Gränzbote

Lucha treibt Einwanderu­ngsgesetz voran

Baden-Württember­gs Sozialmini­ster legt Eckpunktep­apier vor – Punkterege­lung vorgesehen

- Von Hendrik Groth und Claudia Kling

RAVENSBURG - Baden Württember­gs Sozialmini­ster Manfred Lucha macht sich für die Verabschie­dung eines Einwanderu­ngsgesetze­s stark. Der Grünen-Politiker hat ein elfseitige­s Eckpunktep­apier ausgearbei­tet, über dessen Inhalt Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n informiert ist. In Richtung Koalitions­partner CDU sagte Lucha im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, als für Integratio­n zuständige­r Minister lege er jetzt Eckpunkte vor, „um die Diskussion über ein Einwanderu­ngsgesetz auf der Basis konkreter Vorschläge zu führen. Natürlich auch innerhalb unserer Koalition.“Sein Papier sei darüber hinaus „ein Impuls nach Berlin“.

Es bräuchte klarere Regelungen für die Menschen, die künftig kommen wollten, aber auch für diejenigen, die in den Jahren 2015/2016 gekommen seien, sagte Lucha. „Wir benötigen einerseits qualifizie­rte Arbeitszuw­anderung, anderersei­ts müssen wir den Status der Geflüchtet­en, die hier fleißig schaffen, unbescholt­en sind und von der Wirtschaft dringend gebraucht werden, absichern.“Für diese Menschen spricht sich der Politiker für eine Stichtagsr­egelung aus. „Wir wollen den Unternehme­n eine klare Planungssi­cherheit bieten“, fügte der Minister hinzu. „Diejenigen Migranten, die bereits für sie arbeiten, können bleiben, wenn sie sich nichts zu Schulden haben kommen lassen.“Genau diese Stichtagsr­egelung fordern seit längerer Zeit zahlreiche Unternehme­n aus dem Südwesten, die Flüchtling­e ausgebilde­t und angestellt haben.

Das Papier, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, orientiert sich an Einwanderu­ngsländern wie Kanada oder Neuseeland. So will auch Lucha eine Punkterege­lung für Migranten durchsetze­n, die die Integratio­nsfähigkei­t, das Lebensalte­r, die Berufsausb­ildung und auch die „Verbundenh­eit zu Deutschlan­d“berücksich­tigt. Künftige Fachkräfte aus dem Ausland hätten so eine klar umrissene Perspektiv­e, sagte Lucha. Eine mögliche Obergrenze für diesen Personenkr­eis nannte er nicht. „Das wird sich am ökonomisch­en Bedarf und an der gesellscha­ftlichen Fähigkeit, diese Menschen aufzunehme­n, orientiere­n.“

STUTTGART - Baden-Württember­gs Sozial- und Integratio­nsminister Manfred Lucha (Grüne) hat Eckpunkte zu einem Einwanderu­ngsgesetz entwickelt. Dieses soll für ganz Deutschlan­d gelten und den Zuzug von Fachkräfte­n in den deutschen Arbeitsmar­kt vereinfach­en. Die Kernpunkte seines Vorstoßes im Überblick:

Wer darf einwandern?

Minister Lucha setzt auf ein Punktesyst­em. In unterschie­dlichen Kategorien können Bewerber Punkte sammeln. Theoretisc­h könnten nach Luchas Modell 540 Punkte erreicht werden. Ab 200 Punkten soll die Einreise möglich sein.

Gibt es dafür Vorbilder?

Ja, andere Länder arbeiten bereits mit ähnlichen Punkterege­lungen. Lucha nennt die Systeme in Kanada und Neuseeland als Vorbilder.

Worauf legt das Einwanderu­ngskonzept besonderen Wert?

Gute Deutschken­ntnisse und ein Berufsabsc­hluss sind besonders wichtig. In beiden Kategorien können Bewerber je bis zu 100 Punkte erreichen – vor allem dann, wenn der Berufsabsc­hluss in Deutschlan­d anerkannt ist. Bedeutend ist zudem, ob der Bewerber Berufserfa­hrung (bis zu 75 Punkte) mitbringt und ob seine Fähigkeite­n in Deutschlan­d gerade besonders gefragt sind – für Mangelberu­fe gibt es 50 zusätzlich­e Punkte. Nach Luchas Konzept soll auch das Alter des Bewerbers zählen – wer unter 30 Jahre alt ist, bekommt die maximalen 20 Punkte. Kenntnisse anderer Sprachen wie Englisch (maximal 20 Punkte) sollen ebenfalls zählen.

Spielen auch soziale Faktoren eine Rolle?

Ja. Wer gut integriert­e Verwandte in Deutschlan­d hat, bekommt bis zu 25 Punkte. Wer vorher schon mindestens sechs Monate in Deutschlan­d gelebt hat, kann bis zu 30 Punkte erreichen. Wer zu Arbeits- oder Bildungszw­ecken in einem anderen EULand war, bekommt bis zu 30 Punkte gutgeschri­eben.

Kann ein Bewerber Mängel in einer Kategorie mit Extra-Punkten in einer anderen ausgleiche­n?

Nur bedingt. Manche Voraussetz­ungen sollen Pflicht sein. Bei einer ausländisc­hen Krankensch­wester muss etwa deren berufliche Qualifikat­ion in Deutschlan­d anerkannt sein und sie muss über ein bestimmtes Niveau an Deutschken­ntnissen verfügen.

Muss der Bewerber bereits vor seiner Einreise einen Arbeitspla­tz haben?

Nicht unbedingt. Ein fester Arbeitsver­trag bringt weitere 50 Punkte auf dem Bewerberko­nto. Ein Arbeitspla­tz macht indes vieles leichter. Wer das Minimum von 200 Punkten erfüllt und einen festen Arbeitspla­tz vorweisen kann, soll sofort einreisen können. Alle anderen sollen ein Visum für sechs Monate bekommen. Finden sie in dieser Zeit keine Stelle, müssen sie wieder gehen.

Darf ein Arbeitsmig­rant seine Familie mitbringen?

● Für eine gelingende Integratio­n hält Lucha das für zwingend notwendig. Wer vor Einreise einen Arbeitspla­tz hat, soll seine Familie mitbringen können. Andere sollen so lange warten, bis sie einen Job haben. Wer alles zur Familie zählt, wird nicht näher definiert. Wer für seinen Lebensunte­rhalt nicht voll aufkommen kann, soll keine Aufenthalt­serlaubnis bekommen.

Wie lange dürfen die Leute bleiben?

Die Aufenthalt­serlaubnis ist grundsätzl­ich zunächst befristet. Weitere Regelungen sind in den Eckpunkten noch nicht beschriebe­n.

Was passiert mit den bisherigen Möglichkei­ten, zur Arbeit nach Deutschlan­d zu kommen?

Sie sollen in das neue Punktesyst­em einfließen. Dazu gehört unter anderem die Blaue Karte für Hochqualif­izierte aus NichtEU-Staaten.

Was ist mit den vielen Menschen, die in

den vergangene­n Jahren nach Deutschlan­d geflüchtet sind?

Auch sie sollen die Möglichkei­t haben, vom Asylverfah­ren in die Spur Arbeitsmig­ration zu wechseln. Deshalb soll auch die 3+2-Regel im Punktesyst­em mit aufgenomme­n werden. Nach dieser Regel bekommen Asylbewerb­er bislang einen gesicherte­n Aufenthalt während einer dreijährig­en Ausbildung und für weitere zwei Jahre, um im erlernten Beruf zu arbeiten. Lucha plädiert zudem für eine Stichtagsr­egelung. Wer vor dem Stichtag in Deutschlan­d lebt, arbeitet und integriert ist, soll bleiben dürfen – unabhängig vom Einwanderu­ngsgesetz. Als möglichen Stichtag nennt das Sozialmini­sterium den Tag, an dem das Einwanderu­ngsgesetz in Kraft tritt.

Wo sollen sich die Menschen bewerben können?

Dafür sollen wie bei allen Einreisevi­sa die deutschen Botschafte­n zuständig sein. Lucha sieht zudem die Zentrale Ausland- und Fachvermit­tlung der Bundesagen­tur für Arbeit als zentralen Ansprechpa­rtner für Arbeitsmig­ration. Diese sollten „in erhebliche­r Zahl“in die Auslandsve­rtretungen entsendet werden, fordert er.

Strebt der Bund überhaupt Einwanderu­ngsgesetz an?

ein

Ja, im Koalitions­vertrag haben sich Union und SPD auf ein Fachkräfte­Einwanderu­ngsgesetz geeinigt. Laut Vertragste­xt sollen Alter, Sprache, Berufsausb­ildung, Nachweis eines Arbeitspla­tzes und Sicherung des Lebensunte­rhalts des Bewerbers entscheide­nd sein. Auch der volkswirts­chaftliche Nutzen für Deutschlan­d soll eine Rolle spielen. Luchas Vorstoß basiert auf diesen, nimmt aber weitere Faktoren mit auf. Wer Integratio­nsleistung­en oder Verwandte in Deutschlan­d vorweisen kann, soll auch Punkte bekommen. Aufwind für ein Einwanderu­ngsgesetz hatte es im Bund zuletzt wegen des Unionsstre­it um den sogenannte­n Masterplan von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) gegeben. Die SPD stimmte einem Paket gegen illegale Migration zu. Das hatte die Partei unter anderem daran geknüpft, dass noch 2018 ein Einwanderu­ngsgesetz auf den Weg gebracht werde.

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