Gränzbote

Maas fordert ein Aufstehen gegen rechts

Außenminis­ter ruft zu mehr Zivilcoura­ge auf – Debatte um Überwachun­g der AfD

- Von Christine Keilholz

CHEMNITZ (dpa/epd) - Nach den Demonstrat­ionen in Chemnitz mit rund 11 000 Teilnehmer­n verschiede­ner Lager hat Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) von den Deutschen mehr Einsatz gegen Rassismus gefordert. Am Samstag waren in Chemnitz nach einem Aufruf unter anderem von AfD und Pegida rund 8000 Menschen gegen die Flüchtling­spolitik auf die Straße gegangen. Ihnen standen rund 3000 Gegendemon­stranten gegenüber. 1800 Polizisten hielten die Lager weitgehend auseinande­r. Nach Polizeiang­aben gab es 18 Verletzte, darunter drei Polizisten.

Die Kundgebung­en folgten auf die rechten Krawalle in Chemnitz vor rund einer Woche nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-jährigen Deutschen am Rande des Stadtfeste­s. Zwei Tatverdäch­tige, ein 22-jähriger Iraker und ein 23-jähriger Syrer, sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Die Vorfälle in Chemnitz und die Demonstrat­ion vom Samstag haben die Debatte über Zivilcoura­ge und eine mögliche Beobachtun­g der AfD durch den Verfassung­sschutz neu entfacht. „Es hat sich in unserer Gesellscha­ft leider eine Bequemlich­keit breitgemac­ht, die wir überwinden müssen“, sagte Außenminis­ter Maas der „Bild am Sonntag“. „Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. “

Nachdem in Chemnitz AfD und die Pegida-Bewegung gemeinsam auftraten, hält Grünen-Chefin Annalena Baerbock eine Beobachtun­g der AfD durch den Verfassung­sschutz für „dringend geboten“. Volker Kauder (CDU), Chef der Unionsfrak­tion, sah in der „Welt am Sonntag“die AfD als Partei, „aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradi­kalismus geleistet wird“. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) sagte dagegen der Funke-Mediengrup­pe: „Derzeit liegen die Voraussetz­ungen für eine Beobachtun­g der Partei als Ganzes für mich nicht vor.“

Chemnitz bleibt unterdesse­n Demo-Schauplatz. Auf Einladung der evangelisc­hen Kirche demonstrie­rten gestern 1000 Menschen in der Innenstadt gegen Gewalt und Fremdenhas­s. Heute steht der Stadt die nächste Großverans­taltung ins Haus: Mehrere Bands wollen bei einem großen Gratiskonz­ert gegen Fremdenfei­ndlichkeit auftreten. Dabei sind unter anderem Die Toten Hosen und die Chemnitzer Band Kraftklub.

DRESDEN - Die Technische Universitä­t Dresden hat früh Alarm geschlagen. Sachsens größte Forschungs­einrichtun­g, an der Wissenscha­ftler und Studenten aus aller Welt arbeiten, fürchtete um ihren guten Ruf. Rektor Hans Müller-Steinhagen sprach von einer „nachhaltig­en Image-Schädigung Dresdens über alle Grenzen hinweg“, die sein Haus zu spüren bekomme. Die Bemühungen um einen festen Platz im internatio­nalen Wissenscha­ftsbetrieb „gestalten sich deutlich schwierige­r“.

Das war im Sommer 2015. Da war die islamfeind­liche Pegida-Bewegung in der Landeshaup­tstadt Sachsens zwar schon wieder auf lokales Querulante­n-Maß geschrumpf­t. Aber das monatelang­e Gebrüll von Parolen wie „Volksverrä­ter“, „Lügenpress­e“und „Merkel muss weg“hallte noch nach in der Stadt an der Elbe.

Seit den 1990er-Jahren ziehen Sachsens Städte Rechte an. Woran das liegt? Weil grundsätzl­ich viele Menschen nach Sachsen gehen. Sie kommen aus Brandenbur­g, aus dem Ostsee-Hinterland oder aus Bielefeld zum Studieren oder für den Job nach Sachsen. Und sie alle finden hier gut Anschluss – auch die Rechten. Sachsen ist dichter und dynamische­r als der Rest der neuen Länder. Aufstreben­de Großstädte und ein attraktive­r Arbeitsmar­kt liegen hier. Früher saßen in Sachsen die großen Fabriken, geblieben sind die tristen Arbeiterwo­hnblocks.

Potenzial für Frust und Gewalt

Dass dort ein Potenzial für Frust und ungeheuerl­iche Taten brach lag, erfuhr die Republik im September 1991 aus Hoyerswerd­a. Neonazis hatten erst vietnamesi­sche Händler attackiert und anschließe­nd ein Vertragsar­beiterwohn­heim, in dem vorwiegend Menschen aus Vietnam und Mosambik lebten, mit MolotowCoc­ktails angegriffe­n. Anwohner sahen tatenlos zu oder klatschten Beifall.

Wenig später griffen Rechtsextr­eme eine Flüchtling­unterkunft an – erneut mit Brandsätze­n. Von Hoyerswerd­a hat sich Sachsen bis jetzt nicht erholt. Der Hass hat dem Land ein Image aufgedrück­t, das sich nicht wieder abschüttel­n lässt.

Es waren ja nur einige wenige Täter, sagen die einen. Es sind in Wahrheit viel mehr, sagen andere. Hoyerswerd­a hat die Marke Sachsen geprägt. Durch Bilder, die die Nachwende-Probleme zusammen zeigten: Betonwüste­n, verängstig­te Ausländer, hilflose Polizei und ein wütender Mob. Das sind seitdem die Zutaten für neue Geschichte­n, die immer wieder aus Sachsen erzählt werden.

Eine davon ereignete sich im August 2015 in Heidnau bei Dresden. Rechtsextr­eme versuchten gewaltsam, den Bezug einer Einrichtun­g für Flüchtling­e zu verhindern, sie griffen Polizei und Bewohner an.

In Bautzen kam es im März 2016 zu einem Brandansch­lag auf ein Flüchtling­sheim. Als Bundespräs­ident Joachim Gauck anschließe­nd nach Bautzen kam, wurde er von einigen wenigen als „Volksverrä­ter“beschimpft, die anderen Zuschauer schwiegen. Alexander Ahrens, der Bürgermeis­ter von Bautzen, machte hinterher in den Talkshows eine gute Figur. Die Stadt gilt trotzdem als braunes Nest. Das ist Sachsens Drama. Solche Geschichte­n finden mehr Gehör als jene von einem Land, das sich in einem Vierteljah­rhundert gut entwickelt hat.

Die Anführer der Rechten hatten das schnell raus: Wenn sie etwas Großes aufziehen wollten, dann in Sachsen. Wenn sie gesehen werden wollten, meldeten sie Demos an in Sachsen. Wenn sie in die Tagesschau wollten, tauchten sie in Sachsen auf.

Auch in Leipzig, der hippen linken Metropole an der Pleiße. Um die Jahrtausen­dwende marschiert­e der Neonazi Christian Worch mit seinen Kumpanen aus der rechten Prominenz zeitweise mit mehr als 2000 Anhängern.

Als sich im Herbst 2014 in Dresden Pegida formierte, kam der Gegenprote­st nicht in Gang. Das lag auch daran, dass die traditions­bewussten Dresdner Bürger nicht in einer Reihe stehen wollten mit Teilnehmer­n, die rufen „Deutschlan­d muss sterben“.

Die Wissenscha­ftler von der TU Dresden waren die Ersten, die 2014 breiten Widerstand gegen die Pegida-Demonstrat­ionen zustande brachten. Danach ließ der Entzug von Aufmerksam­keit die Pegida-Blase schnell verpuffen. Die versprengt­en Reste der vermeintli­chen Abendlands­retter marschiere­n seitdem weitgehend unter der Wahrnehmun­gsschwelle. Größere Aufmerksam­keit

bekam die Truppe des Gründers Lutz Bachmann nur, als sie eine Kandidatin in die Dresdner Bürgermeis­terwahl schickten und als sie den niederländ­ischen Rechtspopu­listen Geert Wilders zu ihrer Demo einluden. Oder jüngst, als ein Mitläufer mit Deutschlan­d-Hut die Reporter vom ZDF anmaulte, der sich als Mitarbeite­r des Landeskrim­inalamts entpuppte.

Auch die Ausschreit­ungen von Chemnitz nach der tödlichen Messeratta­cke auf einen 35-Jährigen rücken Sachsen erneut in den internatio­nalen Fokus.

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FOTO: DPA Chemnitz am Samstag: Teilnehmer der Demonstrat­ion von AfD und dem ausländerf­eindlichen Bündnis Pegida ziehen zum Karl-Marx-Denkmal, an dem Gegendemon­stranten ein Transparen­t befestigt haben. Die Polizei kann eine Eskalation dieses Mal weitgehend verhindern.
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ARCHIVFOTO: DPA 1991 griffen Rechtsextr­eme eine Unterkunft im sächsische­n Hoyerswerd­a an, in der größtentei­ls Menschen aus Mosambik und Vietnam lebten. Das Image des Landes hat sich davon nicht wieder erholt.

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