Im Schlafanzug ins Melkkarussell
Im Sommer stemmen Landwirte neben der Ernte-Hochsaison auch die Kinderbetreuung
TROSSINGEN/TALHEIM/SEITINGEN-OBERFLACHT - Während in weiten Teilen Deutschlands Landwirte heftige Einbußen durch die aktuelle Dürre befürchten und zusätzliche staatliche Hilfen fordern, profitieren die Bauern in Trossingens Umgebung noch von Regenfällen im Frühjahr. Neben der Ernte müssen sie dafür noch eine ganz andere Aufgabe lösen: die Kinderbetreuung.
Für Landwirte bedeutet der Sommer Hochsaison und sehr viel Arbeit. Familien mit Kindern stehen zudem vor der Aufgabe, deren Ferien und die Wünsche nach Aktivitäten mit berücksichtigen zu müssen. In dieser Situation ist unter anderem Familie Messner vom Trossinger Hirschweidenhof. „Unsere vier Kinder haben Ferien, wie alle anderen Kinder auch“, erklärt Esther Messner dazu. Die Großen schlafen aus, haben Freunde zu Besuch oder besuchen Feriencamps. Die Kleinen genießen die Freiheiten, die der Hof bietet, leben ihre Kreativität aus, oder fahren auf dem Traktor mit. „Es ist gut möglich, dass wir in diesem Sommer noch einen Pool aus Strohballen aufbauen“, schildert Esther Messner.
So ähnlich sieht es auch bei Familie Mink vom Bertholdshof in Oberflacht aus. „Bei uns kommen die Kinder am Morgen schon mal im Schlafanzug ins Melkkarussell gelaufen“, erzählt Hanna Mink schmunzelnd. Im Alltag verbringen die Söhne Moritz und Felix jetzt viel Zeit mit ihrer Mutter . Sie helfen mit beim Versorgen der
Kälber und kümmern sich um ihre Hühner.
Auch sie fahren auf dem Traktor mit, oder erleben mit, wie Andreas Mink als Betriebsleiter die Abläufe organisiert und koordiniert.
Bei Familie Kreutter in Talheim werden die 15-jährigen Zwillinge Elias und Noah schon mit Aufgaben betraut, die sie erfüllen müssen, wenn sie aus ihrem Feriencamp zurück sind. Auch der elfjährige Simon wird bereits an die Hofarbeit herangeführt. Der siebenjährige Hannes erlebt den Hofalltag und macht auch schon die ersten Handgriffe im Stall. Trotz dieser Aufgaben finden die Jungen noch Zeit, sich mit Freunden zu treffen, oder zum Badesee zu gehen.
In einer speziellen Situation findet sich Familie Irion von der Oberen Mühle in Talheim wieder. Rose Irion hat das zweite Kind geboren, somit ist der dreieinhalbjährige Jonas großer Bruder geworden. „Die Arbeit erledige ich gemeinsam mit meinen Brüdern und einigen Helfern. Meine Frau kümmert sich um die Kinder, mit dem Neugeborenen kann sie ja sonst nichts machen“, erzählt Oliver Irion.
Während in allen Familien die Kinderbetreuung geregelt wird, stehen in der Landwirtschaft die Erntearbeiten an. Die Gerste ist bereits gedroschen, der Weizen steht an. Auf manchen Feldern muss der Raps auch noch gedroschen werden. Die Maisernte findet erst später statt. „Da es in anderen Bundesländern deutlich trockener ist als hier, ist Stroh momentan sehr begehrt“, berichtet Esther Messner. Zudem ist das Gras wieder so weit gewachsen, dass der dritte Schnitt erfolgen kann. Der wird entweder zu Öhmd - das ist die beim zweiten Schnitt einer Mähwiese gewonnene Biomasse - oder zu Silofutter weiter verarbeitet.
Danach können sich die Landwirte nicht etwa ausruhen, sondern der Boden wird sofort wieder bearbeitet, damit eine Zwischenfrucht gesät werden kann. Das ist zumeist eine Mischung aus Senfsamen und Ölrettich und dient dazu, Stickstoff im Boden zu binden. Bedeutet die Erntezeit normalerweise Arbeiten auf Hochdruck, ist die Situation in diesem Jahr durch das stabile Hochdruckwetter etwas entspannter, berichten die Landwirte. Sie könnten sich darauf verlassen, dass sie die anstehende Arbeit nicht in kürzes- ter Zeit vor der nächsten Regenfront erledigt haben müssten.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern habe es im Landkreis Tuttlingen im Frühjahr doch so viel geregnet, dass sich die Ernteausfälle in Grenzen halten werden.
Einzig die Termine der Betriebe, die den Mähdrescher stellen, oder die Planung der Häcksler Kolonnen geben einen Arbeitstakt vor. Das sind dann die Zeiten, in denen schon mal bis spät am Abend gefahren werden muss. Dafür hoffen die Landwirte auf das Verständnis von Anwohnern - solche Fahrten, sagen sie, würden sich auf wenige Male im Jahr beschränken und seien für den Lebensunterhalt der Tiere und somit auch des Landwirtes notwendig.
„Da es in anderen Bundesländern trockener ist als hier, ist Stroh momentan sehr begehrt“, sagt Esther Messner.