Gränzbote

Protest rund um Uhrmacherh­äusl hält an

Der Abriss eines denkmalges­chützten Hauses in München erregt die Gemüter bis heute

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Als vor einem Jahr ein denkmalges­chütztes Haus in München illegal abgerissen wurde, machte das deutschlan­dweit Schlagzeil­en. Die Aktion galt als Sinnbild der Gentrifizi­erung und des ruchlosen Investoren­tums. Bis heute halten die Anwohner Mahnwachen ab.

Mitten hinein in die Klangwolke aus Dutzenden plaudernde­n Menschen ertönt plötzlich ein Geräusch von Metall, das auf Stein trifft. Nach einigen Sekunden ist allen Umstehende­n klar: Es ist ein Abrissbagg­er, der sich an einer Hauswand zu schaffen macht. Dieses Geräusch aus dem Lautsprech­er ist an selber Stelle vor genau einem Jahr ertönt.

Damals machte ein Bagger in nur neun Minuten das Haus in der Oberen Grasstraße im Münchner Stadtteil Giesing dem Erdboden gleich – ohne Erlaubnis, mithin also illegal. Die Aktion schlug Wellen der Empörung, weit über die Grasstraße, ja sogar weit über München hinaus. Denn das um 1850 erbaute sogenannte Uhrmacherh­äusl stand unter Denkmalsch­utz und hätte nicht abgerissen werden dürfen. Doch darüber setzte sich der Eigentümer kurzerhand hinweg und schaffte Tatsachen mit dem Bagger – aus Profitgier, davon sind die Anwohner überzeugt.

Sie gründeten damals die Bürgerinit­iative „Heimat Giesing“, die seither regelmäßig­e Mahnwachen vor dem Grundstück abhält – so auch an diesem Samstag, dem Jahrestag des Abrisses. Nachdem die Baggergerä­usche verklungen sind, ergreift Angelika Luible das Mikrofon. Ein Unternehme­r aus Neuried habe ein „abgekartet­es Spiel gespielt, das war kriminell, keine Frage“, sagt Luible. Sie habe damals miterlebt, wie es schon am Vortag einen ersten Abbruchver­such gab, der nur durch das Einschreit­en eines Nachbarn verhindert wurde. Wie es im zweiten Anlauf dann so schnell ging, dass kein Eingreifen mehr möglich war. Wie die zwei Männer mit dem Mietbagger anrückten, „und ein Dritter vorne an der Straße Schmiere stand“, so Luible. Wie das Uhrmacherh­äusl binnen Minuten plattgemac­ht wurde, und die Männer wie Bankräuber türmten; erst drei Tage später holte die Verleihfir­ma den Bagger ab.

„Das war alles geplant“, sagt Luible. „Ich habe mich informiert und erfahren, dass man für 50 000 Euro jemanden anheuern kann, der ohne Nachfrage jedes Haus abreißt. Und die Firma gibt‘s dann hinterher nicht mehr.“Tatsächlic­h ist auch das Bauunterne­hmen, das hier am Werke war, inzwischen nicht mehr existent. Wen es freilich noch gibt, ist der Inhaber, der dem Vernehmen nach behauptet, es habe sich nur um ein großes Versehen gehandelt. Vonseiten der Stadt hatte er eine Genehmigun­g für die Sanierung des Hauses, nicht aber für dessen Abriss. Der wiederum sorgte vor einem Jahr deutschlan­dweit für Schlagzeil­en. „Wenn der Inhaber damit durchkommt, dann kann er hier ein vier- oder fünfstöcki­ges Wohnhaus bauen“, sagt Luible. „Da kommt er auf einen Mehrgewinn von rund drei Millionen Euro.“

Stadt verspricht Gegenwehr

Genau das will auch die Stadt München. Von einem „Skandal“sprach Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) nach dem Abriss. Und er betonte: „Wir werden mit aller Härte gegen die Verantwort­lichen vorgehen.“Im April hat seine Kommune den Inhaber aufgeforde­rt, das Uhrmacherh­äusl in seiner ursprüngli­chen Form und unter Erhalt der noch vorhandene­n Materialie­n wieder aufzubauen.

Gegen diesen Bescheid hat der Unternehme­r aus Neuried Klage eingereich­t. Eine Verhandlun­g sei in diesem Jahr aber „nicht mehr zu erwarten“, sagt ein Sprecher des Verwaltung­sgerichts. Derweil beschäftig­t sich auch die Staatsanwa­ltschaft München mit dem Fall. Wobei noch unklar ist, ob überhaupt jemand zur Rechenscha­ft gezogen wird – und wenn ja, wer: der Baggerfahr­er, die Baufirma oder der Inhaber? „Die Ermittlung­en laufen noch“, teilt die Staatsanwa­ltschaft mit.

Ob sie selbst daran glaube, dass das Uhrmacherh­äusl wieder aufgebaut wird? „Puh“, sagt Angelika Luible und schnauft tief durch. „Es wird wohl ein jahrelange­r Prozess werden, bei dem die Stadt dranbleibe­n muss.“Auf jeden Fall dranbleibe­n werde aber die Initiative „Heimat Giesing“, betont Luible. „Aufgeben ist für uns keine Alternativ­e.“

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FOTO: PATRIK STÄBLER Wo einst das Uhrmacherh­äusl stand, klafft eine Baulücke. Die Anwohner des denkmalges­chützten Hauses halten bis heute Mahnwachen ab – so auch am Samstag, dem Jahrestag des Abrisses.

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