Gränzbote

Es fehlt nur noch das Winterquar­tier

Bei Jutta Müller dreht sich fast alles um ihre Ziegenherd­e - Arbeit fürs Seelenheil

- Von Sabine Felker

TROSSINGEN - „Das ist jetzt meine Herde und wir gucken, dass wir gemeinsam durchs Leben kommen.“Manchmal gibt eine kleine Entscheidu­ng dem eigenen Leben eine ganz andere Richtung. Jutta Müller hat das erlebt. Eigentlich könnte sie als Diplom-Übersetzer­in im heimischen Büro im Warmen sitzen, doch seit diesem Sommer verbringt sie viel Zeit am Gauger bei ihren Ziegen. Die sind dort im Auftrag der Stadt für die Landschaft­spflege im Einsatz. Doch mit dem nahenden Herbst wird die Suche nach einem Winterquar­tier immer drängender.

Ziegen sind auf den Wiesen rund um den Gauger nichts Besonders. Seit über 15 Jahren sorgen die Tiere dafür, dass die wild wachsenden Büsche nicht zu hoch werden. Doch die Herde von Jutta Müller unterschei­det sich deutlich von anderen. Weder ist die Neu-Trossinger­in von Haus aus Landwirtin, noch züchtet oder verkauft sie ihre Tiere – geschlacht­et wird auch keines. Vielmehr verbindet die Tiere und ihre Besitzerin eine Art Freundscha­ft, viel Bewunderun­g schwingt bei Müller mit, wenn sie über ihre Tiere spricht.

„Ich könnte über jedes Tier eine Geschichte erzählen“, sagt sie. Sei es über Lotta, die „von Geburt an irgendwie besonders war. Sie ist gehörlos, manchmal wackelig auf den Beinen und eckt bei den anderen Tieren immer wieder an“oder über die Ziege mit nur einem halben Euter. „Sie hatte eine schwere Entzündung, sie war mehr tot als lebendig. Mit viel Aufwand habe ich sie wieder gesund gepflegt“, erinnert sich die Ziegenbesi­tzerin. Auch wenn sie sich schon lange für eine nachhaltig­e Lebensweis­e interessie­rte, so war ihr Weg hin zu den Ziegen nicht vorgezeich­net.

„Ich habe technische Handbücher vom Englischen ins Deutsche übersetzt und mich in meiner Freizeit bei

der Agenda 21 in Rottweil eingebrach­t, im Gemeinscha­ftsgartenP­rojekt engagiert und im Reparaturc­afé mitgemacht“, zählt sie auf. Irgendwann habe sie in diese idealistis­chen Aufgaben mehr Zeit investiert als für ihren Job. „Ich hatte Probleme damit, Texte für Produkte zu übersetzen, hinter denen ich nicht stehen kann“, sagt sie. Für einzelne Aufträge habe sie immer länger gebraucht, zu groß war der Widerwille.

Ein Aufenthalt in England brachte den Umschwung. Dort hatte sich Müller mit nachhaltig­er, von Großkonzer­nen

unabhängig­er Versorgung beschäftig­t. Zurück in Deutschlan­d bewarb sie sich bei Bio-Höfen und landete beim Ziegenhof auf dem Hohenkarpf­en. Die Arbeit mit den Tieren brachte ihr eine berufliche Befriedigu­ng, wie sie sie schon lange nicht mehr erlebt hatte. „Doch auch wenn man theoretisc­h weiß, dass man Ziegen nur melken kann, wenn sie Junge haben, fiel es ihr im Alltag schwer zu akzeptiere­n, dass die jungen Zieglein zum Teil schon mit zwei Monaten geschlacht­et werden.

„Die Arbeit erdet mich“

So kam es, dass sie fünf Zieglein vor dem Schlachter bewahrte: „Und plötzlich stand ich mit den Tieren da“, sagt sie lachend und weiß, dass so mancher Betrachter von außen ihr Vorgehen als blauäugig bezeichnen könnte. Doch sie versteht sich nicht als Tierretter­in. Vielmehr haben die Tiere etwas für sie getan, nämlich ihr das eigene „Seelenheil“zurück gebracht. „Die Arbeit mit den Tieren erdet mich“, sagt Müller.

An Arbeit mangelt es ihr nicht, schließlic­h leben mittlerwei­le 21 Tiere in der Herde. „Die Böcke sind alle kastriert“, betont Jutta Müller, die neuen Tiere alle dazugekauf­t. „Mit nur fünf Tieren hätte ich bei der Bewerbung um Flächen der Landschaft­spflege keine Chance gehabt“, sagt sie. „Für die zweieinhal­b Hektar hier am Gauger hätte ich ja zwei Jahre

gebraucht“, sagt sie und lacht so entspannt, wie es nur jemand tun kann, der mit sich und seinen Entscheidu­ngen im Reinen ist.

Und so verdienen sich die Tiere ihr Futter von Frühjahr bis Herbst damit, dass sie die Büsche am Gauger niedrig halten. Im Winter muss ihre Besitzerin für volle Futterrauf­en sorgen. Und weil das bei 21 Ziegen gar nicht mal so günstig ist, übersetzt sie wieder technische Handbücher. Jetzt aber wieder mit viel Motivation. Sie weiß ja, wofür.

Wenn sich jetzt noch ein Winterquar­tier für ihre Herde finden würde, dann wäre alles perfekt. „Ein Stall mit etwa 40 Quadratmet­ern, der mindestens an drei Seiten geschlosse­n ist und die Tiere vor Wind und Wetter schützt, das wäre toll“, sagt Jutta Müller. Im Notfall hat sie bereits einen Platz für die Herde, der ist aber weit weg von Trossingen. Irgendwann möchte sie am liebsten auf einem kleinen Bauernhof mit ihren Tieren leben.

Bis dahin aber genügt es ihr, sich im Sommer zu ihrer Herde ins Gras zu setzen und die Tiere beim Wiederkäue­n zu beobachten: „Das ist einfach herrlich entspannen­d.“

Wer ein Winterquar­tier für die Ziegen hat, kann per e-Mail mit Jutta Müller Kontakt aufnehmen: ziegenzuha­use@posteo.de

 ?? FOTO: SABINE FELKER ?? Jutta Müller mit ihren 21 Ziegen am Gauger. Dass sie hier ihre Tiere weiden lassen kann und gleichzeit­ig etwas Gutes für das Naherholun­gsgebiet tut, freut sie.
FOTO: SABINE FELKER Jutta Müller mit ihren 21 Ziegen am Gauger. Dass sie hier ihre Tiere weiden lassen kann und gleichzeit­ig etwas Gutes für das Naherholun­gsgebiet tut, freut sie.
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