Minister Guido Wolf im Interview
Tuttlinger CDU-Politiker spricht über die Gäubahn, Europa und die Justiz.
TUTTLINGEN - Guido Wolf, Minister für Justiz, Europa und Tourismus in Baden-Württemberg, ist derzeit viel in Sachen Gäubahn und Europa im Land unterwegs. Darüber sprach der Tuttlinger Landtagsabgeordnete mit unserem Redakteur Christian Gerards.
Minister Wolf, die Gäubahn ist in den vergangenen Wochen wieder in die Schlagzeilen geraten. Der Ausbau der Strecke Horb-Neckarhausen kommt nicht richtig voran.
Das ist ein permanentes Ringen. Zuletzt hat es Irritationen wegen der Neigetechnik gegeben. Die Bahn will sie nicht, der Interessenverband und das Landesverkehrsministerium wollen sie hingegen. Wir sind der Ansicht, dass nur die Neigetechnik zu einer Fahrzeitverkürzung führt. Das Land hat die Bereitschaft signalisiert, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Das Bundesverkehrsministerium hat dieses Angebot des Landes nun aufgenommen (siehe Kasten). Damit kann endlich die Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Bahn abgeschlossen werden. Das ist für den Streckenabschnitt Horb-Neckarhausen eine positive Nachricht.
Wie frustrierend ist das für Sie als Vorsitzender des Interessenverbands Gäubahn?
Das Thema ist ein ständiges Auf und Ab und leider auch immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet. Das ist bisweilen frustrierend. Wir arbeiten hartnäckig weiter. Dabei ist es gut, dass wir einen überparteilichen Schulterschluss praktizieren. Wir sind jetzt einen Schritt weiter, aber noch lange nicht am Ziel.
Können Sie verstehen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung das Thema inzwischen vielfach mit einem Kopfschütteln registriert wird?
Ich kann diejenigen verstehen, die in der langen Diskussion die Hoffnung schon fast aufgegeben haben. Das geht mir ja manchmal fast selbst so. Die Umsetzung von Versprechungen aus der Vergangenheit dauert oftmals viel zu lange. Politik heißt für mich aber auch, an einer Sache dran zu bleiben und auch an einem dicken Brett weiter zu bohren.
Sie haben mit dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung in der vergangenen Woche den Vorstoß gemacht, den Seehas bis nach Immendingen fahren zu lassen. Kritiker sagen, dass die Verlängerung durchaus bis Tuttlingen gehen könnte.
Die Idee ist ein erster Schritt und die Folge eines kleinen Bahngipfels im Landkreis Konstanz. Wir haben eine dortige Äußerung des Seehas-Betreibers genutzt, um politisch aktiv zu werden. Dort hieß es, es sei grundsätzlich möglich, den Seehas bis Immendingen zu verlängern. Wir müssen um die weitere Verbesserung des ÖPNV werben. In Tuttlingen gibt es zudem das Mobilitätskonzept, das im Zuge der Landesgartenschau-Bewerbung entwickelt worden ist. Das unterstütze ich sehr und ich bin mit Oberbürgermeister Michael Beck in einem engen Austausch. Es gibt ja auch Überlegungen, das Ringzug-Konzept der Kreise Tuttlingen, Rottweil und Schwarzwald-Baar mit weiteren Haltepunkten weiterzuentwickeln.
Haben Sie eigentlich schon eine Antwort von Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/ Die Grünen) auf Ihren Vorstoß hin bekommen?
Nein, es ist aktuell ja auch Urlaubszeit. Ich bin aber davon überzeugt, dass Winfried Hermann dieser Idee aufgeschlossen gegenübersteht.
Jüngst wurde das Forschungs- und Innovationscentrum (IFC) am Hochschulcampus eröffnet. Sie sind Vorsitzender des Förderkreises am Hochschulcampus . ...
Für mich ist das in erster Linie ein weiterer Beleg dafür, dass die Gründung des Tuttlinger Hochschulstandorts goldrichtig gewesen ist. Wir haben schneller als erhofft die nächste Ausbaustufe erreicht. Das IFC ist mit der Forschung die zweite Ebene des Hochschulcampus und ein Bindeglied zu den Unternehmen mit ihren hervorragenden Ideen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns in absehbarer Zeit schon über einen weiteren Ausbau des IFC unterhalten werden.
Allerdings ist die finanzielle Ausstattung des IFC für Personal nicht besonders opulent ...
Die Professoren müssen das Ziel haben, eigene Projekte voranzutreiben und Drittmittel zu bekommen. Das ist leistbar. Ich bin mir sicher, dass wir dazu mit Prof. Martin Haimerl als IFC-Leiter eine gute Wahl getroffen haben.
Sie werden nicht müde zu betonen, dass das IFC auch mit Mitteln der Europäischen Union finanziert worden ist.
Wir müssen zeigen, dass Geld nicht nur nach Europa geht, sondern wir auch von Europa einiges zurückbekommen. In der Kommission herrscht zurecht die klare Überzeugung, dass nicht nur in die Zentren investiert wird, sondern auch in den ländlichen Raum.
Zuletzt scheint die Kritik an der EU wieder etwas abgenommen zu haben. Sehen Sie das ähnlich?
Ich nehme das differenzierter wahr. Es gibt durchaus zunehmend Menschen, die die Vorteile Europas bewusster wahrnehmen und für diese werben. Es ist wichtig, dass wir nicht alles als selbstverständlich ansehen: Die Welt um Europa ist frostiger geworden. Wir tun uns zunehmend mit den USA schwer. Da ist es wichtig, dass wir in Europa zusammenstehen.
Und die andere Wahrnehmung?
Kritisch sehe ich die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in einigen Ländern der EU. Ich war vor Kurzem in Rumänien, das das Zeug dazu hätte, mit ein führendes Land in Europa zu werden. Aber bei Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz hat das Land in den Rückwärtsgang geschaltet und droht, in alte Strukturen zu verfallen. Auch in Polen und Ungarn beobachten wir derzeit leider eine ähnliche Entwicklung.
In Sachen Brexit kommt nun ein neues Referendum ins Spiel. Eine Entwicklung, die Sie unterstützen?
Darüber muss ich schmunzeln. Ich habe immer wieder meine Wahrnehmung zum Ausdruck gebracht, dass es in Großbritannien einen neuen Anlauf geben könnte, um das Land in der EU zu belassen. Damit bin ich auf Skepsis gestoßen, doch mittlerweile halten dies immer mehr zumindest für möglich. Mein Eindruck ist, dass die Briten merken, wie sehr sie sich ins Abseits und auf das Abstellgleis befördert haben. Ich schließe nicht aus, dass ein neues Votum kommt. Dafür setzen sich vor allem die jungen Menschen ein. Klar ist aber auch, dass es nach wie vor viele gibt, die den Brexit befürworten. Die werden nicht schweigen.
Die Pro-EU-Bewegung in Großbritannien dürfte auch daher kommen, weil der Schulterschluss mit den USA unter Präsident Donald Trump schwieriger ist als zunächst angenommen ...
Die Entwicklung in den USA führt in weiten Teilen Europas dazu, dass man sich verwundert die Augen reibt und die Stirn in Sorgenfalten legt. Die Zusammenarbeit mit den USA bleibt die nächsten Jahre schwierig und wird vielleicht noch schwieriger. Trumps Ziel ist es, zu spalten. Die Reaktion darauf kann in Europa nur ein gemeinsames Auftreten sein.
Die Türkei hat den Ton gegenüber den USA verschärft. In Tuttlingen leben 3500 türkischstämmige Mitbürger. Auch die dürften derzeit die Stirn in Sorgenfalten legen. Und jetzt darf die türkischstämmige Ulmer Journalistin Mesale Tolu das Land wieder verlassen ...
Ich habe dem türkischen Generalkonsul in Stuttgart bereits vor einem Jahr gesagt, dass sich die Regierung nicht in die Rechtsprechung einmischen sollte. Das Verfahren muss nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ablaufen. Wir freuen uns, dass Mesale Tolu nun ausreisen darf. Der Zeitpunkt stimmt aber schon nachdenklich: Offensichtlich hat die Türkei erkannt, dass es mit den USA zunehmend Schwierigkeiten gibt und nähert sich deshalb wieder Europa an. Ich mache mir nichts vor, derzeit erfüllt die Türkei nicht die Anforderungen an einen Rechtsstaat.
Jetzt kommt noch die Inflation in der Türkei hinzu.
Die wirtschaftlichen Probleme werden dadurch, auch wegen des Konflikts mit den Vereinigten Staaten, größer. Das könnte wiederum die Stimmung gegenüber der türkischen Regierung verändern. Was mich bedrückt und nachdenklich stimmt, ist, dass viele bei uns lebende Türken Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seinem diktatorischen Anspruch zustimmen. Mir hat jüngst ein junger Türke gesagt, es gebe auch in Tuttlingen erhebliche Repressionen gegen diejenigen, die gegen die türkische Regierung eingestellt sind. Das ist völlig inakzeptabel. Wir müssen politisch alles unternehmen, um die Folgen der Auseinandersetzungen in der Türkei nicht auf unseren Straßen und in unseren Städten zu haben.
In Tuttlingen wurde in der vergangenen Woche eine Jugendbande festgenommen. Polizei und Justiz haben dabei offenkundig gut zusammengearbeitet. Wie sehen Sie das?
Ich bin viel unterwegs und bekomme die Sorgen der Menschen mit. Häufig wird dabei mit der Kriminalitätsstatistik argumentiert. Die fällt positiv aus. Dennoch wird gerade durch solche Vorfälle das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt. Deswegen ist der Ermittlungserfolg wichtig. Ganz allgemein mag es bei jungen Tätern zwar sein, dass auf den ersten Blick die strafrechtlichen Folgen in dieser Altersgruppe nicht dem entsprechen, was manche Bürger erwarten. Das sieht auf den zweiten Blick oft anders aus. Und in diesem Fall wurden gegen recht junge Beschuldigte ja auch Haftbefehle erlassen. Grundsätzlich gilt: Politik und Gerichte arbeiten zurecht völlig unabhängig voneinander. In Verfahren mischen wir uns als Politiker nicht ein.
Wie sieht es generell mit der Justiz in Baden-Württemberg aus?
Die Stimmung ist gut. Wir haben in der Justiz massiv Stellen aufgebaut, was dringend nötig war. Wir sind längst nicht am Ziel. Die Verwaltungsgerichte haben derzeit eine Flut von Asylklagen zu bearbeiten. Es gibt 41 000 offene Verfahren bei den Verwaltungsgerichten im Land. Ohne zusätzliche Richter wären die Gerichte über Jahre beschäftigt. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist im Landgerichtsbezirk Rottweil im vergangenen Jahr eine Stelle am Landgericht Rottweil und eine Stelle bei der Staatsanwaltschaft Rottweil geschaffen worden. In diesem Jahr kam eine weitere Stelle bei der Staatsanwaltschaft Rottweil dazu.
Wie steht es um das geplante Justizzentrum für Tuttlingen?
Die Planungen laufen unverändert. Wir müssen und werden uns nun mit der Stadt zusammensetzen und die Pläne bewerten. Die Mittel für das Justizzentrum in Tuttlingen werden in den nächsten Doppelhaushalt 2021/2022 eingestellt.