Gränzbote

„Höcke wird instrument­alisiert“

Bernd Gögel, der Fraktionsv­orsitzende der AfD, will seine Partei koalitions­fähig machen

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STUTTGART - Er will die AfD koalitions­fähig mit anderen Parteien machen: Bernd Gögel, seit Ende 2017 Fraktionsc­hef der AfD im Stuttgarte­r Landtag. Im Gespräch mit Kara Ballarin und Katja Korf erklärt der Politiker aus dem Enzkreis, was sich dafür in Partei und Fraktion noch ändern muss.

Herr Gögel, Sie haben das Amt des Fraktionsc­hefs von Jörg Meuthen im vergangene­n Dezember übernommen. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?

Der Zeitaufwan­d ist um 30 Prozent gewachsen, gerade durch die vielen Abendtermi­ne. Die Aufgabe macht aber Freude, ich kann die Richtung der Fraktion stärker gestalten. Mein wesentlich­es Ziel ist, dass wir uns im konservati­ven Spektrum etablieren.

Bei Ihrem Amtsantrit­t haben Sie das Ziel ausgegeben, die AfD bis zur nächsten Landtagswa­hl bereit für eine Koalition zu machen. Bleibt es dabei?

In absehbarer Zeit sind absolute Mehrheiten illusorisc­h. Das sehe ich in einer Demokratie auch nicht als ideales Modell an. Deswegen müssen wir offen sein für Koalitione­n. Wir sehen uns als wirtschaft­sliberale Kraft, daher wäre die CDU ein denkbarer Partner. Auch die FDP käme für eine Zusammenar­beit infrage.

Halten Sie eine Koalition mit CDU oder FDP für realistisc­h, solange Sie Abgeordnet­e wie Stefan Räpple in Ihrer Fraktion dulden? Er hatte zuletzt SPD-Politiker als Koksnasen bezeichnet, von fettgefres­senen, kaputtgeso­ffenen CDU-Politikern geschriebe­n und die Abgeordnet­en der anderen Parteien als „Volksverrä­ter“verunglimp­ft.

Wir müssen uns noch mehr konsolidie­ren. Wenn die Partei in der Lage ist, auch mit bekannterm­aßen sperrigen Abgeordnet­en angemessen umzugehen und ihr unstrittig­es Potential besser auszuschöp­fen, können wir Gespräche über Koalitione­n führen. Ich sehe, dass die Mehrheit meinen Weg mitträgt. Ich möchte auch keinen Systemwech­sel in diesem Land. Wir stehen in einem guten demokratis­chen System auf solider Basis des Grundgeset­zes. Es geht um Korrekture­n der Politik. Von 180Grad-Wenden halte ich nichts, es reichen auch 90 Grad.

Ist es nicht an Ihnen, einem Fraktionsm­itglied wie Räpple Einhalt zu gebieten?

Das tun wir doch! Wie er sich geäußert hat, widerspric­ht meiner Auffassung komplett. Das werden wir auch nochmal in der Fraktionss­itzung nach der Sommerpaus­e behandeln und ihn anhören.

Entwickelt sich Ihr Fraktionsv­izechef Emil Sänze zum Problemfal­l? Zuletzt hat er der grünen Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras abgesproch­en, sich zur deutschen Erinnerung­skultur äußern zu dürfen, weil sie in Anatolien geboren wurde – obwohl sie längst deutsche Staatsbürg­erin ist. Dafür gab es auch Kritik vom Antisemiti­smusbeauft­ragten der Bundesregi­erung.

Ebenso wie andere Abgeordnet­e unserer und anderer Parteien hat auch unser stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r Emil Sänze das Recht, im Rahmen der Meinungsfr­eiheit seine Meinung zu politische­n Themen zu äußern. In diesem Fall hat er sich zu den wiederholt­en Neutralitä­tspflichtv­erletzunge­n der Landtagspr­äsidentin geäußert. Als Demokrat werde ich ihm das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung ganz sicher nicht verwehren, ohne dass ich damit automatisc­h seine Meinung teilen muss. Ein Problem wird Emil Sänze für die Fraktion damit auf keinen Fall, da muss man auch mal die Kirche im Dorf lassen. Allerdings verwundert mich die Kritik des Antisemiti­smusbeauft­ragten an einer freien Meinungsäu­ßerung – außerdem habe ich von ihm keinen derartigen Aufschrei vernommen, als es um die Übergriffe muslimisch­er Migranten auf israelisch­e Bürger in Deutschlan­d ging. Oder sollte hier mit zweierlei Maß gemessen werden? Das wäre aus Sicht unserer Demokratie allerdings äußerst bedenklich.

Ist der thüringisc­he Fraktionsv­orsitzende Björn Höcke ein Problemfal­l?

Nein, er wird instrument­alisiert. Er hatte zwei, drei ungeschick­te Formulieru­ngen in seinen Reden, das ist alles. Aber ich gehe davon aus, dass er nächstes Jahr als Spitzenkan­didat bei der Landtagswa­hl in Thüringen antritt.

Ist es nicht auch gut, einheitlic­he Regelungen für EU-Staaten zu haben? Etwa generelle Schadstoff­grenzwerte für die Luft, die nun in Stuttgart zu Fahrverbot­en führen?

Ich halte willkürlic­he Grenzwerte von Lobbyisten und Verwaltung­sfachleute­n in Brüssel nicht für belastbar. Diese Grundsatzd­iskussion muss in Berlin mitgeführt werden, damit nicht noch mehr Beschränku­ngen kommen. Denn die wären der Tod der deutschen Automobili­ndustrie. Die Feinstaubh­ysterie ist politisch gewollt und gesteuert. Ich habe nichts dagegen, wenn die Grünen andere Vorstellun­gen von Mobilität haben, aber ein Industries­tandort kann nicht über das Fahrrad existieren. Man darf auch nicht einseitig EMobilität subvention­ieren. Es ist nicht klar, welche Technologi­e sich durchsetzt.

Die Grünen unterfütte­rn ihre politische­n Anstrengun­gen mit dem Klimawande­l. Sie indes bestreiten, dass der Mensch etwas damit zu tun hat.

Den Klimawande­l hat es in der Geschichte unseres Planeten immer gegeben, und es gab auch schon heißere Phasen. Wir wollen saubere Luft, das ist ein Grundrecht eines jeden Bürgers. Unabhängig von den Antriebsar­ten haben wir eine katastroph­ale Infrastruk­tur – speziell von der Alb bis zum Bodensee. Um die Landflucht aufzuhalte­n, müssen wir den ländlichen Raum anbinden. Wir brauchen die Autobahn von München nach Freiburg, und wir brauchen einen Verkehrswe­geplan 2050, der den Ausbau von Bundesstra­ßen und Autobahnen vorantreib­t.

Und die Zugverbind­ungen?

Der Schienenve­rkehr ist ebenfalls katastroph­al. Das hat das Tunnelungl­ück in Rastatt gezeigt. Wir haben keine Alternativ­routen. Beispiel Gäubahn: Das Projekt der Neigetechn­ik liegt seit Jahrzehnte­n brach, weil niemand die zwei Milliarden Euro an Investitio­nen in die Hand nehmen will.

Im Herbst stehen turnusmäßi­ge Wahlen in Ihrer Fraktion an. Wollen Sie Fraktionsc­hef bleiben?

Ich werde nochmal als Fraktionsv­orsitzende­r kandidiere­n. Ob es Gegenkandi­daten gibt, weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus. Das ist in der AfD normal.

Unsere Reihe von Sommerinte­rviews mit Spitzenlan­despolitik­ern wird forgesetzt mit Hans-Ulrich Rülke (FDP), Andreas Stoch (SPD) und Andreas Schwab (Grüne).

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FOTO: DPA AfD-Fraktionsv­orsitzende­r Bernd Gögel.

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