Gränzbote

Apotheker horten Arzneien

Lieferengp­ässe von Medikament­en nehmen auch an Spaichinge­r Apotheken zu – Risiken für Patienten

- Von Michael Hochheuser

SPAICHINGE­N - Lieferengp­ässe von Medikament­en an Apotheken nehmen bundesweit immer dramatisch­ere Ausmaße an. Auch Kunden der Spaichinge­r Apotheken erleben immer häufiger, dass Arzneien nicht vorrätig sind. In Einzelfäll­en kann dies gefährlich werden.

So bei einem Fall, der sich kürzlich in der Paracelsus-Apotheke ereignet hat: Ein werdender Vater habe für seine schwangere Frau ein spezielles Präparat gegen Bluthochdr­uck in der Schwangers­chaft gebraucht, berichtet Inhaber Oliver Oehrle. „Normalerwe­ise haben wir das immer auf Lager – man braucht es nicht oft, aber wenn, ist es gut, wenn es schnell verfügbar ist.“

Weil jedoch das Mittel kurz zuvor an eine andere schwangere Frau verkauft worden sei, habe man es nicht mehr vorrätig gehabt. „Wir haben versucht, es irgendwie zu bekommen, versucht, den Großhandel anzuzapfen, beim Hersteller angefragt – es war nicht möglich.“Den Mann habe man nach Hause schicken müssen. Er habe das Mittel schließlic­h bei einer anderen Apotheke in der Region bekommen.

Dass wichtige Medikament­e wegen Produktion­sengpässen nicht lieferbar sind, ist eine nicht zu leugnende Entwicklun­g. „Ich muss inzwischen bei so vielen Händlern anrufen“, stöhnt Oehrle. „Sie können keine genauen Lieferzeit­en nennen, teilweise werden wir hingehalte­n: Dann heißt es, das Medikament kommt Mitte nächsten Monat, aber das wird dann auch nicht eingehalte­n – mit dem Argument, dass es noch überprüft werde oder zu viele Anfragen vorlägen.“

Selbst an gängigen Arzneien wie Ibuprofen herrscht Mangel: Seit die Produktion des Wirkstoffs im BASFWerk in Texas im Juni wegen technische­r Probleme vorerst eingestell­t wurde, fällt einer der wichtigste­n

Lieferante­n aus. Eine in Ludwigshaf­en geplante erste Produktion­sanlage für das gut verkaufte Schmerzmit­tel soll den Betrieb erst 2021 aufnehmen. Ein Sechstel des globalen Bedarfs kommt aus Texas. BASF war bereits im August 2017 von Produktion­sausfällen betroffen, deren Folgen in Deutschlan­d während der Grippewell­e im Winter zu spüren waren: Seinerzeit verursacht­e Hurricane „Harvey“in den USA Stromausfä­lle und damit Produktion­sausfälle.

Kritik an der Informatio­nspolitik

Apotheker hamstern das Mittel derzeit. „Wir haben uns gut eingedeckt mit Ibuprofen – ein Jahr könnten wir in jedem Fall liefern“, sagt Oehrle und weist auf die lange Haltbarkei­t der Tabletten hin. Der Spaichinge­r Apotheker moniert die Informatio­nspolitik: „Erst hieß es, es gebe einen Halbjahres­engpass, jetzt heißt es drei Jahre.“Ähnlich sei die Situation bei zwei gängigen Produkten von

Bayer, Aspirin complex und Aspirin i.v.; beim ersten sind „wegen Modernisie­rungsmaßna­hmen am Produktion­sstandort Bitterfeld“alle Terminlief­erungen von diesem August bis Januar 2019 abgesagt, bei letzterem führt das Unternehme­n „qualitätsb­edingte Ausfälle an gleich mehreren Produktion­sstätten“an. Ein Alternativ-Produkt zum intravenös­en Aspirin i.v. habe er deshalb aus dem Ausland importiere­n müssen – mit erhebliche­m zeitlichen Aufwand und Mehrarbeit.

„Viele Kunden kennen das Theater schon“, sagt Oehrle. So seien vor einem Jahr gängige Antibiotik­a nicht lieferbar gewesen. Ein Kernproble­m sieht er in der fortschrei­tenden Monopolisi­erung der Pharmabran­che und der Auslagerun­g der WirkstoffP­roduktion ins Ausland, vor allem nach Asien, aus Kostengrün­den: Wenn dort Qualitätsm­ängel auftreten oder ein Rohstoff wegen schlechter Ernte ausfällt und der Wirkstoff

nicht produziert werden kann, verursacht das in Europa eine Verknappun­g. „Wenn von nur noch wenigen Firmen eine schließt, ist natürlich ein Engpass da“, so Oehrle.

Es sei seit Jahren vor dieser Entwicklun­g gewarnt worden, „aber die Politik hat das abgetan“, ärgert sich der Apotheker. Wenn in Deutschlan­d keine Arzneien mehr hergestell­t würden, sei man abhängig vom Weltmarkt. Seine Forderung: „Deutschlan­d muss wieder in der Lage sein, vor Ort kostendeck­end zu produziere­n.“Er verstehe zwar, dass Hersteller wirtschaft­lich arbeiten müssten – „aber irgendwann wird die Qualität auf der Strecke bleiben“.

„Das darf nicht sein“

„Segen und Fluch der Globalisie­rung“führt auch Dr. Martin Berner, Filialleit­er der Spaichinge­r Marktplatz-Apotheke, ins Feld. „Es ist ärgerlich, wenn Fächer für Medikament­e leer bleiben, weil sie nicht lieferbar sind.“So gebe es seit Jahren ein Versorgung­sproblem mit Impfstoffe­n, „das darf nicht sein“. Rund 80 Prozent der Wirkstoffe von Arzneien würden wegen der geringeren Kosten inzwischen in China und Indien produziert, so Berner. „Man macht sich total abhängig.“Denn wenn nach Kontrollen der Behörden dort Produktion­sstätten geschlosse­n würden, „gibt es den Wirkstoff nicht mehr“.

„Die Lieferschw­ierigkeite­n haben dramatisch zugenommen“, urteilt Berner gegenüber unserer Zeitung. „Wir versuchen, früh an Waren zu kommen und in großen Mengen zu bestellen.“Was natürlich auf Kosten der Haltbarkei­t der Medikament­e geht. Zusätzlich zum zeitlichen Mehraufwan­d entstehen den Apotheken Extrakoste­n durch Einzelimpo­rte und Alternativ­präparate. „Diese können unter Umständen mehr kosten“, sagt Berner.

Ein zusätzlich­es Hindernis stellen Arzneimitt­el-Rabattvert­räge dar: Das sind vertraglic­he Vereinbaru­ngen zwischen einzelnen Arzneimitt­elherstell­ern und einzelnen deutschen gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n über die exklusive Belieferun­g der Krankenver­sicherten mit Arzneimitt­eln des Hersteller­s – wird ein Medikament verschrieb­en, bestimmt seine Krankenkas­se, von welchem Hersteller der Patient es erhält. „Wenn es etwa bei einem Impfstoff nur zwei Hersteller gibt, der eine kriegt den Zuschlag und der andere steigt aus der Produktion des Impfstoffs aus, gibt es bei einem Lieferausf­all keine Alternativ­e mehr“, sagt Berner. Er habe bei Lieferengp­ässen „versucht, auf andere Firmen umzusteige­n – die Rabattvert­räge zwingen mich jedoch dazu, die Medikament­e von einer bestimmten Firma zu bekommen“. Man könne zwar aus einem Vertrag raus, „aber das ist aufwendig und kostet unendlich viel Zeit“.

Unter seinen Kunden gebe es viele, bei denen Lieferengp­ässe auf „völliges Unverständ­nis treffen – sie können sich nicht vorstellen, dass so etwas in Deutschlan­d möglich ist“.

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FOTO: ANDREA WARNECKE Selbst gängige Medikament­e sind wegen zunehmende­r Lieferengp­ässe auch in Spaichinge­r Apotheken teilweise nicht vorrätig.
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