Schwere Zeiten für die EU
Es mag mit der jeweiligen innenpolitischen Lage zusammenhängen, und bedächtige Zeitgenossen könnten die teils schrille Rhetorik für übertrieben erachten, aber die Beschreibung der aktuellen politischen Situation in der EU von zahlreichen Politikern ist richtig. Österreichs sozialdemokratischer Ex-Kanzler Christian Kern kündigt an, als Spitzenkandidat seiner Partei nach Brüssel beziehungsweise Straßburg gehen zu wollen. Es gelte, das „europäische Erbe zu bewahren“und sich denen zu stellen, die die „Abrissbirne gegen Europa“einsetzten. Ähnlich äußerte sich aus den USA Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der das Handeln von Rechtspopulisten als einen „enormen Angriff“auf den Verfassungsstaat bezeichnete.
Dem ist zuzustimmen. Aber es bleibt auch festzustellen, dass die Demokraten aller politischen Farben verzweifelt nach Wegen suchen, wie sie der Propaganda von rechts etwas entgegensetzen können. US-Präsident Donald Trump, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan oder auch Ungarns Regierungschef Victor Orban spielen ihren Populismus virtuos aus, wenn sie die internationale Zusammenarbeit für ihre innenpolitischen Probleme verantwortlich machen. Mit echter oder ritualisierter Empörung kommt dagegen kaum jemand an.
Wie dramatisch die Auswirkungen sein können, zeigt der Kampf um die Deutungshoheit des Brexit, der als Jahrhundert-Irrtum bezeichnet werden kann. Obgleich die verheerenden Fakten über die Auswirkungen des EU-Austritts Großbritanniens auf dem Tisch liegen, gelingt es den Befürwortern weiterhin, die Kritik an ihren Märchenerzählungen mit Schmähungen von rationaler Politik zurückzuweisen. Und sie machen weiter. Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini veröffentlicht aus einer vertraulichen Sitzung den von ihm provozierten Wutausbruch des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn. Salvini will, wo und wie immer er kann, die EU diskreditieren. Schwere Jahre liegen vor dem Kontinent.