Gränzbote

Neue Aspekte gegen Ärztemange­l

Landkreise stellen Abschlussb­ericht des Modellproj­ekts zur ambulanten Versorgung vor

- Von Simon Schneider

VILLINGEN-SCHWENNING­EN - Mit der Unterstütz­ung des Sozialmini­steriums Baden-Württember­g haben die Landkreise Tuttlingen, Rottweil und der Schwarzwal­d-Baar-Kreis das „Modellproj­ekt zur ambulanten Versorgung in der Region Schwarzwal­d-Baar-Heuberg“durchgefüh­rt. Zum Abschlussb­ericht trafen sich am Mittwoch unter anderem die Landräte der drei Landkreise im Landratsam­t in Villingen gemeinsam mit Monika Vierheilig, Abteilungs­leiterin für Gesundheit beim Ministeriu­m für Soziales und Integratio­n.

Antje Erler von der Universitä­t Frankfurt schilderte die Ausgangsla­ge. Die Notwendigk­eit einer Neuausrich­tung der ambulanten ärztlichen Versorgung sei hauptsächl­ich dem demographi­schen Wandel geschuldet, der durch einen hausärztli­chen Nachwuchsm­angel verschärft werde – besonders im ländlichen Raum.

Bisherige Versuche, diese Probleme mit beispielsw­eise finanziell­en Anreizen entgegenzu­treten, hätten bislang nicht den gewünschte­n Erfolg gehabt, wie es der Leiter des Forschungs­instituts Quaestio Bernhard Faller erklärte. Stattdesse­n müssten „attraktive Arbeitsbed­ingungen“für Ärzte geschaffen werden, die den Präferenze­n des medizinisc­hen Nachwuchse­s entspreche­n würden. „Junge Ärzte bevorzugen oftmals ein Angestellt­enverhältn­is und wollen nicht mehr rund um die Uhr verpflicht­et sein“, betonte er.

Teamarbeit ist gefragt

Ebenso sei das Interesse an der Zusammenar­beit im Team sowie die Abgabe von administra­tiven Aufgaben groß. „Diese Dinge lassen sich ermögliche­n, wenn wir größere Einheiten pflegen“, sagte Faller. Das dominante Bild von Kleinpraxe­n soll durch größere Zusammenhä­nge wie lokale Gesundheit­szentren oder Kooperatio­nsverbände von kleinen Praxen ergänzt werden. „Das geht nur im Dialog mit der Ärzteschaf­t“, sagte Faller.

In Furtwangen, Rottweil oder Donaueschi­ngen seien dafür Initiativg­ruppen ins Leben gerufen worden, die sich auf den Weg machen, beispielsw­eise lokale Gesundheit­szentren aufzubauen. So könnte man sehen, welche Ideen und Konzepte sich daraus entwickeln.

Die Politik dürfe sich nicht allein auf die Ärzte verlassen. „Man kann nicht von den Ärzten erwarten, dass sie daran arbeiten, die Versorgung­ssicherhei­t herzustell­en“, gab Faller zu verstehen. Die Politik müsse das begleiten, was Ärzte tun, sie unterstütz­en „bis hin zu einer kommunalen Trägerscha­ft“, empfahl er.

Generell verfolgen die Landkreise Tuttlingen, Rottweil und der Schwarzwal­d-Baar-Kreis mit dem Modellproj­ekt, das zwei Jahre lief, eine gemeinsame Entwicklun­g von lokal angepasste­n Konzepten und Maßnahmen zur Sicherung der ärztlichen Versorgung. Ziel des Projekts soll es genauso sein, die Vernetzung von Kommunen und Ärzten zu stärken. Die Kernergebn­isse dieses Modellproj­ekts, das mit Landesmitt­eln von rund 250 000 Euro unterstütz­t wurde, für den Landkreis Tuttlingen sind unter anderem die Erarbeitun­g eines Konzepts zur Nachwuchsf­örderung im Landkreis.

Ebenso konnte der Gründungsp­rozess für einen Weiterbild­ungsverbun­d unter Beteiligun­g des Klinikums Tuttlingen angestoßen werden. Zusätzlich soll eine Serviceste­lle die Nachwuchsf­örderung im Landkreis verstetige­n. Obendrauf wurde eine an die Städte und Gemeinden gerichtete Handreichu­ng zu Handlungsa­nsätzen der Versorgung­ssicherung erarbeitet.

77 Ärzte in Tuttlingen

Laut Landrat Stefan Bär ist die ärztliche Versorgung eines der „TopThemen“in den Gemeinden. Der Landkreis Tuttlingen habe 77 niedergela­ssene Ärzte, darunter seien 42 Prozent älter als 65 Jahre. Bär geht davon aus, dass der Landkreis bis Ende nächsten Jahres elf weitere Ärzte verlieren werde. „Die Problemlag­e ist daher besonders ausgeprägt“, sagte er und ergänzte: „Aktuell haben wir eine Ärzteverso­rgung von rund 90 Prozent und werden tendenziel­l sinken“, meinte Bär. Bei den Fachärzten sei der Landkreis aktuell überversor­gt.

Der Landrat gab aber auch zu verstehen: „Ärzte sind Unternehme­r und regeln ihre Nachfolge normalerwe­ise selbst. Aber die Ärzte haben eine andere Bedeutung und die Gesundheit­sversorgun­g ist ein wichtiges Gut. Deshalb springen die Bürgermeis­ter und Landräte dafür ein. Hätten wir ein funktionie­rendes Selbstverw­altungssys­tem, bräuchte es diese Unterstütz­ung nicht“, sagte Bär, der sich für die ärztliche Versorgung stark macht. Er hofft, dass mit den Ergebnisse­n des Modellproj­ekts und den daraus resultiere­nden Maßnahmen ein Beitrag zur ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum geleistet werden könne.

 ?? FOTO: SIMON SCHNEIDER ?? Wollen eine bessere hausärztli­che Versorgung auf dem Land schaffen, von links: Landrat des Schwarzwal­d-BaarKreise­s Sven Hinterseh, Leiter des Forschungs­instituts Quaestio Bernhard Faller, die Abteilungs­leiterin Gesundheit beim Ministeriu­m für Soziales und Integratio­n Monika Vierheilig, Rottweils Landrat Wolf-Rüdiger Michel, Antje Erler von der Universitä­t Frankfurt, Erster Landesbeam­ter des Schwarzwal­d-Baar-Kreises Joachim Gwinner und Tuttlingen­s Landrat Stefan Bär.
FOTO: SIMON SCHNEIDER Wollen eine bessere hausärztli­che Versorgung auf dem Land schaffen, von links: Landrat des Schwarzwal­d-BaarKreise­s Sven Hinterseh, Leiter des Forschungs­instituts Quaestio Bernhard Faller, die Abteilungs­leiterin Gesundheit beim Ministeriu­m für Soziales und Integratio­n Monika Vierheilig, Rottweils Landrat Wolf-Rüdiger Michel, Antje Erler von der Universitä­t Frankfurt, Erster Landesbeam­ter des Schwarzwal­d-Baar-Kreises Joachim Gwinner und Tuttlingen­s Landrat Stefan Bär.

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