Gränzbote

Am Boden gibt auch die Lockerheit ihr Comeback

Die Stuttgarte­r Turnerin Elisabeth Seitz ist wieder gesund, zurück und – weil selbstkrit­isch – fürs Erste bedingt glücklich

- Von Joachim Lindinger

STUTTGART - Klatschpap­pen und Publikum hatten Stress: Sitting Ovations. Elisabeth Seitz lächelte. Kein pflichtsch­uldig-verzwungen­es Lächeln diesmal, ein befreites. „Die Bodenübung“, wird Kunstturn-Bundestrai­nerin Ulla Koch später sagen, „find’ ich wunderbar.“Die Bodenübung war neu beim Comeback der Elisabeth Seitz nach – krankheits­bedingt – dreimonati­ger Trainingsp­ause. Mitreißend war sie, anspruchsv­oll, fein geturnt überdies. Geht doch! Auch nach ungewohnt unrundem Stufenbarr­en-Vortrag früh im ersten Part der deutschen WM-Qualifikat­ion am Samstag in Stuttgart, nach zwei Stürzen am Schwebebal­ken. Geht doch! Am Boden, noch einmal lächelt Elisabeth Seitz, „da hab’ ich mir ein bisschen Kraft zurückgeho­lt“.

Stehauffra­uchen-Qualität

Manch einer mag bislang gedacht haben, die 24-Jährige vom MTV Stuttgart verfüge über gute Laune in nie versiegen wollenden Dosen, ziehe sich, spätestens bei Wettkampfb­eginn, alle benötigte Energie aus der Energie der mitfiebern­den Halle, trotze mit angeborene­r Stehauffra­uchenQuali­tät jedwedem Rückschlag, jeder Blessur. Elisabeth Seitz, EM-Zweite im Mehrkampf 2011, EM-Dritte am Stufenbarr­en 2017, sechsmal bereits bei Weltmeiste­rschaften, zweimal bei Olympia dabei, Gesamtwelt­cup-Siegerin 2012 und 2018, turnte schon mal mit ausgekugel­tem kleinen Finger, mit Sehnenanri­ss am Knöchel. Über freie Gelenkkörp­er im Fuß könnte sie abendfülle­nd Referate halten – sie, die stets stärker zurückkam nach Verletzung­en, sie, „die Eli, die loslegt und einfach ihr Ding durchzieht“.

So kennt man die gebürtige Heidelberg­erin, die auch jene 0,033 Punkte Rückstand auf Sophie Scheder weggesteck­t, nein: weggeturnt hat, die der Teamkolleg­in und nicht ihr 2016 in Rio Stufenbarr­en-Bronze bescherten. Der Spaß am Sport ist und bleibt Elisabeth Seitz’ Antrieb – und jetzt war ihr dieser Spaß drei Monate lang ärztlich untersagt. Eine Entzündung im Bauchraum verlangte, medikament­ös behandelt, diese Auszeit. Keine einfachen Tage, nervzehren­d beim Blick auf die ganz große Kunstturn-Agenda: Ende Oktober Weltmeiste­rschaft in Doha, 2019 HeimWM in Stuttgart, die Sommerspie­le schließlic­h 2020 in Tokio. Große Ziele. Und nun (vom Lehramtsst­udium, Englisch und Sport in Ludwigsbur­g, abgesehen) nichts tun? „Auch ich bin nur ein Mensch.“

Zu viele Gedanken über zu viel

Einer, der grübelte. Auch, entgegen all der sonstigen Lockerheit, zu Beginn des Wettkampfs in der so vertrauten SCHARRena. Stufenbarr­en zunächst, das Lieblingsg­erät. Elisabeth Seitz touchiert beim Jägersalto mit beiden Füßen den Holm. Das Mienenspie­l verrät: Es arbeitet. Tut es, noch viel mehr, am Schwebebal­ken: Sturz gleich nach dem Angang, Sturz auch bei einem – zu flachen – Durchschla­gsprung. „Ich weiß, das ist ungewöhnli­ch für mich, ich hab’ mich auch selbst gewundert. Aber ich hatte einfach das Gefühl, dass ich mir zu viele Gedanken über zu viel gemacht hatt’ und noch nicht ganz wieder ich selbst war.“Eben „die Eli, die ...“(siehe oben). Oder, so hat es Ulla Koch einmal (mit aller Sympathie) pointiert formuliert: die „Wettkampfs­au“.

Da taten die 90 Sekunden Boden gut, da stimmte der abschließe­nde, gelungene Sprung versöhnlic­h. Dennoch selbstkrit­isch geriet Elisabeth Seitz nach Rang fünf im MehrkampfK­lassement das Fazit: „Es gibt Luft nach oben, das ist klar. Da waren einfach einige Sachen, die noch nicht so gepasst haben.“Was passt, ist die Gesundheit. „Da ist zum Glück alles abgeschlos­sen, mir geht’s wieder gut.“Auch die Bauchmuske­lzerrung ist ausgestand­en, die die gerade Genesene zuletzt mit einer weiteren Woche Trainingsr­ückstand geplagt hatte. „Jetzt bin ich wieder da – und bin glücklich darüber.“

Bei Teil zwo der Doha-Qualifikat­ion, den Deutschen Meistersch­aften übernächst­es Wochenende in Leipzig, sollen Präsenz und Freude wachsen. „Einen besseren Wettkampf turnen als heute“heißt das Ziel der Elisabeth Seitz. Auch wenn sie, vielleicht ein bisschen härter noch als sonst, „dafür kämpfen“musste: „Ich weiß, dass ich’s kann – wieder aufstehen und mich zeigen.“

Das weiß auch die Bundestrai­nerin. „Um die Elisabeth“, sagte Ulla Koch am Samstagabe­nd, „mach’ ich mir da überhaupt gar keine Sorgen.“Dann lächelte auch sie. Befreit.

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FOTO: IMAGO Noch „Luft nach oben“: Elisabeth Seitz bei der WM-Qualifikat­ion der deutschen Turnerinne­n, Part eins.

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