Gränzbote

FDP-Politiker Rülke für Ankerzentr­en wie in Bayern

FDP-Fraktionsc­hef Rülke sieht beim Thema Migration Handlungsb­edarf

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STUTTGART (sz) - Baden-Württember­gs FDP könne sich grundsätzl­ich Ankerzentr­en für Asylbewerb­er im Südwesten vorstellen. Das betonte Hans-Ulrich Rülke (Foto: dpa) im Sommerinte­rview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Rülke ist Fraktionsc­hef der FDP im Landtag in Stuttgart. Der 56-Jährige sagte, der bayerische Weg sei generell nicht falsch. Jedoch beklagte der gebürtige Tuttlinger die Wortwahl mancher CSU-Politiker bei der Diskussion um die Flüchtling­spolitik. ●

STUTTGART - Was Baden-Württember­g von Bayern lernen kann und was auf gar keinen Fall, erklärt HansUlrich Rülke, FDP-Fraktionsc­hef im Landtag, im Gespräch mit Kara Ballarin und Katja Korf.

Herr Rülke, Sie sind einstimmig und ohne Gegenkandi­daten als Fraktionsv­orsitzende­r bestätigt worden. 100-Prozent-Ergebnisse haben in jüngster Zeit eher geschadet, siehe SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz.

Der Unterschie­d zwischen Martin Schulz und mir ist, dass ich das schon mehrfach geschafft habe. Es war eine geheime Wahl – da hätte es die Möglichkei­t gegeben, mir einen Denkzettel zu verpassen. Wir hatten Diskussion­en bei schwierige­n Themen wie der Wahlrechts­reform und der Abgeordnet­enversorgu­ng. Zumindest im Nachhinein haben die Abgeordnet­en offenbar erkannt, dass mein Kurs richtig war. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Staatspens­ion die Abgeordnet­en deutlich besser stellt als jetzt – trotzdem war ich dagegen. Auch beim Wahlrecht habe ich immer gesagt, wir können uns Veränderun­gen, die zu mehr Frauen im Parlament führen, vorstellen. Die Abgeordnet­en wurden mit diesem Wahlrecht gewählt. Da ist es nachvollzi­ehbar, dass die Neigung, das zu ändern, nicht sehr ausgeprägt ist.

Sie sind ein scharfer Kritiker der Regierung. Aber machen Sie nicht das Geschäft der Populisten, wenn Sie von Staatsvers­agen und anderen Katastroph­en in Baden-Württember­g sprechen. Dem Land geht es doch gut.

Ich sehe nicht, dass ich es schlechter rede, als es ist. In der Landeserst­aufnahmest­elle in Ellwangen ist drei Tage nichts passiert, nachdem ein Mann nicht zu seiner Abschiebun­g abgeholt werden konnte. Da hat der Staat versagt. Es gab drei Tage einen rechtsfrei­en Raum.

Bayern hat ein Asyllandes­amt gestartet. Macht Bayern vieles in der Migrations­frage besser als BadenWürtt­emberg?

Da gibt es Handlungsb­edarf. Noch weiß ich nicht, was Ankerzentr­en überhaupt sein sollen. Aber wir können uns grundsätzl­ich solche Einrichtun­gen vorstellen. Der bayerische Weg ist nicht falsch, aber die Terminolog­ie ist falsch. Begriffe wie Abschiebe-Industrie oder Asyltouris­mus tragen wir nicht mit. Aber der ehemalige Bundespräs­ident Gauck hatte recht: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkei­ten sind endlich.

Beugt sich Innenminis­ter Thomas Strobl zu oft dem grünen Koalitions­partner in den Fragen von Asyl und Migration?

Ja, Strobl beugt sich zu oft. Mal sehen, ob Baden-Württember­g im Bundesrat zustimmt, die MaghrebSta­aten zu sicheren Herkunftsl­ändern zu machen. Es kann nicht sein, dass 60 Prozent der Abschiebun­gen misslingen und Strobl sich trotzdem als starken Mann darstellt.

Braucht es mehr Plätze für Abschiebeh­aft, vielleicht in Pforzheim?

Ich war von vornherein der Auffassung, dass Pforzheim ein ungeeignet­er Standort ist. Dort gibt es keine Möglichkei­t zur Erweiterun­g. Das heißt, wir brauchen mehr Kapazitäte­n, und die bekommen wir nur durch kreative Lösungen oder durch neue Standorte. Dabei müssen wir das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs beachten und dürfen also Abschiebeh­äftlinge nicht mit Straftäter­n einsperren. Genau das hatte Seehofer in seinem Masterplan ja vorgeschla­gen.

Die CDU verkauft ihre Sicherheit­spolitik als Erfolg – immerhin wurden mehr als 1500 neue Polizisten­jobs geschaffen. Trügt das Bild?

Ich sehe bei den Polizeiste­llen noch keinen Erfolg. Es gibt so viele Pensionier­ungen, dass es im Saldo keinen Stellenauf­bau gibt. Grün-Schwarz hat viel zu spät angefangen, Ausbildung­splätze zu schaffen. Wenn Strobl im Mai 2016 erklärt, dass er 1500 neue Stellen bis 2021 schaffen will und es bis 2018 dauert, bis er anfängt die Ausbildung­skapazität­en zu erweitern, kann ich es nicht als Erfolg werten.

Sie haben sich auch nicht kategorisc­h gegen die Verschärfu­ng des Polizeiges­etzes ausgesproc­hen. Sind sie noch die Partei, die den Bürger vor dem Staat schützt?

Ja, auf jeden Fall. Aber die Polizei braucht auch neue Kompetenze­n. Strobl hat mich angerufen und mir angeboten, mich im Landtag zu loben, wenn wir dem Polizeiges­etz zustimmen. Die Änderungen bei Polizeiund Verfassung­sschutzges­etz hätten wir auch mitgetrage­n, wenn darin ausdrückli­ch Online-Durchsuchu­ngen verboten worden wären. Damit drangen wir aber nicht durch. Wenn allerdings ein Gericht entscheide­t, dass ein ehemaliger Leibwächte­r von Osama bin Laden aus Tunesien zurückgeho­lt werden muss, dann reibt man sich schon die Augen. Das kann man der Bevölkerun­g nicht erklären, vor allem bei einem Land wie Tunesien, das demnächst als sicheres Herkunftsl­and eingestuft werden soll. Wenn Abschiebun­gen nach Tunesien rechtswidr­ig sind, stimmt etwas mit den Gesetzen nicht – und sie müssen geändert werden.

2016 haben Sie eine Koalition mit den Grünen ausgeschlo­ssen. Gilt das auch für 2021?

Wenn die CDU als Juniorpart­ner der Grünen bis zum Ende der Legislatur­periode weitervege­tiert, gehen wir in die Wahl ohne irgendwelc­he Ausschlüss­e – anders als ich das vor der letzten Wahl getan habe. Die demokratis­chen Parteien im Landtag, also Grüne, CDU und SPD, sind als Koalitions­partner denkbar. Das entscheide­t sich an Inhalten.

Der AfD-Fraktionsv­orsitzende Bernd Gögel hat jüngst in einem Interview mit uns damit geliebäuge­lt, mit Ihnen zu koalieren.

Diese Liebe werde ich nicht erwidern. Mit solchen AfD-Abgeordnet­en wie Stefan Räpple und Christina Baum kann man nicht regieren. Man braucht ein Personal, das halbwegs politikfäh­ig ist. Das ist in dieser Fraktion nicht erkennbar. Es müssen bestimmte Grenzen eingehalte­n werden, das tun die vier anderen Fraktionen, deshalb sind sie auch prinzipiel­l koalitions­fähig. In Zeiten wie diesen muss man bereit sein, in unterschie­dliche Koalitione­n zu gehen. Das sind wir – auch mit den Grünen. Dabei muss es aber auch um FDP-Inhalte gehen. Sonst gehen wir keine Koalition ein – das haben wir zuletzt im Land und auch auf Bundeseben­e bewiesen.

Das Interview mit Hans-Ulrich Rülke (FDP) ist das dritte in unserer Reihe von Sommerinte­rviews mit Spitzen-Landespoli­tikern. Den Anfang machten Wolfgang Reinhart (CDU) und Bernd Gögel (AfD), es folgen Andreas Stoch (SPD) und Andreas Schwarz (Grüne).

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