Wenn kaum ein Kind Deutsch spricht
Evangelische Kindergärten gehen Sprachprobleme an – Potential der Mehrsprachigkeit
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TROSSINGEN - Kaum ein Beruf wird so unterschätzt wie der der Erzieher. Denn mit Basteln, Singen und Vorlesen ist es bei weitem nicht getan. Die evangelische Kirchengemeinde Trossingen hat deshalb alle Erzieherinnen in einer groß angelegten Weiterbildung für die Herausforderungen des Alltags fit gemacht. Besonders Spracherwerb und kulturelle Unterschiede standen auf dem Programm. Nicht nur, weil in einigen Einrichtungen der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bei über 90 Prozent liegt.
Rumänisch ist derzeit die vorherrschende Fremdsprache in den Trossinger Kindergärten. Pfarrer Torsten Kramer, zuständig für die evangelischen Einrichtungen, spricht von rund 90 Prozent Migrationsanteil in den Gruppen, in einzelnen Kindergärten gibt es nur zwei nicht-rumänischsprachige Kinder pro Gruppe, so Erzieherinnen aus ihrem Alltag. Die Pädagoginnen stehen deshalb vor der Herausforderung, die Kinder beim Lernen der deutschen Sprache zu unterstützen, ihnen gleichzeitig die Sicherheit zu geben, dass ihre Muttersprache einen gleichberechtigten Platz im Alltag hat. Und am Ende der Kindergartenzeit sollen möglichst alle Jungs und Mädchen fließend Deutsch sprechen, um dem Unterricht folgen zu können.
Die Seminare werden von der „Akademie für Kindergarten, Kita und Hort“aus Lippstadt angeboten. Referentinnen wie die Psychologin und Sprachwissenschaftlerin Stefanie Salomon vermitteln Kenntnisse und Alltagstipps in Bereichen wie „Interkulturelle Kommunikation“, „Alltagsintegrierte Sprachbildung im Kindergarten“oder „Nane, Fant und Co - Sprachbildung bei Kindern unter drei Jahren“.
Erziehungspartnerschaft
Besonders der Blick auf die Erziehung in anderen Ländern habe so manches Missverständnis aufklären können, so eine Erzieherin. „Wir haben den Eltern erklärt, dass es bei uns eine Erziehungspartnerschaft zwischen Kindergarten und Familie gibt, und wir sie deshalb brauchen.“Seien zuvor einige rumänische Eltern nicht zu Elternabenden oder Festen gekommen, so habe sich das sogleich geändert.
Was den Spracherwerb angeht, wollen die Kindergärten neue Ideen ausprobieren: Erzählschienen sollen zum Beispiel die handelnden Figuren einer Geschichte sichtbar machen. „Davon profitieren natürlich alle Kinder, nicht nur die mit Migrationshintergrund“, versichert Iris Pape, Leiterin des Familienzentrums Regine Jolberg. Denn auch so manch deutsches Kind habe Schwierigkeiten beim Sprechen.
Doch dass Anspruch und Wirklichkeit nicht immer deckungsgleich sind, macht eine andere Erzieherin klar: Denn auch wenn die Arbeit in Kleingruppen effektiver sei, „so nehme ich nicht drei oder fünf Kinder dafür raus, sondern die halbe Gruppe. Sonst habe ich meiner Kollegin gegenüber ein schlechtes Gewissen“. Bis zu 28 Kinder sind in jeder Gruppe, betreut von zwei Erzieherinnen. Da müssen dann auch kleinere Ansätze etwas bringen: „Beim Essen sprechen wir alle Deutsch“, sagt eine Erzieherin. Beim Freispiel dürfte dann jeder in seiner Muttersprache sprechen. Da sei es aber wichtig, dass kein Kind ausgeschlossen werde, nur weil es eine andere Sprache spreche.
Personelle Entspannung komme durch FSJler, die ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, und Fachkräfte für Sprache, so die Expertinnen. Doch die ersten sind Laien, die zweiten nur stundenweise in den Einrichtungen. In diesem Bereich gibt es in Trossingen noch offene Stellen, die Suche nach Bewerbern läuft.
Jungs und Mädchen, die drei Jahre lang den Kindergarten besuchen, hätten gute Chancen, für den Schulstart sprachlich fit zu sein. „Aber nur,
wenn sie regelmäßig kommen“, mahnt eine Erzieherin und Iris Pape ergänzt: „Die Lernkapazität ist bei allen Kindern unterschiedlich.“
Referentin Stefanie Salomon sieht in den Trossinger Kindergärten keine außergewöhnliche Entwicklung. Beruflich sei sie viel unterwegs und treffe – auch ihrem Themenschwerpunkt geschuldet – auf viele Kindergärten,
in denen ein hoher Migrationsanteil herrscht. „In den einen gibt es zwanzig verschiedene Sprachen pro Gruppe, in den anderen herrscht eine Fremdsprache vor.“Natürlich sei es einfacher, Deutsch als gemeinsame Sprache zu finden, wenn die Sprachenvielfalt groß sei. Doch auch in Fällen wie Trossingen sei im positiven Sinne alles möglich.