Pflegeplätze werden knapp im Südwesten
Anbieter klagen über große Nachfrage und Personalmangel – Zahl der Hilfsbedürftigen steigt
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STUTTGART - Angehörige von Pflegebedürftigen finden immer schwerer einen Platz in Seniorenheimen. Wie Recherchen der „Schwäbischen Zeitung“ergaben, stellt sich dieses Problem in weiten Teilen Südwürttembergs. Auch Termine bei ambulanten Pflegediensten zu bekommen, wird immer schwieriger.
Verantwortliche von Einrichtungen und Diensten sprechen von einer großen Nachfrage und zunehmenden Problemen, das nötige Personal zu finden. Angehörige müssten lange Wegstrecken in Kauf nehmen, um einen Platz zu finden. In Oberschwaben, Allgäu und am Bodensee seien die Plätze in Pflegeheimen knapp, sagt etwa Franz Höfle, Sprecher des Caritasnetzwerks Alter und Pflege in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Dies gelte aber auch für die Kurzzeitpflege und bei ambulanten Diensten. Stefan Kraft, Landesgeschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (BPA), bestätigt diesen Eindruck: „Das hören wir von unseren Mitglieder quasi täglich. Mittlerweile müssen Heime und ambulante Dienste reihenweise Interessenten abweisen.“Der BPA vertritt im Land rund 670 Mitglieder.
Nach Berechnungen des Statistischen Landesamtes könnte die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Baden-Württemberg noch deutlich steigen. Derzeit sind mehr als 300 000 Menschen auf Hilfe angewiesen. Das Amt rechnet mit bis zu 402 000 Pflegebedürftigen im Jahr 2030 und geht bis 2050 von einer annähernden Verdopplung aus. Treffen diese Prognosen zu, bräuchte man bis dahin rund 141 000 zusätzliche Pflegekräfte.
Während die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen steigt, fehlt auf der anderen Seite das Personal in der Pflege. Anbieter wie die Zieglerschen suchen mittlerweile sogar in China nach geeigneten Mitarbeitern. Doch gerade bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich die Verantwortlichen im Stich gelassen. „Da machen wir viel – sind aber leider weitgehend auf uns alleine gestellt“, kritisiert der Zieglersche-Chef Sven Lange. Ob es um die komplizierte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, Sprachkurse oder anderes geht – hier mangele es an staatlicher Unterstützung.
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STUTTGART - Die Frau am Telefon weint. Ihre Mutter liegt nach einem Sturz im Krankenhaus. Zuhause wird sie nicht mehr allein zurecht kommen. Bald soll die alte Dame entlassen werden. Aber wohin? Das Altenhilfezentrum Isny (AHZ) ist das achte, das die Tochter anruft. Und die Antwort bleibt dieselbe. Es sind keine Plätze frei. „Ich arbeite, ich habe Familie, wie soll ich das machen?“, sagt die Tochter.
Solche Fälle begegnen Franz Höfle immer wieder. Er leitet das AHZ und ist Sprecher des Caritas-Netzwerkes Alter und Pflege in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Viele Angehörige müssen eine Odyssee in Kauf nehmen, um Plätze zu finden. In Oberschwaben, im Allgäu und am Bodensee sind Plätze in Pflegeheimen knapp, ebenso wie in der Kurzzeitpflege und bei ambulanten Diensten.“Gerade bei mobilen Pflegediensten wächst die Nachfrage laut Höfler „exorbitant“. Im Raum Wangen, Isny und Leutkirch steige die Nachfrage nach solchen Angeboten um ein Drittel pro Jahr.
Ähnliches berichten Pflegeanbieter in der gesamten Region. Sie haben Probleme, der Nachfrage Herr zu werden und das notwendige Personal zu finden. Von den Zieglerschen mit ihren 60 Einrichtungen zwischen Bodensee und Stuttgart heißt es: „Tatsächlich können wir selten ad hoc einen Platz in unseren Seniorenzentren (stationär oder als Kurzzeitpflege) anbieten. Wir haben große Nachfragen und müssen leider oft Anfragen ablehnen. Betroffene müssen sich auch damit befassen, dass ein wohnortnaher Platz kaum möglich ist.“Achim Uhl vom Paritätischen Wohlfahrtsverband berichtet: „Vor allem bei der hauswirtschaftlichen Unterstützung können viele Anbieter nicht mehr alles leisten, was gewünscht ist – als Unterstützung beim Putzen, Kochen oder Einkaufen.“
Logistisch nicht zu leisten
„Mittlerweile haben wir Anfragen aus einem Umkreis von mehr als 40 Kilometern für unsere ambulanten Dienste, das können wir aber schon logistisch nicht leisten“, sagt Jörg Allgayer, Geschäftsführer der Vinzenz von Paul GmbH. Diese führt Einrichtungen zwischen Schwäbisch Gmünd, Allgäu und Sigmaringen. „Aktuell können wir die Kundenanfragen noch bedienen, aber es erfordert zunehmend einen hohen Koordinationsaufwand und sowohl Flexibilität von unseren Kunden als auch Mitarbeitern.“
Wer also morgens um 8 Uhr gebadet werden will, hat ein Problem. Denn gerade in Stoßzeiten haben die ambulanten Dienste keine Termine mehr frei. Das macht es auch schwierig für die Mitarbeiterinnen. Eine Vollzeitkraft müsste theoretisch morgens vier Stunden und abends vier Stunden arbeiten. Doch solche Arbeitstage kann kaum jemand mit der eigenen Familie vereinbaren.
Die Gründe für das Problem sind vielfältig. Die Zahl der älteren und Pflegebedürftigen steigt. Krankenhäuser entlassen die Menschen heute wesentlich rascher als früher, weil sie nicht mehr nach Krankenhaustagen, sondern nach Pauschalen pro Behandlungsfall gezahlt werden. Seit Jahren verspricht die Politik den Menschen, dass sie so lange wie möglich zu Hause bleiben können. In Umfragen bekunden die meisten Bürger auch genau diesen Wunsch. Doch die Wirklichkeit sieht noch sehr oft anders aus. Nicht alles, was wünschenswert wäre, ist bereits möglich. Die Anbieter sehen sich Klienten gegenüber, die oft über ausreichend Geld verfügen. Dafür erwarten sie auch, dass sie keine Abstriche bei den Pflegeleistungen machen müssen.
Doppelte Anlaufzeit
Doch Caritas, Diakonie und Co. kommen nicht hinterher. Neu gebaute Pflegeeinrichtungen brauchen heute im Vergleich zu vor zehn Jahren etwa zwei Jahre, bis sie Kunden aufnehmen können. Diese Anlaufzeit ist doppelt so lang wie vor zehn Jahren. Denn Kunden aufnehmen können die Heime erst, wenn Personal gefunden ist – und das dauert heute länger.
Sven Lange, Geschäftsführer der Zieglerschen moniert: „Das politische Große-Sprüche-Klopfen, ein Ordnungsrecht, das einem die Luft im Alltag abschnürt und das Schlechtreden der Pflegebranche bringen gar nichts.“Wie er bemängeln viele Verantwortliche, dass Auflagen und Verwaltungsaufwand zu hoch seien.
Die Zieglerschen werben Personal vom Balkan an, kooperieren mit den dortigen Ausbildungszentren und strecken Fühler sogar nach China aus. Doch gerade bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich die Verantwortlichen von der Politik im Stich gelassen. „Da machen wir viel – sind aber leider weitgehend auf uns alleine gestellt“, so Lange. Ob es um die komplizierte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse geht, Sprachkurse oder anderes – hier mangle es an staatlicher Unterstützung.
Politiker in Land und Bund haben das Problem erkannt. Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) setzt unter anderem auf das sogenannte Quartiersmanagement. Dabei geht es darum, verschiedenen Anbieter von Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen miteinander zu vernetzen, Ehrenamtliche einzubinden und Konzepte für ein Miteinander der Generationen in einem Stadtviertel zu schaffen. Beides, so sagen Praktiker, macht zwar Sinn, hat aber Grenzen. Denn derzeit ist der Markt an Pflegekräften leer, der Beruf zu schlecht bezahlt und zu wenig gut angesehen.
Luchas Pläne halten die Praktiker zum Teil für sinnvoll. Aber vieles wirke zu langsam, so die Kritik. „Uns fehlen die Pflegeplätze jetzt“, heißt es. Außerdem erforderten neue, ambulante Pflegeformen oft erheblich mehr Planung und Verwaltung als Pflegeheime. Deswegen dauere es, bis diese den steigenden Bedarf wirklich decken könnten. Außerdem sind Plätze in Senioren-WGs oder anderen ambulanten Einrichtungen teurer als im Heim. Franz Höfle rechnet vor: „Im Heim zahlen Sie zwischen 1500 und 5000 Euro pro Monat, ambulant können das bis zu 20 000 werden.“