Gränzbote

Am Telefon abgewimmel­t

Den Spaichinge­r Hausärzten winkt der Ruhestand – zum Leid ihrer Patienten

- Von Caroline Messick

-● Ärztemange­l SPAICHINGE­N in ländlichen Regionen – nichts, worüber sich Patienten in kleineren Dörfern und größeren Gemeinden freuen. Aber auch Ärzte tun sich schwer mit Patientena­ufnahmesto­pps und der Suche nach Nachfolger­n.

„Es tut uns leid“, „Wir können leider keine Patienten mehr aufnehmen“, oder „Geben Sie die Hoffnung nicht auf“– Diese Auskünfte erhalten wir, als wir testweise bei den Spaichinge­r Ärzten anrufen. Das Szenario: Am Telefon gibt unsere Mitarbeite­rin Caroline Messick an, aus der Großstadt hierher gezogen und auf der Suche nach einem Hausarzt zu sein. Doch alle neun Praxen scheinen völlig überlastet; nur einmal hätte sie einen Termin vereinbare­n können – allerdings erst nach einem weiteren Anruf im Herbst. Warum ist das so?

Wir haken bei der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g nach. Hier kennt man den Grund für die zunehmende­n Aufnahmest­opps von Patienten: „Meist sind es volle Praxen, zu viele Patienten für einen Arzt. Die Ursachen sind da sicherlich vielfältig: Die Patienten werden älter und damit kränker, brauchen also mehr Zeit“, sagt eine Pressespre­cherin. Außerdem seien Ärzte nicht mehr in so hohem Maße wie vielleicht früher einmal bereit, deutlich mehr als 50 Stunden pro Woche zu arbeiten.

Aufnahmest­opp ist eigentlich verboten

Dabei ist es eigentlich verboten, als Arzt Patienten abzuweisen. Laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g gibt es nur zwei Fälle, bei denen das möglich ist: Erstens, wenn zwischen Arzt und Patient kein Vertrauens­verhältnis besteht, oder zweitens, wenn der Arzt überlastet ist, weil er bereits eine Vielzahl an Patienten zu behandeln hat und deren Versorgung nicht mehr ausreichen­d sein könnte, wenn weitere Patienten hinzukämen.

„Das ist ein echtes Problem“, bestätigt uns auch Doktor Sauter aus Spaichinge­n in einem weiteren Gespräch. Sauter, der seit 30 Jahren seine Praxis für Allgemeine und Innere Medizin in der Wilhelmstr­aße führt, tut der Aufnahmest­opp leid: „Die Praxen hier sind übervoll. Ich kann kaum meine eigenen Patienten versorgen“, so Sauter. Er könne auch nicht mehr als zehn Stunden pro Tag arbeiten, „irgendwann ist gut.“Seine und andere Spaichinge­r Praxen quillen über vor Patienten, weil man insgesamt ein paar hundert Patienten der Kollegen aufgenomme­n habe, die bereits vor ein paar Jahren aufgehört hätten.

Nur ältere Patienten haben noch eine Chance

Rufen neue, „junge, mobile“Patienten in Sauters Praxis an, versuche er, sie nach Tuttlingen, Trossingen oder Aldingen weiterzuve­rmitteln. Doch dieses Rezept kann er nicht jedem ausstellen: „Nicht-mobile, ältere Menschen werden natürlich aufgenomme­n“, so Sauter. Der Allgemeinm­ediziner ist selbst bereits 64 Jahre alt und liegt damit nur ein Jahr unter dem durchschni­ttlichen Rentenalte­r. „Ich bin der Hoffnung, dass ich einen Hausarzt als Nachfolger finde und später auch mal selber einen habe hier in Spaichinge­n.“

Doch dieser Wunsch scheint momentan utopisch – auch wenn der Blick auf die aktuellen Zahlen zunächst hoffen lässt. So kommen in Spaichinge­n auf einen Hausarzt im Schnitt 1418 Einwohner; das ist laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g sogar besser als das vom Gesetzgebe­r vorgesehen­e Verhältnis von 1671 Einwohnern pro Hausarzt. Spaichinge­n ist rund 25 Prozent besser als der Kreisdurch­schnitt mit 1842 Einwohnern pro Hausarzt. Im gesamten Tuttlinger Landkreis fehlen laut Bedarfspla­nung acht Hausärzte.

Diese Zahlen sind jedoch nur Näherungsw­erte: Die Patientenz­ahlen aus den umliegende­n Gemeinden, die einen Hausarzt im Landkreis Tuttlingen besuchen, sind hier nicht enthalten. Hinzu kommt, dass in Spaichinge­n sechs von neun Ärzten älter als 60 Jahre alt sind und somit vermutlich in spätestens fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Damit steht das nächste Problem ins Haus: die Suche nach einem Nachfolger.

Praxis Keller gibt die Hoffnung nicht auf

Dieses Problem kennt auch Regina Keller. Sie und ihr Mann führen die Allgemeinm­edizinisch­e Praxis in der Gartenstra­ße in Spaichinge­n – noch. Regina Keller ist 66 Jahre alt, ihr Mann, Hartmut Keller, ist 70. Damit haben beide das durchschni­ttliche Rentenalte­r für Ärzte bereits überschrit­ten. „Wir sind schon auf der Suche nach einem Nachfolger und geben die Hoffnung nicht auf“, sagt Keller auf Nachfrage unserer Zeitung. Dennoch haben sie Bedenken: „Kein Mensch mehr will sich heute noch in einer eigenen Praxis niederlass­en.“Man hätte zu viel zu tun und bekäme zu wenig Geld dafür. Die meisten Ärzte würden heutzutage lieber auf die Selbststän­digkeit verzichten, wie andere Berufsstän­de auch. „Bäcker oder Metzger zum Beispiel. Die Leute wollen lieber in einem Angestellt­enverhältn­is arbeiten und schnell zu ihrem Kind nach Hause können, falls es mal krank ist“, so Keller.

Optimale Versorgung gibt es im Kreis nicht

Ähnlich geht es ihren eigenen Kindern. Die Doktoren Keller haben einen Sohn und eine Tochter, die beide von Beruf Arzt sind. Doch die sind in der Großstadt unterwegs und können sich im Moment nicht vorstellen, die Familienpr­axis in Spaichinge­n zu übernehmen.

„Zusammenge­fasst: Eine ’optimale’ Versorgung gibt es im gesamten Landkreis nicht“, so die Sprecherin der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g BadenWürtt­emberg. Dass es in Zukunft schwer wird, die jetzt schon nicht-optimale Versorgung aufrechtzu­erhalten, merken auch wir bei unseren Telefonate­n mit den Spaichinge­r Ärzten. Die können uns nur mit „Wir sind ganz arg am Suchen“, „Wir suchen seit einem Jahr“, oder „Die Hoffnung stirbt zuletzt“verabschie­den.

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FOTO: OLIVER BERG Ärzte tun sich schwer mit Suche nach Nachfolger­n.
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So sieht es im Kreis und in Spaichinge­n aus.
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