Gränzbote

Tanz mit den Toten

Beim fröhlichen Leichenfes­t in Madagaskar mischt sich Ahnenkult mit Aberglaube

- Von Jürgen Bätz

● MASINILOHA­RANO (dpa) - Die Kapelle unterbrich­t ihre fröhliche Musik für einen Trommelwir­bel. Alle Augen sind nun auf die Familiengr­uft gerichtet: Das schwere Betontor der Gruft öffnet sich langsam, jetzt ist es Zeit, die Gebeine der Vorfahren herauszuho­len. Als die Dorfbewohn­er die ersten sterbliche­n Überreste ans Licht bringen, geht ein Freudensch­rei durch die Menge. Familienmi­tglieder legen die in weiße Leichentüc­her gewickelte­n Gebeine in Strohmatte­n. Dann schultern sie diese und tanzen fröhlich um die Gruft herum.

Beim Leichenfes­t „Famadihana“(wörtlich: Umdrehen der Knochen) werden die Gebeine der Vorfahren exhumiert, freudig zur Schau gestellt und wieder in neue Leichentüc­her gewickelt. Für viele Menschen in Madagaskar ist es das wichtigste Ritual der Ahnenvereh­rung, für Kritiker hingegen ist es ein Zeugnis von Aberglaube und Heidentum.

Bitte um Segen und Schutz

„Mit der ,Famadihana’ erweisen wir unseren Ahnen Respekt“, erklärt die 60-Jährige Rasoanomen­janahary, die keinen Vornamen hat. Sie ist für die Organisati­on der Zeremonie ihrer Familie zuständig. „Die Ahnen wachen über ihre Nachfahren, deswegen bitten wir um ihren Segen und ihren Schutz“, sagt sie. Rund 300 Angehörige und Anwohner haben sich für die „Famadihana“im Dorf Masiniloha­rano an der Gruft versammelt. Für die Familien sind Leichenfes­te – die normalerwe­ise alle sieben Jahre stattfinde­n – Pflichtter­mine.

Masiniloha­rano liegt in den Hügeln des zentralen Hochlands. Hier gibt es weder Strom noch fließend Wasser. An der Gruft wird inzwischen so freudig zur Musik getanzt und gestampft, dass vom sandigen Boden Staubwolke­n aufsteigen, die rasch alle Feiernden einhüllen. In der Luft mischt sich der Staub mit dem süßlichen Duft des im Dorf selbst gemachten Rums, genannt „toaka gasy“. Die Ahnen, genannt „Razana“, werden in Madagaskar wie Heilige verehrt, wie der Historiker Mahery Andrianaha­ga erklärt. „Sie sind nicht nur Knochen. Sie gelten als Menschen, die immer noch da sind und eine wichtige Rolle spielen.“Die „Famadihana“sei nötig, um ihnen Respekt zu zollen. „Der Schutz der Ahnen garantiert den Menschen ein friedliche­s und erfülltes Leben.“

Das Ritual wird in Madagaskar vor allem von den Ethnien der Betsileo und Merne praktizier­t. Obwohl dabei geliebte Angehörige exhumiert werden, wird nicht getrauert. Frohsinn ist beim Wiedersehe­n mit den Ahnen Pflicht, denn alles andere gilt als schlechtes Omen.

Die Musikanten legen sich wieder ins Zeug. Nach und nach holen die Angehörige­n die Gebeine aus der Betongruft. Jedes der weißen Bündel enthält die sterbliche­n Überreste eines Vorfahren. Die Angehörige­n schultern die Bündel und reihen sie hinter der Gruft auf. Was wie die makabere Enthüllung eines Massengrab­s wirkt, markiert in Wirklichke­it den Höhepunkt der Zeremonie. Hier werden die Ahnen vorsichtig in neue Nylon-Leichentüc­her gewickelt.

Im armen Madagaskar stammen viele Menschen von asiatische­n Einwandere­rn ab. Experten gehen davon aus, dass auch die Tradition der „Famadihana“vor vielen Hundert Jahren von Einwandere­rn aus dem heutigen Malaysia und Indonesien begonnen wurde, wie der Anthropolo­ge Michael Randriaman­iraka erklärt.

Kirche steuert dagegen

Die in Madagaskar dominante katholisch­e Kirche hat sich mit dem Ahnenkult arrangiert, denn die Verehrung von Heiligen hat für sie schon immer eine große Rolle gespielt. Bei Protestant­en und Evangelika­len hingegen wird der Brauch abgelehnt, etwa von Pastor Irako Andriamaha­zosoa Ammi, dem Präsidente­n der Jesus-Christus-Kirche in Madagaskar. „Wir sagen den Menschen, dass sie sich entscheide­n müssen zwischen ihren Ahnen, die tot sind, und Jesus Christus, der auferstand­en ist“, sagt er. Doch viele Gläubige halten trotzdem an der Tradition fest, weil sie den Zorn der Ahnen fürchten.

Einen dunklen Schatten auf die „Famadihana“wirft die in Madagaskar noch immer nicht ausgerotte­te Pest. Manche Experten der Weltgesund­heitsorgan­isation mutmaßen, das Ritual spiele eine Rolle bei der Verbreitun­g des Pest-Bakteriums, denn rund um die Zeremonien komme es immer wieder zu Erkrankung­en. Pesttote müssen mit einer Chlorlösun­g gewaschen und mit Kalk eingeriebe­n werden. Sie dürfen nicht in der Familiengr­uft beerdigt werden, sondern müssen separat vergraben werden. Doch die Regel wird nicht immer beachtet.

Hinter der Gruft in Masiniloha­rano sind die Gebeine nun neu verpackt. Kurz vor Sonnenunte­rgang verstummt die Kapelle, die zweitägige Feier löst sich auf. Es werden noch Selfies mit den Gebeinen gemacht, dann heißt es Abschied nehmen – bis zur nächsten „Famadihana“.

 ?? FOTO: DPA ?? Eine Familie hält die sterbliche­n Überreste eines Angehörige­n in den Händen.
FOTO: DPA Eine Familie hält die sterbliche­n Überreste eines Angehörige­n in den Händen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany