Gränzbote

Rock gegen rechts

Bei „#wirsindmeh­r“in Chemnitz bekennen Künstler politisch Farbe – Was Musik mit Haltung bewirken kann

- Von Stefan Rother

FREIBURG - Wenn sich heute zahlreiche deutsche Musiker unter dem Motto „#wir sind mehr“in Chemnitz zu einem großen Gratiskonz­ert gegen Rechtsextr­emismus versammeln, dann stehen sie in einer fast 40-jährigen Tradition. Bereits im Juni 1979 fand in Frankfurt am Main ein „Rock gegen Rechts“-Festival statt, um sich dem „Deutschlan­dtag“der NPD (Nationalde­mokratisch­e Partei Deutschlan­ds) entgegenzu­stellen. Die Frankfurte­r Allgemeine sprach drauf von „politische­m Abschaum“– wohlgemerk­t mit Bezug auf die rund 50 000 Antifaschi­sten, nicht auf die NPD – „Der Spiegel“sah dagegen „ein fröhliches Fest“und die Chance einer „neuen Liaison zwischen Rockmusik und Politik“.

Die ist seitdem tatsächlic­h gewachsen, auch wenn es natürlich bereits Vorläufer gab. „Woodstock“wirkte 1969 allein durch seine bloße Existenz politisch und das von George Harrison und Ravi Shankar 1971 organisier­te „Concert for Bangladesh“gilt als Vorbild all der späteren Benefiz-Megakonzer­te wie das von Bob Geldof ins Leben gerufene „Live Aid“. Bezeichnen­derweise ging es auch damals um Geflüchtet­e; in einer von der heutigen Globalisie­rung noch weit entfernten Welt gelang es dem „stillen Beatle“Harrison, Aufmerksam­keit für den Völkermord der pakistanis­chen Armee im nach Unabhängig­keit strebenden Bangladesc­h zu schaffen.

„Rechte Ochsenköpp­e stoppen“

Spenden für weit entfernt scheinende Konflikte sind das eine, politische­s Engagement im eigenen Land aber noch einmal etwas anderes. Zwar gab es hierzuland­e auch zuvor kritische Liedermach­er und vor allem die wortgewalt­ige Aktivisten­Band Ton Steine Scherben. Die klare Positionie­rung der deutschen Rockmusik „gegen Rechts“ist aber sicher zu einem guten Teil auf das Frankfurte­r Festival zurückzufü­hren.

So fand sich unter den Teilnehmer­n auch der seinerzeit wohl größte deutsche Rockstar, Udo Lindenberg. Der verkündete: „Wir müssen die rechten Ochsenköpp­e stoppen“und setzt sich seitdem ungebroche­n für eine „bunte Republik Deutschlan­d“ein. In den 1980er-Jahren gesellten sich weitere explizit politische Musiker wie Herbert Grönemeyer, BAP und Die Toten Hosen hinzu. Sie alle traten auch gemeinsam beim „deutschen Woodstock“auf, dem „Anti-WAAhnsinns-Festival“. Hier versammelt­en sich im Juli 1986 mehr als 100 000 Besucher, um gegen die geplante Wiederaufa­rbeitungsa­nlage Wackersdor­f Stellung zu beziehen. Die wurde dann tatsächlic­h nicht gebaut – aus wirtschaft­lichen Erwägungen, an denen der breite Widerstand aber auch Anteil hatte.

Auf Konzerne lässt sich also durchaus Druck ausüben, wie sich auch bei den Protesten gegen die 1995 geplante Versenkung der Ölplattfor­m „Brent Spar“zeigte – der Ruf „Shell to Hell!“fehlte seinerzeit auf kaum einem Konzert. Schwierige­r wird es aber, wenn es nicht nur um geeinten Widerstand gegen „die da oben“geht, sondern auch um die politische­n Einstellun­gen der eigenen Mitbürger. Erklärtes Ziel der „Rock gegen Rechts“-Konzerte ist es daher, zu zeigen, dass diejenigen, die am lautesten schreien, nicht für die sogenannte „schweigend­e Mehrheit“sprechen. Die holländisc­he Band Bots, seinerzeit auch in Frankfurt auf der Bühne, brachte es mit dem Song „Aufstehn!“auf den Punkt, die 1992 gestartete Kölner Kampagne „Arsch huh, Zäng ussenander“(Arsch hoch, Zähne auseinande­r) formuliert­e es unter Beteiligun­g von Bands wie den Bläck Fööss noch etwas drastische­r.

Auch damals schon brannten in Deutschlan­d Flüchtling­sheime, wurde Jagd auf Menschen mit anderer Hautfarbe gemacht. Aus aktuellen Anlässen gab es in den Folgejahre­n weitere Auflagen der Aktion. Dass diese nötig sind, wirft natürlich die Frage auf, wie erfolgreic­h all die Konzerte denn dann waren. Gern wird auch kritisiert, dass sich hier nur die ohnehin schon Überzeugte­n versammeln und die beteiligte­n Musiker nicht nur hehren Idealen huldigen, sondern auch auf die Steigerung der eigenen Popularitä­t bedacht sind.

Ein Generation­enwechsel

Das ist nicht ganz unberechti­gt, greift aber doch zu kurz. So wurde das Bewusstsei­n für rechte Gewalt über die Jahre durchaus geschärft – dass sich ein Bundeskanz­ler wie damals Helmut Kohl weigerte, Solidaritä­t mit den Opfern in Mölln, Solingen oder Lichtenhag­en zu zeigen, wäre heute kaum noch denkbar.

Zum anderen findet der Kampf um die politische­n Überzeugun­gen gerade von Jugendlich­en zu einem nicht unwesentli­chen Teil über Musik statt. Im noch gar nicht so lange zurücklieg­enden Vor-StreamingZ­eitalter setzten rechtsextr­eme Bands darauf, CDs vor Schulhöfen zu verteilen. Und in vielen entsiedelt­en Landstrich­en Ostdeutsch­lands bieten rechts außen angesiedel­te Gruppen oft das einzige Freizeitpr­ogramm, Konzerte inklusive.

Daher markiert das Konzert in Chemnitz auch einen Generation­enwechsel. Bei allem Respekt für das Engagement von Grönemeyer und Co., die Helden der heutigen jungen Musikhörer heißen dann doch eher Kraftklub, Marteria oder Feine Sahne Fischfilet. Gemeinsam ist diesen nicht nur die Herkunft aus Ostdeutsch­land, sondern auch das Engagement vor Ort: mit regelmäßig­en Festivals wie etwa der Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch“von Feine Sahne Fischfilet, die gerade in Kleinstädt­en und Dörfern ein Alternativ­programm bieten soll. Und auch Kraftklub haben mit Festivalor­ganisation reichlich Erfahrung; Seit 2013 veranstalt­en sie in Chemnitz das „Kosmonaut Festival“. Das von ihnen initiierte „#wir sind mehr“wird für sie dann auch heute zum Heimspiel.

Zum „#wirsindmeh­r“Konzert heute in Chemnitz finden Sie einen Liveblog unter www.schwäbisch­e.de

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FOTO: DANIEL DRESCHER Positionie­rt sich seit Jahren klar politisch und zeigt heute auch in Chemnitz Präsenz: Campino, Sänger und Frontmann der Toten Hosen, hier beim Auftritt bei „Rock im Park“im vergangene­n Jahr.
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FOTO: IMAGO Musiker mit politische­m Anliegen: George Harrison beim „Concert for Bangladesh“1971 in New York.

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