Drogen, Gewalt und ein wenig Hoffnung
Die Berufungskammer hebt Gefängnisstrafe gegen einen Trossinger auf
TROSSINGEN/ROTTWEIL - Eine allerletzte Chance vom Gericht hat ein 33-Jähriger bekommen, der unter Alkohol und Drogen schlicht weg ausgerastet ist. Die Berufungskammer änderte das Urteil des Amtsgerichts Spaichingen vom Januar ab: Die 16monatige Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Mit einem Kumpel verprügelte der Angeklagte im Februar 2017 einen Besucher einer Trossinger Disco und beleidigte dessen Verwandte übelst. Drei Wochen später verpasste er einem Gast in einem Wehinger Pub einen Hieb, so dass der stark blutete. Als er daraufhin festgenommen werden sollte, wurden zwei Polizeibeamte Ziel von Tritten und Beschimpfungen mit einem Vokabular aus der untersten Schublade. Sogar der Tür des Polizeiautos verpasste er eine Delle. In beiden Fällen hatte der Aggressor schwer getankt: Blutalkoholwerte von 2,6 beziehungsweise 2,1 Promille brachten vor dem Amtsgericht eine Strafrahmenminderung nach Paragraf 21: verminderte Zurechnungsfähigkeit. Dennoch summierten sich die Einzelstrafen auf 24 Monate. Unter Einbeziehung eines noch nicht bezahlten Strafbefehls aus Lahr wurde eine Gesamtstrafe von 16 Monaten ausgesprochen. Ohne Bewährung.
Rückfall aus Eifersucht
Das Strafmaß nahm der 33-Jährige an, doch ins Gefängnis wollte er nicht. Schließlich erwartet die Verlobte ein Kind und er habe sich zu einer stationären Entziehungstherapie entschlossen. Zum dritten Mal, früher hatte er die Adaptationsphasen nicht durchgehalten. „Der Rückfall ist ein Wesensmerkmal der Sucht“, meinte sein Verteidiger hierzu. Drogen und Alkohol hätten sich an ihn herangeschlichen, erklärte der 33Jährige. „Das fängt klein an und hört groß auf“. Einen der Rückfälle habe er aber der Eifersucht seines damals besten Freundes, zu verdanken. Der habe ihm Opiat in das Getränk gekippt.
Leicht habe er es nicht gehabt im Leben, sagt der Angeklagte. Als Sechsjähriger war er vom Balkan auf den Heuberg gekommen. Wegen Sprachschwierigkeiten kam er nach sechs Monaten Grundschule in die Förderschule, wie der angeklagte Hilfsarbeiter berichtete. Fehlzeiten vermasselten später die Zulassung zur Hauptschulabschlussprüfung nach dem Berufsvorbereitungsjahr. Erst auf den zweiten Anlauf klappte es. Die Handwerkslehre brach er ab: „… viel zu anstrengend. Hat mich einfach nicht erfüllt“. Seither jobbt er, war immerhin 13 von 15 Jahren in Arbeit.
17 Einträge im Strafregister
Zwei große Aktenstapel türmen sich auf dem Tisch des vorsitzenden Richters Thomas Geiger: Die 17 Voreintragungen im Strafregister gehen bis 2001 zurück und reichen von räuberischer Erpressung über Betäubungsmittelvergehen und Verkehrsdelikte bis zur gefährlichen Körperverletzung. Tatsächlich abgesessen hatte er nur zwölf Monate. „Durch unglückliche Umstände allein kommen solche Aktenberge nicht zustande, meinte der Vorsitzende.
Der Verteidiger sah dies anders: Sein Mandant habe keine rechtsfeindliche Haltung, sei jedoch suchtkrank. Die räumliche Trennung von seinem Umfeld einer Heuberggemeinde, hätte schon viel gebracht. Zwar gebe es keine Sicherheit, aber zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass der 33-Jährige sich die Strafe nun zur Warnung dienen lasse. „Medizinische Hilfe stehe jetzt vor Gefängnis, eine Bewährung wäre „den Versuch wert“.
Nein, meinte die Staatsanwältin, und erklärte in nur fünf Minuten, warum das Spaichinger Urteil Bestand haben solle. Über eine Stunde berieten der Vorsitzende und die beiden Schöffen. „Es war nicht die allereinfachste Entscheidung“, sagte Geiger, bestätigte dem Angeklagten einen „höchstproblematischen Charakter“und verkündete das umfangreiche Bündel an Auflagen für die gewährte Bewährung, die auf vier Jahre festgesetzt wurde.
Offene Worte richtete der Vorsitzende an die Verlobte im Zuhörerraum: Falls sie, wie schon einmal geschehen, wieder einen Übergriff erleiden sollte, müsse sie rasch einen Schlussstrich ziehen. „Sonst werden Sie eine der vielen geschlagenen Ehefrauen.
Das Urteil sei die allerletzte Chance für den Angeklagten, fügte der Vorsitzende hinzu. „Eine aller-allerletzte wird es nicht geben“. Falls eine der straffen Bewährungsauflagen nicht erfüllt wird, muss der 33Jährige nicht nur für 16 Monate hinter Gitter. Es stehen auch noch drei offene Bewährungsstrafen von insgesamt 22 Monaten im Raum.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig: Zwar nahmen der Angeklagte und sein Verteidiger es spontan an, doch die Anklägerin behielt sich diese Entscheidung noch vor.