Gränzbote

Chance auf ein selbstbest­immtes Leben

In Wohngemein­schaften werden psychisch Kranke unterstütz­t – Serie Teil 3

- Von Claudia Steckeler

TUTTLINGEN - Betroffene, die nach einer psychische­n Erkrankung wie zum Beispiel einer Psychose oder Depression eine Chance suchen, ihr Leben wieder eigenveran­twortlich und selbstbewu­sst zu gestalten, finden im „Betreuten Wohnen“des Psychosozi­alen Förderkeis­es Tuttlingen die notwendige Unterstütz­ung und Begleitung. In Wohngemein­schaften lernen die Betroffene­n wieder eine Struktur in ihren Alltag zu bringen und diesen eigenveran­twortlich zu gestalten. Seit 1989 gibt es die Wohngemein­schaften. Zusätzlich gibt es seit 1995 das ambulant betreute Einzelwohn­en, hier leben die Menschen in ihren eigenen Wohnungen und werden von Sozialarbe­itern besucht und unterstütz­t.

„Es ist eine Maßnahme der Einglieder­ungshilfe nach dem Sozialgese­tz und wird hauptsächl­ich vom öffentlich­en Träger, dem Landkreis, finanziert“, erklärt Sozialarbe­iter Tobias Roming. „Diese Maßnahmen gibt es flächendec­kend.“In Tuttlingen gibt es drei Wohngemein­schaften, eine spezielle Frauen-WG mit vier Plätzen, für Frauen, die einen geschützte­n Rahmen brauchen, sowie zwei gemischte WGs, eine mit neun, die andere mit drei Plätzen. Alle in Stadtnähe, so dass die Bewohner gut am öffentlich­en Leben teilnehmen können. Bei Interesse an einer Wohngemein­schaft, und freien Plätzen, wird erst einmal zwei Wochen zur Probe gewohnt.

Arbeit ist individuel­l

„Insgesamt betreuen wir im Landkreis durchschni­ttlich 50 Personen, darunter auch diejenigen, die in ihren eigenen Wohnungen leben und dort begleitet werden“, erklärt Simone Vogler, Sozialarbe­iterin. „Dabei arbeiten wir sehr individuel­l“, bemerkt sie. „Wir richten uns nach den Bedürfniss­en unserer Klienten und arbeiten personenze­ntriert. Unser Ziel ist es, den Menschen mit Wertschätz­ung auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen zu einem geregelten Tagesablau­f zu verhelfen, ihr Selbstvert­rauen und das Selbstbewu­sstsein zu stärken.“

Die Sozialarbe­iter unterstütz­en da, wo es notwendig ist; die Klienten entscheide­n, an welchen Zielen sie arbeiten möchten. In einem Hilfeplan werden Ziele festgehalt­en und in regelmäßig­en Abständen mit der zuständige­n Fachkraft der Einglieder­ungshilfe besprochen. Ein empathisch, mitfühlend­es Interesse an den Bedürfniss­en, Gedanken und Gefühlen der Menschen ist eine der Grundvorau­ssetzungen für die spannende Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen, bemerkt Tobias Roming. „Und ich bin immer wieder beeindruck­t, wie sie ihre krisenhaft­en Lebenslage­n gemeistert haben. Eine wichtige Voraussetz­ung für die Hilfe im Betreuten Wohnen ist, dass sich die Betroffene­n auf das Hilfsangeb­ot einlassen – das heißt aktiv nach ihren Möglichkei­ten mitarbeite­n.“Oft hilft ein Kennenlern­gespräch, um Zweifel oder offene Fragen zu klären.“

„Die meisten unserer Klienten sind dankbar. Sie schätzen unsere Art der Unterstütz­ung. Individuel­le Betreuung und die Möglichkei­t, kreativ arbeiten zu können, machen dieses Arbeitsfel­d für mich sehr spannend und attraktiv“, stellt Simone Vogler fest.

Eine Betroffene, Carole Ravaux, berichtet begeistert von der Einrichtun­g. „Ich war anfangs in einer gemischten Wohngemein­schaft. Inzwischen lebe ich in einer eigenen Wohnung und werde ambulant betreut. Das hat mir geholfen, wieder in den Alltag zurück zu finden. Die Betreuung gibt mir Stabilität, denn ich weiß, wenn irgendetwa­s ist, wohin ich mich wenden kann“, erzählt sie lachend. „Ich habe wieder eine Tagesstruk­tur aufgebaut, bin emotional wieder stabil. Ich habe wieder etwas zu tun, habe eine Aufgabe und bin in der Gemeinscha­ft angekommen. Ich weiß, dass ich nicht allein bin“, erzählt sie und erklärt, dass sie es besonders schätzt, als Mensch behandelt zu werden, nicht als „Nummer“.

Telefonier­en wird zur Qual

Es sind Selbstzwei­fel, Ängste, Reizüberfo­rderungen, Gedankenüb­erflutunge­n, die bei den Betroffene­n zum Beispiel schon das Telefonier­en zur Qual werden lassen, die das tägliche Leben erschweren. Dazu kommen sehr oft Einsamkeit und ein Verlassenh­eitsgefühl. „Genau da kommt das Betreute Wohnen mit dem siebenköpf­igen Team ins Spiel. Wir wollen, dass unsere Klienten sich als wichtigen Teil der Gemeinscha­ft erleben können, jenseits der Werte der Leistungsg­esellschaf­t“, betont Tobias Roming.

Dabei kooperiere­n sie eng mit den unterschie­dlichsten Institutio­nen wie dem Frauenhaus, Phönix, dem Sozialpsyc­hiatrische­n Dienst des Landkreise­s, der Suchtberat­ung, der Stiftung Liebenau, dem FED, oder der Donauwerks­tatt zusammen. Ziel von allen ist es unter anderem, die sogenannte „Drehtür-Psychiatri­e“zu vermeiden. „Dies bedeutet Klinikaufe­nthalt, Entlassung, wieder Klinik, wieder Entlassung – eben eine Situation, die sich unaufhörli­ch weiter dreht. Durch unsere individuel­le, auf den Menschen angepasste Unterstütz­ung, versuchen wir Heim- und Klinikaufe­nthalte zu vermeiden“, betont Tobias Roming. „Wir haben zum Beispiel Klienten, die kurz vor der Heimaufnah­me standen und jetzt im Betreuten Wohnen seit über 15 Jahren nicht mehr in der Klinik waren.“

Es gibt auch ein Sommerprog­ramm: Dann geht es gemeinsam an den Bodensee, zu Campus Galli, ins Schloss nach Sigmaringe­n und vielem mehr. Auch ein gemeinsame­r Urlaub kann verbracht werden, in diesem Jahr führt die Reise im Herbst mit der Kunstthera­peutin nach Griechenla­nd.

Das Team des Betreuten Wohnens möchte Mut machen, bei Interesse am ambulant Betreuten Wohnen ganz einfach und unverbindl­ich anzurufen: Ansprechpa­rtner ist Tobias Roming, Telefon 07461 / 23 68. Freie Plätze für Wohngemein­schaften können ebenfalls abgefragt werden.

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FOTO: CLAUDIA STECKELER Das Team des „Betreuten Wohnens“des Psychosozi­alen Förderkrei­ses hilft, dass psychisch Kranke selbstbest­immt leben können.

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