Nächstenliebe sieht anders aus
Ausgerechnet die Kirche, die Sonntag für Sonntag das Gebot der Nächstenliebe predigt und in die Welt hinausträgt, ist es, die das Wohnprojekt der Obdachlosen für beendet erklärt. Auch wenn die Wiese der Stuttgarter PfarrgutVerwaltung gehört, sind es auch die hiesigen Entscheidungsträger in der evangelischen Gesamtkirchengemeinde, die sich hier nicht gerade mit Rum bekleckern.
Hätte es Beschwerden gegeben, wäre die Entscheidung, das Wohnprojekt zu beenden, durchaus nachvollziehbar. Doch – vom Ordnungsamt und den angrenzenden Kleingärtnern bestätigt – gab es auf der Wiese bislang keinen Ärger. Mit wem man auch spricht: Die Bewohner leben dort friedlich, sind gar hilfsbereit. Als im Bahnhof die Aufzüge für Monate außer Gefecht waren, half etwa Wiesen-Bewohner Günther den Reisenden wochenlang beim Kofferschleppen.
Weitaus mutigere Entscheidungen hat die evangelische Kirchengemeinde in den vergangenen Monaten getroffen – denke man bloß an das Kirchenasyl des afrikanischen Flüchtlings, das für die Verantwortlichen auch vor Gericht hätte enden können. Im Falle der Tuttlinger Obdachlosen versteckt man sich hinter dem Argument, man wolle die Verantwortung nicht übernehmen.
Eine Kirche sollte sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten für seine Mitmenschen einsetzen. In diesem Fall sieht praktizierte Nächstenliebe anders aus.