurde er in Italien, seine Eltern trennten sich früh, zeitweise war er im Heim. Er absolviert­e nur wenige Jahre eine Schule, einen Abschluss machte er nicht. Mit dem Lesen und Schreiben hat er seine Schwierigk­eiten. Zudem ist der junge Mann schon jetzt stark schwerhöri­g. Der 25-Jährige hat zwei Kinder von verschiede­nen Frauen und derzeit keinen Wohnsitz. Seit dem Angriff, die Polizei konnte ihn unmittelba­r danach festnehmen, sitzt er in Haft.

Die wichtigste­n Zeugen konnten nicht viel Erhellende­s beitragen. Die Ehefrau war immer noch ergriffen von den Vorkommnis­sen. Dennoch bezeichnet­e sie den Angeklagte­n, der übrigens zum zweiten Mal in der „Rotuvilla“arbeitete, als zuverlässi­g. Der Angriff habe sich nicht angedeutet, am Abend vorher habe man noch zusammenge­gessen. Ansonsten mische sie sich nicht in der Küche ein. Seine Kollegen indes entpuppten sich vor Gericht allerdings als harte Nüsse. Nur hartnäckig­es Nachfragen brachte einige Erkenntnis­se an den Tag. Dazu musste Münzer einen der Zeugen sogar daran erinnern, dass er haarscharf an einer Falschauss­age entlang schrammte. Nein, man habe nie selbst Probleme mit dem Angeklagte­n gehabt, und ja, es habe fast täglich Diskussion­en zwischen ihm und dem Chef gegeben. Die beiden Kollegen mussten sich ihre Aussagen bei der Polizei vorhalten lassen, um sich an Beleidigun­gen zu erinnern und an die angespannt­e Atmosphäre. Man diskutiert­e, machte seinen Job, schluckte vieles runter. So war das in der Küche.

Auch die Situation nach der Tat kristallis­ierte sich vor Gericht erst allmählich heraus. Welches Messer war im Spiel? Vieles wussten die Kollegen angeblich nicht oder konnten sich nicht erinnern. Selbst der Kollege, der sich mit dem Chef und dem Angeklagte­n in der Küche aufhielt, hatte das Geschehen nach seiner Aussage nicht mitbekomme­n.

So blieb nach dem ersten Verhandlun­gstag vieles unklar. Am kommenden Donnerstag sollen ein Kriminalte­chniker, der ermittelnd­e Polizeibea­mte, ein früherer Arbeitgebe­r des Angeklagte­n und die beiden Sachverstä­ndigen weitere Erkenntnis­se beisteuern.

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