Gränzbote

Tochter verzweifel­t gesucht

„Searching“– Fasziniere­ndes Kinoexperi­ment über die Untiefen der sozialen Netzwerke

- Von Matthias von Viereck

Die Digitalisi­erung der Welt wird auch auf großer Kinoleinwa­nd verhandelt. Seit Kurzem ist gar von einem neuen Genre die Rede, dem sogenannte­n „Desktop-Film“. Gemeint sind Filmwerke, deren Geschehen sich gänzlich auf Bildschirm­en abspielt, ob auf der Oberfläche eines Handys oder eines Computers. Nun gelangt mit „Searching“ein Werk in die Kinos, das dem Genre zu noch größerer Aufmerksam­keit verhelfen dürfte.

Regie führt der in den USA aufgewachs­ene Inder Aneesh Chaganty. Der ehemalige Google-Mitarbeite­r berichtet in „Searching“, seinem Kinodebüt, von einem völlig verzweifel­ten Vater (verkörpert von John Cho aus „Star Trek: Beyond“), der auf der Suche ist nach seiner verschwund­enen Tochter. Nach dem Krebstod der Mutter hat David Kim seine Tochter alleine großgezoge­n. Nun ist sie 16, und auch wenn das Verhältnis der beiden vertrauens­voll anmutet, wird doch schnell klar, dass dieser Eindruck täuscht. Eines Tages nämlich ist Margot weg, wie vom Boden verschluck­t, und dabei wähnte sie der ahnungslos­e Vater bei der Klavierstu­nde. Aber Margot ist nicht mehr das artige Töchterlei­n, längst hat sie sich im Netz eine zweite Identität aufgebaut.

Der verzweifel­te David macht sich selbst auf die Suche, die ihn über Margots Laptop in die Untiefen der sozialen Netzwerke, Video-Blogs und anderer digitaler Plattforme­n führt. Und die den konsternie­rten Vater mit der Tatsache konfrontie­ren, dass es sich bei seiner vermeintli­ch so beliebten Tochter um eine Einzelgäng­erin handelt.

Großartig an diesem Film ist vor allem, mit welcher Leichtigke­it ein Computer-Bild das nächste jagt. Lange hat man etwa keinen so packenden Einstieg erlebt wie hier. In wenigen Minuten erzählt uns Regisseur Chaganty nur anhand von Netzbilder­n, Videos und anderen digitalen Formaten, welches Leben Margot bisher führte. Zugleich muten schon diese ersten Einstellun­gen wie eine Warnung an: Das Internet vergisst nie, überall hinterlass­en wir unsere Spuren. Spuren, das zeigt dieser Film, aus denen sich problemlos ein ganzes Leben rekonstrui­eren lässt. Auf geradezu erschütter­nde Art und Weise verdeutlic­ht dieser Film den Stellenwer­t, den die sozialen Netzwerke bei vielen Jugendlich­en inne haben.

Haben wir es bei „Searching“mit der Zukunft des Kinos zu tun? Das bleibt abzuwarten. Um einen hochaktuel­len, im besten Sinne zeitgenöss­ischen Film aber handelt es sich in jedem Fall. (dpa)

Searching. Regie: Aneesh Chaganty. Mit John Cho, Debra Messing, Michelle La. USA 2018. 102 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: DPA David (John Cho) macht sich im Netz auf die Suche nach seiner verschwund­enen Tochter – und stellt fest, wie wenig er über die 16-Jährige weiß.

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