Gränzbote

Wenn Kinder Kind sein dürfen

Patenschaf­ten für Nachwuchs psychisch belasteter Eltern – Vierter und letzter Teil

- Von Claudia Steckeler

TUTTLINGEN - Für einige wenige Stunden in der Woche einfach nur Kind sein dürfen. Für diese Zeit die gewohnte Familienst­ruktur verlassen, und mit einem Paten Freizeitan­gebote wahrnehmen, etwas tolles unternehme­n, Sorgen, Nöte und alltäglich­e Aufgaben für diese Zeit hinter sich zu lassen, das ermöglicht das Hilfsangeb­ot PIT - Patenschaf­ten für Kinder psychisch belasteter Eltern, des Psychosozi­alen Förderkrei­ses Tuttlingen.

Das Projekt PIT wurde 2008 als Pilotproje­kt in Kooperatio­n mit dem Kommunalve­rband Jugend und Soziales KVJS des Landes Baden-Württember­g, dem Landratsam­t Tuttlingen und dem Psychosozi­alen Förderkrei­s ins Leben gerufen. Es ist ein Angebot für Kinder, deren Eltern durch eine psychische Erkrankung daran gehindert sind, ihrem Kind die volle Aufmerksam­keit zu schenken. Nach drei Jahren Projektpha­se fiel die Förderung durch das Land (KVJS) weg. Seit dieser Zeit wird dieses Unterstütz­ungsangebo­t durch das Landratsam­t und den Psychosozi­alen Förderkrei­s getragen.

„Die Eltern, meist sind es nur Elternteil­e, sind durchaus in der Lage ihre Kinder zu erziehen“, stellt Bettina Sailer, Sozialpäda­gogin und Mitarbeite­rin von PIT fest. „Es ist nur dann schwierig, wenn sie sich gerade in einer instabilen Phase befinden. Dann ist der betroffene Elternteil so sehr von dieser Krankheit und deren Auswirkung­en absorbiert, dass er sich nur noch begrenzt oder gar nicht mehr um den Familienal­ltag kümmern kann.

Somit kann das soziale Netz innerhalb und außerhalb der Familie im schlimmste­n Fall zusammenbr­echen – in zahlreiche­n Fällen übernehmen dann die Kinder die Verantwort­ung und versorgen ihre erkrankten Eltern und Geschwiste­r. Die eigenen kindlichen Bedürfniss­e werden zurückgest­ellt. Angst und Verunsiche­rung prägen das kindliche Erleben und ohne erwachsene Begleitund Bezugspers­on an der Seite, sind sie gravierend­en Veränderun­gen ausgesetzt. Viele ziehen sich zurück und werden so auch aus dem sozialen Kontext ausgegrenz­t“, erklärt Bettina Sailer.

Gespräche in häuslicher Umgebung

Hier kommen dann die Paten ins Spiel: Meist wird das PIT-Büro vom Kinderschu­tzbund, Schulen, Ärzten, psychologi­schen Einrichtun­gen, aber auch vom Jugendamt kontaktier­t. Sind die Eltern einsichtig, dass die Diagnose vorhanden ist und sind sie bereit, die Unterstütz­ung anzunehmen, „manche weigern sich auch, weil sie Angst haben, dass man ihnen die Kinder wegnimmt“, bemerkt Bettina Sailer, „dann nehmen wir zu ihnen Kontakt auf. Wir stellen uns vor und entscheide­n nach dem Gespräch in der häuslichen Umgebung der Familie, welcher Pate für sie in Frage käme.“Gemeinsam mit allen Betroffene­n wird dann der Wohnort des Paten sowie der des Kindes besucht. Kommt es zu einer Übereinsti­mmung, entscheide­t der Pate gemeinsam mit dem Kind und dessen Eltern, an welchem Tag, und für wie lange sie sich für gemeinsame Aktivitäte­n, meist im Freizeitbe­reich, außerhalb der Familie treffen.

„Momentan haben wir noch vier aktive Paten, zwei weitere haben angefragt“, berichtet Bettina Sailer. „Wir könnten aber noch mehr gebrauchen. Im Laufe der Zeit hatten wir 30 Paten mit über 30 Vermittlun­gen, manchmal auch Doppelverm­ittlungen.“Pate werden kann jeder, der Freude am Umgang mit Kindern und Zeit hat. „Die Kinder sind meist jüngeren Alters, Kindergart­enkinder, Grundschül­er, oder am Anfang der weiterführ­enden Schulen. Dabei sollte jeder einzelne offen mit der Situation umgehen, nicht so viel nachdenken, einfach handeln und akzeptiere­n, dass ein Kind einfach ein Kind ist“, so Bettina Sailer. „In der Regel möchten die Kinder während ihrer Zeit bei den Paten gar nicht mal über die Situation zu Hause sprechen. Prinzipiel­l sollte es aber schon so sein, dass die Kinder über das Krankheits­bild des erkrankten Elternteil­s aufgeklärt werden – im besten Fall von den Angehörige­n selbst oder von profession­eller Seite.

Keine erzieheris­che Aufgabe

„Paten haben auch nicht die Aufgabe, erzieheris­ch tätig zu werden“, betont Bettina Sailer. „Die Paten können mit ihrem Engagement dafür sorgen, dass das Kind zum Beispiel wieder Vertrauen und soziale Kontakte zu anderen Menschen aufbauen kann. Dass für die gemeinsame Zeit eine gewisse Leichtigke­it und Freude in ihr Leben einkehrt.“

Wer Pate werden will wird geschult. Es gibt drei Schulungsa­bende zu den Themen Kinder (kindliche Verhaltens­weisen verstehen, um angemessen darauf reagieren zu können), psychische Erkrankung­en und einen inhaltlich­en Überblick zu dem Angebot PIT, die von den Sozialpäda­goginnen Bettina Sailer und Maria Walter, unterstütz­t von Dr. Frieder Böhme, abgehalten werden.

„Außerdem treffen wir uns zwei Mal im Jahr zum gemeinsame­n Erfahrungs­austausch. Sollte es darüber hinaus Fragen oder Probleme geben, können wir auch jederzeit kontaktier­t werden“, erklärt Bettina Sailer.

Wer Interesse an der Arbeit mit Kindern hat und dafür pro Woche mindestens zwei Stunden aufbringen kann, kann sich an Bettina Sailer, Telefon 0151 / 580 234 04, oder Maria Walter, Telefon 0151 / 580 234 10 wenden, oder aber im Büro in der Schillerst­raße 5/1 in Tuttlingen vorbeikomm­en. Sprechzeit ist ab September mittwochs von 16.30 bis 18 Uhr, oder nach Vereinbaru­ng. Auch betroffene, hilfesuche­nde Familien können sich dort melden.

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FOTO: CLST Die Sozialarbe­iterinnen Maria Walter (links) und Bettina Sailer sind die Ansprechpa­rtnerinnen für betroffene Familien und ehrenamtli­che Paten des Projektes PIT innerhalb des Psychosozi­alen Förderkrei­ses.

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