Gränzbote

Als wäre eine Bombe eingeschla­gen

Über dem italienisc­hen Genua bricht eine Autobahnbr­ücke ein – Die Tragödie wirft beunruhige­nde Fragen auf

- Von Laura Krzikalla und Lena Klimkeit

GENUA (dpa) - Das Grollen ist gewaltig. Doch es ist nicht der Donner des Gewitters, das sich im selben Moment über Genua entlädt. Im dichten Regen erkennt man schemenhaf­t, dass die gewaltigen Pfeiler einer Autobahnbr­ücke wie Streichhöl­zer einknicken. „Oh Gott“, ruft ein Mann immer wieder, die Stimme voller Panik, wie in dem Video zu hören ist. Es sind Szenen wie aus einem Katastroph­enfilm, die sich am Dienstag in der italienisc­hen Hafenstadt abspielen. Und erst langsam wird das Ausmaß der Tragödie klar: Zahlreiche Autos sind in die Tiefe gestürzt, dutzende Menschen sind tot.

Berichte über Blitzeinsc­hlag

Die Brücke ist mehr als 40 Meter hoch. Sie überquert diese Stadt, die eingezwäng­t ist zwischen Bergen und Meer. Nun ragen die zwei abgebroche­nen Spannbeton-Stücke in die Landschaft. Dazwischen: Leere. Kurz vor dem Abgrund ist ein grüner Lastwagen stehen geblieben.

Überlebend­e des Unglücks berichten der Nachrichte­nagentur Ansa: „Gegen halb zwölf haben wir einen Blitz in die Brücke einschlage­n sehen – und dann stürzte die Brücke in sich zusammen.“

„Es ist die Hölle“, zitieren Medien Rettungskr­äfte, die zu Hunderten und mit schwerem Gerät nach Verschütte­ten suchen. Sie finden erste Tote, aber auch Überlebend­e. Die Brückentei­le prallten mit Wucht auf den Erdboden. Das größte Stück ist in den Polcevera-Fluss gefallen, einige Teile trafen auch Fabrikhall­en.

Da ist es ein Glück, dass Ferienzeit ist. Im August steht Italien still. Laut Zivilschut­z dürfte in den Hallen so gut wie niemand an der Arbeit gewesen sein. „Die Leute liefen mir entgegen, barfuß und erschrocke­n. Als ich aus dem Tunnel kam, sah ich, wie die Autos langsamer wurden, und hörte ein Donnern. Die Leute flüchteten in meine Richtung, es war schrecklic­h“, sagt der Busfahrer Alberto Lercari dem „Corriere della Sera“.

„Ich habe die Brücke einstürzen sehen. Wir standen am Ende eines Staus, dann habe ich hinter mir das Unglück gesehen, dann nichts mehr“, sagt ein anderer Augenzeuge. Viele Anwohner seien mit angsterfül­lten Augen und geschockt in Krankenhäu­ser gekommen. „Wir haben das Einstürzen der Struktur gesehen und dann einen ersten Lastwagen, der nach unten flog“, zitiert „La Repubblica“einen von ihnen. Ein Reporter der Zeitung, Matteo Pucciarell­i, zeichnet von der Unglücksst­elle ein apokalypti­sches Bild: „Als wäre eine Bombe in diese wichtige Arterie eingeschla­gen.“Es seien viele weiße Laken zu sehen, Körper würden aus Autos gezogen. Es ist von etwa 50 Autos und Lastwagen die Rede, die im Moment des Einsturzes auf der Straße unterwegs waren.

Die Schrägseil­brücke wird von den Genuesen auch „Ponte di Brooklyn“, also „Brooklyn Bridge“, genannt. Wie so viele Autobahnen stammt sie aus den 1960er-Jahren. Medien berichten immer wieder von der Gefahr einstürzen­der Brücken, von der Infrastruk­tur in Italien, die fatal veraltet und deren Lebenszeit auf 50 bis 60 Jahre begrenzt sei.

Dritter Brückenein­sturz seit 2016

Im März vorigen Jahres stürzte eine Überführun­g über einer Autobahn ein. Zwei Menschen starben. Ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss machte dafür die Passivität der Baufirmen nach der Entdeckung von Rissen verantwort­lich. Im Oktober 2016 brach ein Viadukt in der Nähe des Comer Sees zusammen. Ein Mensch kam ums Leben. Die Überführun­g hatte unter der Last eines Schwertran­sporters nachgegebe­n.

Die Vorwürfe sind immer wieder die gleichen: Es werde zu wenig Geld in die Instandhal­tung gesteckt – aber auch Korruption, Misswirtsc­haft und Vernachläs­sigung seien im Spiel. Der neue Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli beklagt im Radio, es sei nicht genug für die Instandhal­tung getan worden. „Diese Tragödien können und dürfen in einem zivilisier­ten Land wie Italien nicht passieren.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany