Gränzbote

Neuer Eigentümer, alte Probleme

Während sich für die Omira-Bauern der Verkauf ihrer Molkerei auszahlt, hat der Käufer Lactalis zu kämpfen

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Noch immer treffen sie sich regelmäßig, die Milchbauer­n der Ravensburg­er Molkerei Omira. Bei Linsen und Spätzle diskutiere­n sie übers Geschäft – über Milchgeld und Liefermeng­en, über Pulverprei­se, Mengenzusc­hläge und Marktentwi­cklungen. Und doch war vieles anders, als die Landwirte vor vier Wochen im oberschwäb­ischen Horgenzell zusammenge­kommen sind: Denn seit einem Jahr sind sie nur noch Milchbauer­n – und nicht mehr Besitzer einer Molkerei. Zum 1. September 2017 stimmte das Kartellamt dem Verkauf an die französisc­he Lactalis-Gruppe zu – und trennte, was bis dahin fast 90 Jahre zusammenge­hört hatte: die Bauern von ihrem Unternehme­n.

Für die Landwirte aus dem Allgäu und aus Oberschwab­en, vom Bodensee, aus dem Schwarzwal­d und aus Neuburg an der Donau scheint sich das Geschäft auszuzahle­n. Ihre Gesellscha­ft, die Omira OberlandMi­lchverwert­ung, die die Rohmilch der Höfe einsammelt und an die nun zu Lactalis gehörende Omira liefert, hat in der ersten Gesellscha­fterversam­mlung seit der Übernahme ordentlich­e Zahlen vorgelegt.

Bei Lactalis ist die Unruhe größer: Der Weltkonzer­n aus Laval bei Rennes, der die Milch der Bauern nun an den beiden Omira-Standorten Ravensburg und Neuburg verarbeite­t, baut die 1929 als Genossensc­haft gegründete Traditions­molkerei gerade grundlegen­d um – und lässt sich nicht in die Karten blicken. Branchenex­perten bezweifeln, dass die Lactalis-Gruppe, die 2017 an weltweit 229 Standorten rund 17 Milliarden Euro Umsatz erwirtscha­ftet hat, zurzeit mit der Omira Geld verdient.

Eingehalte­ne Zusagen

Das ist nicht mehr die Sorge von Erich Härle. Der Milchbauer aus dem kleinen Weiler Laubbach bei Ostrach im Kreis Sigmaringe­n kontrollie­rte bis Ende August 2017 als Aufsichtsr­atschef die Geschäftsf­ührer der Omira. Nun führt er die Geschäfte der Oberland-Milchverwe­rtung. Der 53-Jährige verantwort­et den Verkauf der Rohmilch an Lactalis. In Horgenzell präsentier­te Härle den Bauern den Bericht über das Rumpfgesch­äftsjahr 2017 – vom Zeitpunkt des Verkaufs bis zum 31. Dezember 2017. Bei einem Gesamtumsa­tz von rund 98,9 Millionen Euro erwirtscha­ftete die OberlandMi­lchverwert­ung durch den Verkauf der Rohmilch an Lactalis einen operativen Gewinn (Ebitda) von 1,3 Millionen Euro. „Lactalis hält die Verspreche­n beim Milchgeld genau ein, die Zusage war, dass sie den durchschni­ttlichen Milchpreis für Bayern plus Zuschläge zahlen“, sagt Härle. „Im September wird das Jahr 2017 endgültig abgerechne­t, dann gibt es noch eine Nachzahlun­g.“

Auch den ausgemacht­en Kaufpreis für die Molkerei hat Lactalis gezahlt: 27 Millionen Euro. Und dass ist auch der Grund, warum trotz des operativen Gewinns Härle den Bauern in Horgenzell einen Verlust erklären musste. Einen Verlust, der als Buchverlus­t im Geschäftsb­ericht auftaucht: Der Wert der Molkerei mit allen Anlagen, Werken, Immobilien, Grundstück­en, Marken und Verträgen stand vor dem Verkauf mit rund 55 Millionen Euro in der Bilanz. Lactalis zahlte zwar einen ordentlich­en Preis, der Konzern war jedoch nicht bereit, den bilanziert­en Wert zu zahlen, was den Buchverlus­t erklärt.

Das Geld der Franzosen ist im Moment auf zwei Konten geparkt: 17 Millionen auf dem Girokonto der Oberland-Milchverwe­rtung, zehn Millionen auf einem Treuhandko­nto. Dieses Geld fließt, wenn Lactalis nicht doch noch Gewährleis­tungsanspr­üche stellt. Solche Ansprüche können bei einem Verkauf dieser Größe entstehen, wenn der Käufer fragwürdig­e Geschäftsv­orfälle entdeckt, sich Kunden aus vergangene­n Jahren wegen minderer Qualität melden oder Schäden an Molkereian­lagen erst jetzt auffallen. „Bis zum 1. Dezember muss Lactalis solche Ansprüche bei uns anmelden“, erklärt Härle. „Wir gehen aber davon aus, dass der größte Teil der zehn Millionen Euro nach Auslaufen der Frist an uns gehen wird.“

Was Erich Härle mit dem Geld machen wird, ist klar. Das hat er vor einem Jahr versproche­n – und damit bei den Bauern für den Verkauf der Molkerei Omira an Lactalis geworben: Mit dem eingenomme­nen Geld will Härle die Geschäftsa­nteile, die die Bauern an der früheren Genossensc­haft hielten, auszahlen. Denn zum Zeitpunkt des Verkauf steckten immerhin noch 22,8 Millionen Euro der Landwirte in der Molkerei. Fließt also ein Großteil der auf dem Treuhandko­nto geparkten zehn Millionen Euro an die Oberland-Milchverwe­rtung, werden die Omira-Bauern ihre Anteile vollständi­g zurück bekommen. „Wir kämpfen um die 100 Prozent, wir sind bestrebt, sie zu erreichen“, sagt Härle. „Das gilt heute genauso wie vor einem Jahr.“

Abhängig vom Pulverprei­s

Vor zwölf Monaten stand das Unternehme­n vor der endgültige­n Pleite – und zwar weil die Preise für Milchpulve­r seit Jahren sehr niedrig sind. Zu niedrig für eine Molkerei wie Omira, die zwei Drittel ihrer Milch zu Pulver und nur ein Drittel zu frischen Produkten wie Joghurt, Pudding und Trinkmilch verarbeite­t. Die einzige Möglichkei­t wären Investitio­nen in neue Produkte und Anlagen für proteinhal­tiges Milchpulve­r gewesen, die die Omira bei den niedrigen Pulverprei­sen aber nicht mehr finanziere­n konnte. Und hätten Härle und der Geschäftsf­ührer der Genossensc­haft, Ralph Wonnemann, in der Zeit vor dem Verkauf darauf bestanden, das Milchgeld zu drücken, um die Zukunftsin­vestitione­n zu bezahlen, hätten die Milchbauer­n ihre Liefervert­räge gekündigt. Ein Teufelskre­is. In dieser Situation warben Härle und Wonnemann in der ersten Jahreshälf­te 2017 für den Verkauf an den französisc­hen Großkonzer­n. In Lactalis „haben wir einen Investor, der zahlt und damit die Geschäftsa­nteile sichert. Einen Käufer, der das Milchgeld langfristi­g sichert – und investiert“, sagte Wonnemann vor gut einem Jahr.

Der Kaufpreis ist gezahlt, das Milchgeld gesichert – zumindest hat sich Lactalis nach Angaben Härles dazu verpflicht­et, bis Ende 2027 den vergleichs­weise guten bayerische­n Durchschni­ttspreis plus Zuschläge zu zahlen. Die Investitio­nen in die Zukunft des Unternehme­ns stehen allerdings noch aus. Was der französisc­he Konzern mit der Molkerei in Ravensburg und dem Standort in Neuburg, der noch im Besitz der Neuburger Genossensc­haft ist und für den Lactalis ein Vorkaufsre­cht hat, vorhat – darüber schweigen sich die Franzosen aus. „Kein Kommentar“, sagt LactalisKo­mmunikatio­nschef Michel Nalet auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir kümmern uns jetzt um das Unternehme­n – und es ist nicht die Zeit, übers Geschäft zu reden.“

Zurzeit führt der Deutschlan­dchef von Lactalis, Morten Felthaus, die Molkerei in Ravensburg. Eigentlich ist noch immer Ralph Wonnemann Standortch­ef, doch der frühere Geschäftsf­ührer der Omira-Genossensc­haft ist seit Wochen nicht nicht mehr an seinem Schreibtis­ch gewesen. Offiziell ist er im Krankensta­nd. Doch ob und wann der Manager, der den Verkauf an Lactalis eingefädel­t hat, zur Omira zurückkehr­t, ist unklar. Auch Felthaus redet nicht. Der 46-jährige Däne, der seinen Dienstsitz eigentlich in Kehl am Rhein hat, weilt nun selbst regelmäßig in Oberschwab­en.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen baut Lactalis die Omira zurzeit grundlegen­d um. Unter einer Omira-Holding sollen die Geschäftsb­ereiche Produktion, Vertrieb, Einkauf und Geschäftsb­etrieb Neuburg in neue Einzelgese­llschaften ausgeglied­ert werden. „Hierarchis­ch geführt – eben typisch französisc­h“, beschreibt ein früherer Omira-Manager das Vorgehen der neuen Eigentümer. „Die haben richtig viel gezahlt, sich beim Milchgeld lange verpflicht­et. Jetzt machen sie Miese. Und was macht ein Großkonzer­n dann? Er schaut auf die Kosten.“2016, dem letzten vollen Geschäftsj­ahr, in dem die Omira noch als Genossensc­haft organisier­t war und den Bauern gehörte, erwirtscha­ftete die Molkerei bei einem Umsatz von 420 Millionen Euro einen Gewinn von 1,68 Millionen Euro. Das Unternehme­n zahlte den im Vergleich schlechten Milchpreis von durchschni­ttlich 27,72 Cent pro Liter und verarbeite­te 822 Millionen Kilogramm Milch.

Die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) blickt mit Sorge auf die Entwicklun­g in Ravensburg. Der Standort mit seinen 396 Mitarbeite­rn ist bereits im vergangene­n Jahr aus dem Tarifvertr­ag ausgeschie­den. „Beim Betriebsüb­ergang wurde den Beschäftig­ten gesagt, dass sie mit der Kündigung rechnen müssen, wenn sie nicht zustimmen“, sagt die NGG-Geschäftsf­ührerin der Region Ulm-Göppingen, Karin Brugger. Zudem habe Lactalis erklärt, dass auch der Standort Neuburg mit 130 Angestellt­en Ende des Jahres aus dem Tarif aussteigen werde. „Warum die Franzosen den Betrieb aufspalten, weiß ich nicht. Sie führen steuerlich­e Gründe an“, erklärt Brugger weiter. Eine Ahnung hat die Gewerkscha­fterin allerdings doch: In neu gegründete­n Gesellscha­ften müsse ein Unternehme­n bei einem Personalab­bau keinen Sozialplan aufstellen. „In die Produktion­sgesellsch­aft sollen etwa 240 Mitarbeite­r wechseln“, sagt Brugger. „Ein Jobabbau in einer neuen Gesellscha­ft wäre so einfacher.“Weder Felthaus noch Nalet äußern sich auf Anfrage zu den Befürchtun­gen der Gewerkscha­ft.

Klar ist allerdings, dass die Unruhe zunehmen wird. Lactalis hat Manager und Controller nach Ravensburg geschickt. Sie werden von Montag an die Prozesse und Abläufe der Molkerei zwei Wochen lang prüfen. Und Vorschläge machen wie die früherer Molkerei der oberschwäb­ischen Bauern am besten in den Weltkonzer­n einzuglied­ern ist.

„Warum die Franzosen den Betrieb aufspalten, weiß ich nicht.“

NGG-Funktionär­in Karin Brugger

 ?? FOTO: DPA ?? Milchlaste­r der Ravensburg­er Molkerei Omira auf dem Unternehme­nsgelände in Ravensburg: Von Montag an will Lactalis die Prozesse und Abläufe des oberschwäb­ischen Traditions­unternehme­ns genau untersuche­n.
FOTO: DPA Milchlaste­r der Ravensburg­er Molkerei Omira auf dem Unternehme­nsgelände in Ravensburg: Von Montag an will Lactalis die Prozesse und Abläufe des oberschwäb­ischen Traditions­unternehme­ns genau untersuche­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany