Rast-Rekord und Reifendruck-Restriktionen
Am Nürburgring gibt es in der DTM reichlich Gesprächsstoff – Paffett führt knapp
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NÜRBURG - Es ist alles eine Frage der Sichtweise. Nach 16 von 20 Rennen im Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM) liegen Gary Paffett und Paul di Resta souverän an der Spitze der Wertung. Die beiden Mercedes-Fahrer trennen gerade einmal zwei Punkte. 206 Zähler hat Paffett auf seinem Konto, di Resta 204. Auf Platz drei hat sich auf dem Nürburgring Titelverteidiger René Rast vorgekämpft. Dem Audi-Fahrer sind als erstem Piloten in der DTM zwei Rennsiege sowie zwei Pole-Positions an einem Wochenende gelungen. 57 Punkte trennen ihn von Paffett. 112 Punkte kann ein Fahrer noch maximal gewinnen.
Trotzdem war Gary Paffett vor dem ersten Rennen am Samstag emotional schon am Drehzahlbegrenzer. „Das ist ein Eingriff in die Meisterschaft, wir haben die Performance, die wir uns erarbeitet haben, komplett verloren", ereiferte sich der 37-jährige Engländer. Auch sein Chef war auf der Linie seines Fahrers. „Neutral betrachtet könnte man schon behaupten, dass es ein deutlicher Eingriff in die Meisterschaft ist und uns einfach nicht hilft“, sagte Mercedes-DTM-Chef Ulrich Fritz.
Nicht nur Mercedes, auch Audi haderte mit einer Nachricht von Reifenlieferant Hankook, dass künftig ein Reifendruck verbindlich vorgeschrieben ist. Aus Sicherheitsgründen. Zwar gab es bereits in der Vergangenheit eine Vorgabe von 1,1 Bar, aber die war nicht verbindlich. Sowohl Audi als auch Mercedes haben diese Vorgabe immer weiter unterschritten. Mehrfach waren die Pneus so weit strapaziert worden, dass ihnen nach den Rennen die Luft ausging. Deshalb entschied sich Hankook gemeinsam mit dem DTM-Veranstalter ITR, künftig bis Donnerstag vor dem Rennen den zu verwendenden Luftdruck zu bestimmen. Für den Nürburgring waren dies 1,3 Bar. „Wir wussten einfach nicht, wie weit die Experimentierfreudigkeit noch gehen würde“, sagt Manfred Sandbichler, der Motorsportdirektor Europa der Koreaner.
Die Auswirkungen auf der Piste waren deutlich sichtbar. Nicht so sehr bei Audi. Rast hat seine außerordentlichen Qualitäten schon mehrfach in dieser Saison bewiesen. Aber mit einem Schlag war die Überlegenheit von Mercedes nicht mehr so eklatant. „Ich glaube, dass die anderen Freunde aus Bayern deutlich stärker als zuvor waren“, sagt Mercedes-Mann Fritz. Ein Teammitglied drückte es drastischer aus: „BMW ist ja nicht schneller geworden, wir sind nur langsamer.“Plötzlich schafften es auch die beiden BMW-Piloten Bruno Spengler und Marco Wittmann jeweils als Dritte aufs Podium.
Weder bei Mercedes noch bei Audi will man deshalb glauben, dass die neue Vorgabe aus Sicherheitsgründen erlassen wurde. „Wir hatten zwei Reifenschäden dieses Jahr“, sagt Audi-Motorsportchef Dieter Gass, „die waren auf externe Einwirkungen zurückzuführen.“Speziell bei Mercedes vermutet man eine Absprache hinter den Kulissen. Der BMW M4 zählt seit Jahren nicht zu den wettbewerbsfähigsten Konstruktionen im Feld. Schon zweimal erhielten die Münchner Zugeständnisse. Jeweils profitierte Marco Wittmann, als er am Jahresende Meister wurde.
Während Audi und Mercedes mit dem Luftdruck das Fahrverhalten ihrer Rennwagen immer weiter optimierten und deswegen größere Spielräume bei den Strategien mit dem Reifenwechsel hatten, kam bei BMW niemand auf diese Idee. Waren die Münchner zu anständig? „Das weiß ich nicht“, sagte Marquardt mit treuherzigem Augenaufschlag, „wir von BMW sind immer sehr anständig.“
Trotz des vermeintlich beruhigenden Vorsprungs ist die Nervosität im Mercedes-Lager sehr groß. Die Stuttgarter, die schon vor einem Jahr ihren Ausstieg aus der DTM zum Saisonende bekannt gegeben haben, würden natürlich gerne mit Titel abtreten. „Wenn ich mir den Lauf von Herrn Rast in der letzten Zeit anschaue, dann bin ich alles andere als beruhigt“, sagt Fritz. Seiner Meinung nach ist die Meisterschaft noch lange nicht in trockenen Tüchern. Darüber schmunzeln die Audi-Ingenieure. Denn das nächste Rennen findet auf dem Berg-und-Tal-Kurs in Spielberg statt. Und weil der Audi-V8-Motor nicht als der stärkste im Feld gilt, witzelt man in Ingolstadt: „Wir kommen doch gar nicht den Berg hoch.“