Die Nicht-Titel-Reifen
Ferrari verspekuliert sich bei der Wahl der Pneus, was Lewis Hamiltons Sieg erleichtert
SINGAPUR (SID) - Nach dem Ende fast aller Titelhoffnungen hatte Sebastian Vettel keine Lust auf eine Champagnerdusche mit dem entfesselten Sieger Lewis Hamilton. Der erneut schwer geschlagene Ferrari-Star setzte die riesige Flasche an den Mund – und spülte all seinen Frust über den nächsten bitteren Fehler seines Teams und die dramatischen Folgen herunter: nur Platz drei auf der vermeintlichen Ferrari-Strecke in Singapur und nunmehr 40 WMPunkte Rückstand auf Hamilton.
„Wir haben uns selbst Ärger eingebrockt“, sagte Vettel über seinen zu frühen Boxenstopp und die falsche Reifenwahl der Ferrari-Strategen: „Es hat nicht geklappt, es hat überhaupt nicht geklappt. So, wie wir hier aufgetreten sind, hatten wir keine Chance.“
Die Taktik kostete auch den zweiten Platz, den sich der Niederländer Max Verstappen im Red Bull sicherte, drei weitere wichtige Punkte gingen verloren. „Wir dachten nicht, dass wir gerade hier so viel verlieren“, sagte Vettel. Eine einfache Rechnung macht den Ernst der Lage klar: Selbst wenn Vettel die restlichen sechs Rennen gewinnt und Hamilton stets nur Zweiter wird, macht der Deutsche gerade mal 42 Punkte gut.
Und Lewis Hamilton wirkt nicht, als würde er diese Saison ohne weiteren Sieg beenden. Gegen den bisherigen Singapur-RekordgewinnerVettel lieferte der Engländer ein weltmeisterliches Freitag-Samstag-Sonntag-Paket ab und raste von der überlegen herausgefahrenen Pole Position zum hochverdienten Erfolg.
„Was für ein Wochenende, was für ein Rennen“, schwärmte der Brite, „ich fühle mich gesegnet. Ich hatte Kontrolle, ich konnte Druck machen, wenn es nötig war.“Er wisse nicht, „wo die Geschwindigkeit von Ferrari geblieben ist“, sagte Hamilton. Und das war in der Tat die Frage des Wochenendes.
Denn Ferraris Status als Topfavorit auf dem Stadtkurs hatte Hamilton schon im Qualifying geradezu zertrümmert – er benötigte dafür 1:36,015 Minuten. Mit der mit Abstand schnellsten Runde, die jemals auf dem Marina Bay Street Circuit gedreht wurde, raste er zur Pole Position und stellte die allgemeinen Erwartungen an dieses Rennen mit einem Mal auf den Kopf.
Vettel stand von Startplatz drei hinter Verstappen damit unter Hochdruck, er musste im Leitplankengewirr Plätze gutmachen, durfte aber auch keinen Ausfall riskieren. Als die roten Lichter ausgingen, setzte sich der Deutsche schon in der ersten Kurve neben Verstappen, steckte aber zurück, um eine Kollision zu verhindern. Die nächste Chance bot sich gleich auf der anschließenden Vollgaspassage, und Vettel ging aus dem Windschatten vorbei. Damit hatte er die Grundlage geschaffen, um Hamilton im längsten Rennen des Jahres in einen Fehler zu treiben – doch die Ferrari-Box verlor im folgenden Taktikpoker die Nerven.
Vettel wurde in der 15. Runde als erster der Top–Piloten zum Reifenwechsel gerufen und bekam überraschend nicht die härteste verfügbare Mischung aufgezogen. Zudem kam Vettel bei nicht vollständig freier Fahrt zurück auf die Strecke, lief bald auf Hinterbänkler auf.
Rekord mit Ultrasoft-Pneus
„Das hat zu viel Zeit gekostet“, sagte er. „Und ich hatte auch kaum noch Hoffnungen, dass mit den Reifen irgendetwas geht. Einen weiteren Stopp konnte ich mir aber auch nicht erlauben, also habe ich nur noch versucht, mich über Wasser zu halten, mit den Reifen irgendwie ins Ziel zu kommen.“
Nicht nur Hamilton, auch Verstappen kam damit vor Vettel zurück auf die Strecke. Und der Deutsche konnte nicht angreifen, im Gegenteil. Er musste seinen Ferrari geradezu um den Kurs streicheln, um auf den stark beanspruchten weichen Reifen irgendwie den zweiten Boxenstopp zu vermeiden, der wohl den Sturz auf Rang sechs bedeutet hätte. Zumindest dies glückte, und zwar mit einem Rekord: Mehr als 220 Kilometer absolvierte Vettel mit dem „Ultrasoft“, das hatte es in einem Grand Prix noch nicht gegeben.
Nico Hülkenberg erlebte indes ein recht enttäuschendes 150. Formel-1Rennen seiner Karriere, der RenaultPilot holte als Zehnter nur einen WMPunkt. Zu beeindrucken wusste wieder einmal Vettels künftiger Teamkollege Charles Leclerc, der seinen Sauber auf Rang neun steuerte.