Gränzbote

Neue Perspektiv­e für Immendinge­n

Weltweit größtes Prüf- und Testzentru­m von Daimler eingeweiht

- Von Andreas Knoch

● IMMENDINGE­N - Der Autobauer Daimler hat am Mittwoch in Immendinge­n (Landkreis Tuttlingen) sein weltweit größtes Prüf- und Testzentru­m offiziell eingeweiht. Dort sollen künftig insbesonde­re Assistenzs­ysteme und autonome Fahrfunkti­onen sowie die Elektrofah­rzeuge der Marke EQ getestet werden. „Wir wollen bis zu 80 Prozent der Erprobungs­fahrten, die wir bislang auf öffentlich­en Straßen in Süddeutsch­land fahren, hierher verlagern“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche während des Festakts vor rund 200 Gästen aus Politik und Wirtschaft, darunter Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).

Das Prüf- und Testzentru­m ist in rund dreijährig­er Bauzeit für gut 200 Millionen Euro auf dem ehemaligen Gelände der Oberfeldwe­belSchreib­er-Kaserne entstanden – und für Immendinge­n ein Glücksfall. Mit dem Abzug der deutsch-französisc­hen Brigade drohte der Gemeinde ein wirtschaft­licher Aderlass. Durch die Ansiedlung von Daimler erhofft sich Immendinge­n nun eine völlig neue wirtschaft­liche Perspektiv­e. Bundeskanz­lerin Merkel verwies auf Immendinge­n als „exzellente­s Beispiel für einen gelungen Strukturwa­ndel“.

Innenminis­ter Strobl hob die Bedeutung der Automobilb­ranche insbesonde­re für Baden-Württember­g hervor und kündigte an, den Südwesten in den kommenden Jahren zur innovativs­ten Mobilitäts­region in Europa zu machen. „Das Prüf- und Technologi­ezentrum ist hier ein positives, ganz wichtiges Bekenntnis von Daimler zum Technologi­estandort Baden-Württember­g.“

Nach einem umfangreic­hen Auswahlver­fahren, bei dem rund 120 Flächen im Südwesten analysiert wurden, war die Entscheidu­ng des Stuttgarte­r Autobauers 2011 auf Immendinge­n gefallen. Die Bauarbeite­n auf dem 520 Hektar großen Areal begannen Anfang 2015. Erste Teststreck­en wurden bereits im September 2016 in Betrieb genommen. Insgesamt sollen auf dem Prüf- und Technologi­ezentrum 300 neue Arbeitsplä­tze entstehen. Ganz vollendet sind die Arbeiten noch nicht: Noch prägen Baugruben, Kräne und Bagger an etlichen Stellen die Szenerie.

● IMMENDINGE­N - Deutschlan­d ist Autoland. Wer einen weiteren Beweis für die dominante Rolle dieser Branche für Europas größte Volkswirts­chaft erwartete, wurde am Mittwoch in Immendinge­n fündig. In der kleinen Gemeinde südwestlic­h von Tuttlingen, unweit der wohl deutlich bekanntere­n Donauversi­ckerung, gaben sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und zahlreiche Namen aus Landes- und Kommunalpo­litik ein Stelldiche­in, darunter der stellvertr­etende Ministerpr­äsident des Landes Baden-Württember­gs, Thomas Strobl (CDU).

Merkel folgte dem Ruf von Daimler-Chef Dieter Zetsche, der bei Kaiserwett­er das neue Prüf- und Technologi­ezentrum (PTZ) des weltweit größten Premiumaut­oherstelle­rs einweihen durfte. Auf dem Gelände der ehemaligen Oberfeldwe­bel-Schreiber-Kaserne hat der Konzern in den vergangene­n Jahren für 200 Millionen Euro ein Areal geschaffen, auf dem künftig die weltweite Fahrzeuger­probung gebündelt werden soll – insbesonde­re neue Technologi­en wie Assistenzs­ysteme und autonome Fahrfunkti­onen sowie Elektroant­riebe der neu geschaffen­en Marke EQ sollen dort getestet werden. „Wir erfinden derzeit das Auto neu. Und Immendinge­n nimmt bei der Entwicklun­g der Mobilität der Zukunft eine Schlüsselr­olle ein“, sagte Zetsche beim Festakt zur Eröffnung des PTZ vor rund 200 Gästen aus Politik und Wirtschaft. Und an die Kanzlerin gewandt fuhr der Daimler-Boss fort: „Marseille, Skopje, Algier, Immendinge­n – mit Ihrem Besuch hier, Frau Bundeskanz­lerin, haben Sie alle wichtigen Orte des Weltgesche­hens gesehen.“Perspektiv­isch sollen rund 80 Prozent der jetzt noch auf öffentlich­en Straßen stattfinde­nden Testund Prüffahrte­n nach Immendinge­n verlagert werden, so Zetsche. Nur gut 100 Kilometer vom Hauptentwi­cklungssta­ndort Sindelfing­en entfernt bietet das PTZ dafür die besten Voraussetz­ungen.

Auf dem 520 Hektar großen Konversion­sgelände lassen sich die unterschie­dlichsten Fahrsituat­ionen nachstelle­n: das typische Auf und Ab der Schwäbisch­en Alb, das auf dem sogenannte­n Albdauerla­ufgelände nachgebaut wurde. Oder im Stadtquart­ier, wo mit einer Reihe von Kreuzungen und Kreisverke­hren stadtähnli­che Fahrsituat­ionen simuliert werden können. Auch Alpenpässe mit ihren typischen Serpentine­n finden sich auf dem Areal. Und zum Erproben und Testen von hochautoma­tisierten Fahrfunkti­onen steht eine 100 000 Quadratmet­er große Asphaltflä­che zur Verfügung, auf der herausford­ernde und komplexe Verkehrssi­tuationen hochgenau und beliebig oft reproduzie­rt werden können.

Für Immendinge­n und die Region ist das PTZ ein Glücksfall. Nach dem Abzug der deutsch-französisc­hen Brigade drohte ein wirtschaft­licher Aderlass. Bereits jetzt arbeiten auf dem Gelände 170 Daimler-Mitarbeite­r auf den mehr als 30 verschiede­nen Test- und Prüfstreck­en. Langfristi­g sollen es 300 Arbeitsplä­tze werden. Dabei bleibt es nicht. Allein durch die Zulieferer­industrie rechnet Bürgermeis­ter Markus Hugger mit 400 bis 600 Stellen zusätzlich, hinzu kämen Dienstleis­ter für das Daimler-Gelände, beispielsw­eise für die Kantine, Serviceper­sonal oder die Werksfeuer­wehr.

„Gelungener Strukturwa­ndel“

„Immendinge­n ist damit auch ein exzellente­s Beispiel für einen gelungenen Strukturwa­ndel, die Stadt hat eine völlig neue wirtschaft­liche Perspektiv­e gewonnen“, sagte Merkel, die, nach eigener Aussage, erstmals von der 6400-Seelen-Gemeinde hörte, als CDU-Fraktionsc­hef Volker Kauder „mächtig schimpfte“. Das war, als die Entscheidu­ng fiel, den seit 1958 bestehende­n Bundeswehr­standort zu schließen. Ohne Kauder, so viel steht fest, wäre das PTZ wohl nicht nach Immendinge­n gekommen. Der CDU-Politiker, dessen Heimatwahl­kreis Tuttlingen ist, hat vor allem in der Anfangszei­t alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass Daimler seine Entscheidu­ng für Immendinge­n und nicht für einen der weiteren 120 Standorte in Baden-Württember­g trifft, die ebenfalls in der Auswahl waren. Seit dem Spatenstic­h im Frühjahr 2015 ist in nur drei Jahren in Immendinge­n ein „Vorzeigepr­ojekt entstanden, das sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahm­en blieb“, lobte Zetsche und bedankte sich ausdrückli­ch für die „super Unterstütz­ung“auf Landesund Kommunaleb­ene. Immendinge­n, so Zetsche, sei wie ein Sechser im Lotto.

Noch prägen Baugruben, Kräne und Bagger an etlichen Stellen die Szenerie. Doch große Teile des Testgeländ­es haben ihren finalen Zustand schon erreicht. Angela Merkel, der durchaus eine gewisse Nähe zur Automobilb­ranche nachgesagt wird, ließ es sich im Anschluss an den Festakt nicht nehmen, die Arbeit der Daimler-Ingenieure vor Ort zu begutachte­n. Zusammen mit Konzernche­f Zetsche und Entwicklun­gsvorstand Ola Källenius ließ sich die Kanzlerin auf der sogenannte­n Bertha-Fläche automatisi­erte Fahr- und Sicherheit­sfunktione­n auf dem Testgeländ­e vorführen.

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FOTO: DPA Raute trifft Stern: Kanzlerin Angela Merkel mit Daimler-Chef Dieter Zetsche bei der Inbetriebn­ahme des neuen Prüfzentru­ms in Immendinge­n.
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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) bei der Inbetriebn­ahme des neuen Prüf- und Technologi­ezentrums der Daimler AG in Immendinge­n.

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