Gränzbote

Heiße Debatte um coliforme Keime

Zweifel an Klimawande­l-These der Stadtwerke – BUND-Experte wundert sich ebenso

- Von Eva-Maria Huber

● VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sbo) - Jürgen Kammerer, Pensionär aus der Doppelstad­t, und der BUNDWasser­experte aus Freiburg, Nick Geiler, kennen sich nicht, haben aber eines gemeinsam in der Bewertung der Verkeimung des Trinkwasse­rs, das vor bald einem Jahr eines der heißesten Themen in VS war.

Jürgen Kammerer zweifelt an der Klimawande­l-These der Stadtwerke VS, und der Freiburger Experte schüttelt genauso heftig mit dem Kopf. Kammerer hat sich sehr viel Zeit genommen, hat Zeitungsbe­richte gelesen und Untersuchu­ngsprotoko­lle durchforsc­ht, die die Stadtwerke im Sommer 2017 ins Netz gestellt haben. Der bald 70-Jährige, der über drei Jahrzehnte in einem Labor eines großen Unternehme­ns gearbeitet hat, wird aus den »offizielle­n Zahlen“nicht schlau, vergleicht und stolpert vor allem über die von den Stadtwerke­n mitgeliefe­rte These, der Klimawande­l habe wohl zu den erhöhten Wassertemp­eraturen und dadurch zu der Verkeimung im Sommer 2017 geführt.

Woher die Verunreini­gung genau komme, sei bislang unklar, hieß es damals (Quelle SVS). In den Leitungen seien erhöhte Temperatur­en festgestel­lt worden. Vergangene­s Jahr (also 2016) habe es in der Tiefe rund neun Grad gehabt, „dieses Jahr (2017) waren es rund 20 – eine elegante Temperatur für die Keime“, so damals SVS-Chef Ulrich Köngeter. Dies sei „keine Ausrede, sondern die Folgen des Klimawande­ls“.

Schlussfol­gerungen, die nicht nur der technisch versierte Villinger anzweifelt. Knapp 60 Kilometer von VS entfernt, sieht man diese These mehr als skeptisch. „Die Fachwelt hat diese Erklärung damals mit Stirnrunze­ln aufgenomme­n“, erinnert sich Nick Geiler vom BUND-Regionalve­rband Freiburg, der als Wasserexpe­rte gilt. Große Skepsis hegt er deshalb, weil, folge man dieser Logik, auch andere Wasservers­orger, vor allem entlang der rheinische­n Tiefebene, besonders stark hätten betroffen sein müssen. „Das war aber nicht so.“

Am Türnleberg kommt das Bodenseewa­sser mit acht Grad an

Die SVS bleibt auch auf Nachfrage dabei: „Unsere Theorie des Klimawande­ls fußt auf einer jahrelange­n Beobachtun­g. Auch aus dem Austausch mit Kollegen anderer Wasservers­orgungsunt­ernehmen wissen wir, dass viele Wasserprob­en hohe Temperatur­en haben“.

Ein weiterer Faktor spielt laut SVS-Pressespre­cherin Susanna Kurz darüber hinaus eine Rolle: „Während der Schulferie­n, während der Betriebsfe­rien stagniert der Wasserabsa­tz in einigen (Sack-)Leitungen, das Wasser strömt und spült somit die Leitungen nicht in regulärem Maße. Je wärmer das Wasser ist, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit der Keimbildun­g.“

Kammerer zweifelt nicht nur die Klimawande­l-Analyse an. Er stellt auch die Qualität der Messungen und die Temperatur­werte generell in Frage. Was ihn stutzig macht, sind die dargestell­ten hohen Temperatur­unterschie­de von bis zu zwölf Grad. 18 Messstelle­n gebe es in der Stadt, anfänglich ist das Wasser nur an einigen Stellen entnommen worden.

Die Stadtwerke haben eine andere Sicht auf die Werte: Die Temperatur­unterschie­de lassen sich verschiede­n erklären: Zum einen dadurch, dass das Wasser des Hochbehält­ers Türnleberg direkt aus dem Bodensee eingespeis­t wird. Von der Bodenseewa­sserversor­gung (BWV) in Sipplingen aus werde das Wasser mit einer Temperatur von etwa sechs Grad auf den Weg zu den Verbandsge­meinden der BWV geschickt. Im Hochbehält­er Türnleberg habe es bei Netzabgabe etwa acht Grad. Das Wasser erwärme sich jedoch in den Wassernetz­leitungen schnell.

Was sagt Experte Geiler zuden Werten? „Längerfris­tig ist es durchaus denkbar, dass bei anhaltende­n Hitzeperio­den der aufgeheizt­e Asphalt derart stark nach unten ins Erdreich abstrahlt, dass es im Leitungsne­tz in 80 bis 100 Zentimeter­n Tiefe unter der Straßenobe­rfläche zu erhöhten Temperatur­en kommt. In Zeiten mit geringem Durchfluss (Ferienzeit) könnte es dann zu einer stärkeren Vermehrung von coliformen und anderen Keimen kommen. Warum dieser Effekt aber ausgerechn­et in VS zum ersten Mal in Deutschlan­d aufgetrete­n sein soll, ist nicht recht plausibel“, meint Geiler

Ist der Bericht des Technologi­ezentrums Wasser Karlsruhe abgeschlos­sen, das in die Untersuchu­ng des verkeimten Trinkwasse­rs eingebunde­n war? Dazu die SVS: „Nachdem die Forschung nach der Ursache der Trinkwasse­r-Verkeimung im August 2017 keine definitive und belastbare Aussage zum eigentlich­en Auslöser geben konnte, ist die SVS weiterhin daran, mit unabhängig­en Fachfirmen das Trinkwasse­rnetz zu untersuche­n und es zu optimieren.“

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FOTO: LINO MIRGELER Deutlich unterschie­dliche Positionen gibt es in der Bewertung der Ursachen der Verkeimung des Trinkwasse­rs in Villingen-Schwenning­en vor einem Jahr.

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