Gränzbote

Die Generation Mitte sucht Freunde

Trotz ihrer guten wirtschaft­lichen Situation sind die 30- bis 59-Jährigen zutiefst verunsiche­rt

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Wohl dem, der Freunde hat. Die Mehrheit der 30- bis 59-Jährigen entdeckt die Freundscha­ft als neue Konstante im Leben. Denn aus ihrer Sicht ist die Gesellscha­ft materialis­tischer, egoistisch­er und intolerant­er geworden. Aber das ist nicht alles. Dazu kommen die weltweiten Krisen, das politische Durcheinan­der in Deutschlan­d. All das verunsiche­re „die Generation Mitte zutiefst“, sagt Renate Köcher. Die Professori­n leitet das Institut für Demoskopie Allensbach – und macht einen Rückzug ins Private aus.

Köcher und ihre Kollegen haben im Auftrag der Versicheru­ngswirtsch­aft knapp 1050 repräsenta­tive ausgewählt­e Männer und Frauen im Alter von 30 bis 59 Jahren im Juli befragt. Die Generation Mitte spielt eine große Rolle, die Forscher nennen sie die „Leistungst­räger“.

Als jene zwischen den Jungen und Alten tragen sie zum einen die Hauptlast der Kindererzi­ehung, zum anderen müssen sie sich um ihre eigenen Eltern kümmern, die womöglich nicht mehr allein zurecht kommen. Und: Sie erwirtscha­ften über 80 Prozent der steuerpfli­chtigen Einkünfte. Nur: Selten glaubten sie so wenig an das Glück wie derzeit. Eigentlich paradox. Denn über Jahrzehnte, sagt Wolfgang Weiler vom Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngsgesells­chaft, habe die Regel gegolten „wenn die Wirtschaft brummt, ist auch die Stimmung gut“. Nun geht es der Generation Mitte materiell so gut wie nie, wobei in sozial schwächere­n Schichten die Bilanz freilich weniger gut ausfällt.

Insgesamt finden 42 Prozent ihre eigene wirtschaft­liche Situation heute besser als vor fünf Jahren. Die Angst vorm sozialen Abstieg hat abgenommen. Nur zwölf Prozent der Befragten machen sich Sorgen, dass sie ihren Job verlieren könnten. So niedrig war der Wert seit der ersten Erhebung im Jahr 2013 nicht. Und 58 Prozent sehen auch noch gute Aufstiegsc­hancen. Trotzdem ist die Stimmung gedrückt – warum?

Kein Vertrauen in die Politik

Entscheide­nde Ergebnisse der Umfrage: Um das Ansehen der Politik ist es nicht gut bestellt. Bemerkensw­ert sei vor allem das Tempo, mit dem das Vertrauen in die politische Stabilität Deutschlan­ds schwinde: 2015 vertrauten noch 49 Prozent, 2018 sind es nur noch 27. Zwei Drittel der Befragten halten darüber hinaus den sozialen Zusammenha­lt für schwach.

Vielen, so zeigt die Studie, passen die zunehmende­n Vorbehalte gegen Ausländer nicht; das Anhäufen von Besitz und das ständige Miteinande­r-vergleiche­n-müssen auch nicht. Immer hat jemand das größere, teurere Auto oder die schickere Wohnung. Auch beklagt die Generation Mitte Rücksichts­losigkeit und mangelnde Hilfsberei­tschaft, zudem Respektlos­igkeit gegenüber Regeln und Vorschrift­en. So halten rund 40 Prozent die Zeiten für ausgesproc­hen schwierig, hat nur jeder Dritte den Eindruck, dass wir alles in allem in glückliche­n Zeiten leben.

Zwar könnte man leichter in den Urlaub fahren, sich im Alltag ohne schlechtes Gewissen was leisten, doch auf der anderen Seite sei das Leben heute fordernder und anstrengen­der. Soll heißen: Man habe mehr Stress, müsse unglaublic­h flexibel und mobil sein.

Das hat auch mit der Digitalisi­erung zu tun, die das Leben von allen auf den Kopf stellt, das von Eltern aber noch einmal besonders: 42 Prozent der Befragten geben an, dass das Internet die Erziehung schwierige­r mache.

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