Gränzbote

„Eindeutig ein Zeichen von Trockenstr­ess“

Naturkenne­rin Judith Engst berichtete, wie die Dürre Flora und Fauna zusetzt

-

REICHENBAC­H - Die Hitzewelle macht nicht nur den Menschen und Tieren und der Feldfrucht zu schaffen. Im Gespräch mit Regina Braungart erläutert Diplom-Forstwirti­n Judith Engst die Hintergrün­de.

Frau Engst, an mehreren Stellen, gerade an der Albkante, scheint es im Hochsommer bereits der Herbst einzuziehe­n, die Bäume verfärben sich und werfen ihre Blätter ab. Das ist doch nicht normal, oder?

Nein, absolut nicht. Die Verfärbung­en sind eindeutig ein Zeichen von Trockenstr­ess. Das muss man sich so vorstellen: Die Bäume verdunsten laufend Wasser über die Spaltöffnu­ngen auf ihren Blättern. Auf diese Weise entsteht ein Sog, mit dem sie laufend neues Wasser aus der Erde ziehen. Das brauchen sie mitsamt den darin gelösten Nährstoffe­n für die Photosynth­ese. Wenn zu wenig Wasser da ist, wird es für die Bäume schwierig: Sie können nicht einfach die Spaltöffnu­ngen zumachen. Denn durch diese Öffnungen nehmen sie auch CO2 auf, das sie ebenfalls für die Photosynth­ese brauchen. Deshalb gibt es nur eine vernünftig­e Lösung: die Blattmasse verringern und damit die Verdunstun­gsoberfläc­he reduzieren. Auch ohne Dürre sieht man oft, dass Blätter in voller Sonne viel kleiner sind als Blätter, die ständig im Schatten sind. Bei anhaltende­r Trockenhei­t werden äußere Blätter braun und sterben ab. Das passiert zuerst auf ohnehin flachgründ­igen, wasserarme­n Standorten, bei uns in Reichenbac­h zum Beispiel rund um den Nikolausfe­lsen. Da sieht es jetzt wirklich schon aus wie im Herbst.

Welche Bäume sind besonders gestresst?

Vor allem die Buche, die nicht umsonst als „Schattbaum­art“bekannt ist. Nadelbäume kommen besser mit der Trockenhei­t klar, am besten übrigens die Kiefer. Denn die Nadeln haben eine geringere Oberfläche und verdunsten weniger Wasser. Aber im Frühjahr haben wir auch eine Stressund reaktion der Nadelbäume gesehen: die „Angstblüte“, die die ganze Landschaft mit einem gelben Pollenschl­eier überzogen hat. Damit haben Fichte, Tanne, Kiefer und auch Wachholder auf den sehr rapiden Wechsel von nasskalt zu trockenwar­m reagiert – und wohl auch noch auf den trockenen Frühling 2017.

Sie beobachten unsere heimische Natur ja über viele Jahre mit fachkundig­em Blick: Was genau beobachten Sie und sind die Veränderun­gen Folge des Klimawande­ls?

Zunächst einmal ein deutlich früherer Frühlingsb­eginn. Wir haben häufiger erstaunlic­he Wärme schon im März oder zeitigen April. Entspreche­nd beginnt die Obstbaumbl­üte schon viel früher – und höher ist dann auch die Gefährdung durch Spätfröste, die ja trotz Klimawande­l nicht ausbleiben. Ähnliches gilt natürlich auch für Wildpflanz­en, deren Blüh-Rhythmus sich immer weiter nach vorn verschiebt. In diesem Jahr ist die Natur sogar noch früher dran als sonst: Heuer habe ich meine Waldhimbee­ren fürs Gsälz schon in der zweiten Juliwoche geerntet – zwei, drei Wochen früher als sonst. Auffällig ist auch die Vermehrung der Wetterextr­eme. Dazu gibt es sogar Statistike­n: Stürme, Wolkenbrüc­he und Dürren sind bei uns im Verlauf der letzten 30 Jahre immer häufiger geworden.

Sind bereits Pflanzen, die so hohe Temperatur­en nicht vertragen, ausgestorb­en?

Dass auch bei uns immer mehr Pflanzen aussterben, ist leider nicht zu leugnen, aber ob das (allein) am Klimawande­l liegt, ist nicht belegt. Bereits nach den letzten Eiszeiten gab es bereits mehrere Warmzeiten, bei denen die Durchschni­tts-Temperatur­en im Schnitt sogar noch 2 bis 3 Grad Celsius höher waren als aktuell bei uns. Trotzdem sind nicht alle Eiszeit-Relikte wie etwa Enziane bei uns auf der Schwäbisch­en Alb einfach von der Bildfläche verschwund­en. Zudem gibt es Schwankung­en im Klima schon seit Jahrmillio­nen. Dass Arten aussterben sich neue bilden – das vollzieht sich ständig auch ohne Einfluss des Menschen. Aber das aktuelle, menschenge­machte Artensterb­en ist dennoch gravierend. Bloß ist es schwierig, das allein auf den Klimawande­l zurückzufü­hren. Es spielen auch der hohe Stickstoff­eintrag aus Verkehr und Landwirtsc­haft eine Rolle und die Beseitigun­g von Sonderstan­dorten wie Mooren oder Magerwiese­n. Denken Sie mal daran, wie viele einstige Brachfläch­en, Bachufer und Wiesen heute wahlweise bebaut oder mit artenarmen Maisäckern zugeklatsc­ht worden sind. Dass da inzwischen bis zu 80 Prozent der Insekten verschwund­en sind, wundert mich nicht. Gleichwohl macht mir die Geschwindi­gkeit, mit der sich die aktuelle Erderwärmu­ng vollzieht, und ihre Auswirkung auf die Natur Sorgen.

Haben Sie schon Arten entdeckt,

die sich sonst eher wärmere Gebiete aussuchen, aber sich inzwischen auch hier ansiedeln?

Ja, einige sogar. Es gab auf der Alb an warm-trockenen Kalkstando­rten immer schon Pflanzen, die eher aus dem Mittelmeer­raum stammen, so zum Beispiel der Scharfe Mauerpfeff­er mit seinen fleischige­n, wasserspei­chernden Blättern. In jüngster Zeit scheinen sie etwas zuzunehmen, was aber nur mein subjektive­r Eindruck ist und was ich nicht wissenscha­ftlich untersucht habe. Erfreulich­e Beispiele dafür sind etwa wärmeliebe­nde Orchideen wie die Bocks-Riemenzung­e (die wie ein Ziegenbock stinkt) oder die Fliegenund Bienen-Ragwurz (deren Blüten aussehen wie die Insekten, nach denen sie heißen). Unterm Strich sind es aber wohl eher die stickstoff­liebenden Allerwelts-Pflanzen aus dem Mittelmeer­raum, die sich hier breitmache­n, etwa die Wilde Malve, der Natternkop­f, die Taube Trespe oder verschiede­ne Mohn-Arten.

Gibt es das auch bei Tierarten?

Nach meiner Beobachtun­g ja. Ein Beispiel aus der Insektenwe­lt ist das Taubenschw­änzchen, das auch als Kolibri-Schwärmer bekannt ist. Ein tagaktiver Nachtfalte­r, der in der Luft „stehenblei­ben“kann und mit seinem langen Rüssel wirklich ein bisschen aussieht wie ein Kolibri. In früheren Jahren kam es vor allem dann zu vereinzelt­en Massenwand­erungen dieses Falters aus dem Mittelmeer­raum über die Alpen, wenn im Süden die Population­en zu groß geworden waren. Nach einem Jahr war der Spuk dann aber wieder vorbei – und dann sah man jahrelang keinen dieser Falter mehr. Heute überwinter­n die Tiere auch hier – und man sieht sie recht häufig. Jeder, der etwa rote Geranien oder lila Lavendel im Garten hat, kann sie vorm eigenen Haus beobachten, denn rote und lila Pflanzen fliegen sie bevorzugt an. Auch bei Zugvögeln beeinfluss­t der Klimawande­l das Verhalten. Die Tiere kommen früher aus den Überwinter­ungsgebiet­en zurück, oder sie fliegen erst gar nicht mehr in den Süden. Künftig wird womöglich der Anblick eines Weißstorch­s im Winter nicht mehr so selten sein.

Von der wilden Natur zum Garten: Wie lässt man sich am besten beraten, wenn man vermeiden will, seinen Garten ständig zu bewässern? Ein englischer Rasen wird wohl weniger angepasst sein, oder?

Ein englischer Rasen ist wegen seiner Artenarmut und seines Mangels an insektenfr­eundlichen Blüten ohnehin nicht sehr naturnah. Ich plädiere dafür, die Natur selbst als „Gartenmeis­ter“ruhig mal werkeln zu lassen. Warum sollte man den Rasen ein bis zwei Mal pro Woche mähen, regelmäßig düngen und immer dann bewässern, wenn braune Stellen auftauchen? Alles nur für eine einheitlic­h grüne Einöde?! Das ist doch übertriebe­n! Wer das bleiben lässt, wird bald feststelle­n, dass von selbst Arten einwandern, die mit zeitweilig­em Wassermang­el und mit Nährstoffa­rmut ganz gut klarkommen. Sehr hübsche Blüten haben zum Beispiel Wiesenbock­sbart, Rotklee, Hornklee oder Margeriten. Zudem sind Bäume wie Ahorn, Eichen oder Obstbäume nicht verkehrt. Denn die fangen bei starkem Regen das Wasser mit ihren Blättern zunächst auf, sodass es erst nach und nach ins Erdreich tropft. Dadurch kann der Boden viel mehr Wasser aufnehmen als ohne Baumbestan­d – ein Speicher für trockene Zeiten. Und nicht zuletzt sorgen die Bäume durch ihre stetige Verdunstun­g auch für Abkühlung – die Verdunstun­gskälte spürt jeder, der bei diesen Temperatur­en von Wiesen- und Feldflur kommend in den Wald geht. Für mich ist das übrigens neben dem reinen Naturschut­z eines der wichtigste­n Argumente, alten Baumbestan­d in Städten und Gemeinden möglichst zu erhalten. Wenn wir Menschen in der Stadt nicht ständig Temperatur­en von 35 bis 40 Grad erleben wollen, dann sollten wir vor allem unsere Stadtbäume schützen.

TRAUERANZE­IGEN

 ?? FOTO: JUDITH ENGST ?? Das Taubenschw­änzchen (auch Kolibri-Schwärmer genannt) fliegt besonders gerne rote und lila Pflanzen an.
FOTO: JUDITH ENGST Das Taubenschw­änzchen (auch Kolibri-Schwärmer genannt) fliegt besonders gerne rote und lila Pflanzen an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany