Warum der IS immer noch nicht besiegt ist
Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist noch längst nicht besiegt. Doch die Zerstörung der sunnitischen Terrororganisation ist für die USA und Israel inzwischen zweitrangig geworden.
Das syrische Staatsfernsehen hatte die Trauerfeier für die mehr als 260 Opfer des vom IS begangenen Massakers an der drusischen Minderheit in Süd-Syrien live übertragen: Endlose Reihen von Särgen waren mit Fahnen der syrischen Republik bedeckt. Davor standen Fotos der Ermordeten. An den Trauerfeierlichkeiten wollten auch der Gouverneur und Polizeichef von Suweida teilnehmen. Nach Protesten der Bevölkerung mussten sie die Veranstaltung verlassen.
Regime und Armee, so lautete der Vorwurf, hätten so wenig zum Schutz der Bevölkerung getan, dass 200 Terroristen mordend durch die Strassen von Suweida zogen und ganze Familien niedermetzelten. Erst nach acht Stunden seien Armee und Polizei in der Lage gewesen, die Blutorgie der Dschihadisten zu beenden. Vorwürfe richteten Suweidas Bewohner auch an die US-Armee, die südlich der Stadt stationiert ist. Die Amerikaner hätten den aus mehr als 60 Fahrzeugen bestehenden Konvoi des IS gesehen und die Drusen von Suweida, die von den Dschihadisten als „Ungläubige“bezeichnet werden, warnen können.
Für Experten ist die Wiederauferstehung des IS keine Überraschung. Obwohl der IS fast alle seine Gebiete verlor, hätte er sich in einigen Enklaven an den Grenzen zu Israel und dem Irak festsetzen können, erklärt der britische Syrienspezialist Scott Lucas. Ziel der Dschihadistengruppe sei nicht mehr die Besetzung von neuen Gebieten. Sie beschränke sich jetzt auf Terrorakte und habe sich entsprechend neu organisiert, zitiert der Beiruter „L’Orient le Jour“französische Expertenkreise. Dabei profitiert der IS von Schwachstellen der syrischen Armee, die in Süd-Syrien eine Großoffensive gestartet hat sowie von der Neuausrichtung der amerikanischen Nahost-Politik nach dem Amtsantritt von Donald Trump.
Iran und die Hisbollah als Feind
Der hatte im Frühjahr den IS für „fast komplett besiegt“erklärt und Iran und die Hisbollah als Hauptfeind im Nahen Osten bezeichnet. „Die facettenreiche Gefahr eines militaristischen, messianischen und 80 Millionen Mann starken Iran ist für die westlichen Interessen sehr viel bedrohlicher als die sunnitischen Mörder und Verbrecher des IS“, heißt es in einer Analyse des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Moshe Yalon.
Bereits im Jahr 2015 habe Israel seine Grenzen auf den Golanhöhen geöffnet, um verwundete Kämpfer von Al-Kaida aufzunehmen und gesund zu pflegen, berichtet die „Jerusalem Post“unter Berufung auf das „Wallstreet Journal“. Seit letzter Woche wird die östliche Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen wieder von der Assad-Armee kontrolliert. Sie hatte die mit Al Kaida verbündete NusraFront und andere extremistische Gruppen zum Abzug in die Rebellenprovinz Idlib gezwungen.
Nur im äußersten Südwesten von Syrien, direkt an der Grenze zu Israel und Jordanien, kann sich seit fast zwei Jahren die mit dem IS verbündete Khalid Ibn al-Walid-Armee behaupten. Die Zerschlagung der etwa 3000 Mann starken Terrorgruppe – von Israel oder Jordanien aus – wäre vermutlich kein Problem gewesen. Man ließ die Dschihadisten aber in Ruhe.