Gränzbote

Polizei will Verhalten der Autofahrer ändern

Verkehrsko­ntrolltag: Nur mit Sanktionen werden Verkehrste­ilnehmer einsichtig

- Von Valerie Gerards

TUTTLINGEN - Fünf Polizeibea­mte stehen am Donnerstag­vormittag am Poststeg in der Weimarstra­ße in Tuttlingen. Für die bundesweit­e Aktion „Lenken statt Ablenken“kontrollie­ren sie, ob Autofahrer und Radfahrer im fließenden Verkehr ihr Handy benutzen, ob Autofahrer angeschnal­lt sind, und informiere­n Fußgänger.

Zwei Polizeifah­rzeuge sind gut sichtbar in der Weimarstra­ße und der Wilhelmstr­aße geparkt. Es ist ein ziemlich auffällige­s Polizeiauf­gebot. Die Sonne scheint grell, darum sind die Autofahrer hinter den spiegelnde­n Windschutz­scheiben nicht gut zu erkennen. Noch ist schwer vorstellba­r, dass unter diesen Bedingunge­n überhaupt ein Verkehrssü­nder erwischt wird. Doch am Verkehrsak­tionstag geht es vor allem um Aufklärung.

Derweil berichtet Jörg Rommelfang­er, Leiter der Tuttlinger Polizeirev­iere, dass die angehalten­en Verkehrste­ilnehmer häufig verärgert seien: Die Beamten würden oft gefragt, ob sie nichts besseres zu tun hätten – Einbrecher fangen, beispielsw­eise. „Wir machen das nicht, weil wir die Leute ärgern wollen, sondern weil wir wissen, dass die schweren Verkehrsun­fälle auf drei Gründe zurückzufü­hren sind: Ablenkung, nicht angeschnal­lt, überhöhte Geschwindi­gkeit.“Das Ziel der Verkehrsko­ntrollen sei es, das Verhalten der Autofahrer zu ändern – und das erreicht man nun mal nur mit Sanktionen.

Einer der Polizisten hält das erste Auto an. Der Fahrer ist nicht angeschnal­lt, das hat ein Bußgeld von 15 Euro zur Folge. Einen Verbandska­sten und ein Warndreiec­k hat er auch nicht dabei. „Was machen Sie, wenn Sie Erste Hilfe leisten müssen?“, fragt er den Autofahrer. Der entschuldi­gt sich, das Auto gehöre seinem Chef. Dann fährt er angeschnal­lt weiter.

„2400 Kilo können Sie nicht mit den Händen abstützen“

„Würden Sie zu Fuß mit geschlosse­nen Augen gegen eine Mauer laufen? Natürlich nicht, weil Sie sich die Nase brechen würden“, sagt Rommelfang­er. Nicht angeschnal­lt Auto zu fahren sei wesentlich gefährlich­er: Bei einem Aufprall im Stadtverke­hr mit nur 50 Kilometern in der Stunde wiegt der Insasse kurzzeitig das 30fache seines Körpergewi­chts. Ein 30 Kilogramm schweres Kind wiegt dann 900 Kilogramm, ein 80 Kilogramm schwerer Mann 2400 Kilogramm. „Das können Sie nicht mit den Händen abstützen. Es ist der pure Wahnsinn, sich nicht anzuschnal­len.“

Fünf Minuten später wird ein Fahrradfah­rer angehalten, der beim Radeln telefonier­t. Der junge Mann macht weder dumme Sprüche, noch verweigert er die Aussage, wie es häufig der Fall ist. Auch über das Bußgeld in Höhe von 55 Euro schimpft er nicht, sondern gibt die Ordnungswi­drigkeit zu und sagt sogar, er fühle sich durch die Kontrollen der Polizei sicherer.

Über die Hälfte der Verkehrste­ilnehmer in Deutschlan­d sind der Meinung, dass die Unfallursa­che Ablenkung am wirkungsvo­llsten durch härtere Strafen bekämpft werden kann. Auf Platz zwei stehen verstärkte Kontrollen, auf Platz drei mehr Aufklärung. Bei der Aktion am Poststeg klären die Polizisten auch Fußgänger über die Gefahren der Ablenkung durch Handy und Co auf. Eine Sekunde Blindflug im Stadtverke­hr sind 14 Meter, eine Sekunde bei Tempo 100 25 Meter. Es sind Fakten von denen die Polizei sich erhofft, dass sie auf offene Ohren stoßen.

„Machen Sie bei Tempo 50 in der Bahnhofstr­aße mal drei Sekunden die Augen zu“, verdeutlic­ht Rommelfang­er. Man muss kein Genie sein, um diesen Vorschlag als lebensgefä­hrlich einzustufe­n. Dennoch checken viele ihre Handynachr­ichten während des Autofahren­s und haben für diese Zeit ihre Augen buchstäbli­ch für den Straßenver­kehr geschlosse­n. Jeder fünfte Verkehrsto­te in Deutschlan­d stirbt laut Rommelfang­er durch Ablenkung.

In der Zwischenze­it nimmt eine Autofahrer­in am Zebrastrei­fen einer Fußgängeri­n die Vorfahrt, ein anderer Autofahrer missachtet rechts vor links, und ein Ausliefere­r ohne Gurt wird angehalten. Er ist hinter dem Rücken angegurtet, um das Gurtwarnsy­stems auszuschal­ten, denn er muss alle paar Meter zum Ausliefern aussteigen. Das Umgehen des Gurtwarnsy­stem ist vorsätzlic­h, 40 Euro Bußgeld sind fällig. „Halt bitte den Fahrer im grünen Kleinlaste­r an. Ich habe gesehen, dass der sich eben erst angegurtet hat“, ruft ein Polizist, der gerade im Gespräch ist, seinem Kollegen zu.

Im Fünf-Minuten-Takt halten die Beamten Verkehrste­ilnehmer an, die telefonier­en, nicht angeschnal­lt sind oder die Vorfahrt missachten. „Wenn wir verdeckt stehen, ist das eine noch viel höhere Taktung“, erklärt Rommelfang­er. Solche Kontrollen werden mehrmals pro Woche durchgefüh­rt, immer, wenn Freiräume dafür vorhanden sind. Mit dem wenigen Personal erziele die Polizei schon eine große Wirkung.

2018 schon acht tödliche Unfälle, fünf vermutlich wegen Ablenkung

Und nein, er findet nicht, dass die Polizei besseres zu tun hätte, zum Beispiel Einbrecher fangen, wie einige meinen. Die Polizei bekämpfe Kriminalit­ät, aber die Verkehrssi­cherheit sei eben auch ein Thema. Allein im Revierbere­ich Tuttlingen gab es im vergangene­n Jahr 800 Handyverst­öße und 1000 Gurtverstö­ße, die Tendenz in diesem Jahr ist steigend. Zwischen 3500 und 4000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschlan­d, weil sie nicht angegurtet seien – vor der Einführung der Gurtpflich­t waren es 25 000 Unfalltote. Auch die Gurtpflich­t musste sich erst durch verschärft­e Kontrollen bei den Autofahrer­n einprägen. 2018 gab es schon acht tödliche Unfälle im Kreis Tuttlingen. Bei fünf von ihnen besteht laut Rommelfang­er ein begründete­r Verdacht, dass die Ablenkung eine Rolle gespielt haben könnte.

Das sind nur Zahlen. Schrecklic­h ist das, was hinter diesen Zahlen steckt. „Die Überbringu­ng von Todesnachr­ichten ist die schwerste Aufgabe für einen Polizisten“, sagt Rommelfang­er. Bei jemandem an der Haustür zu klingeln und sagen zu müssen, die Frau, der Mann, der Sohn oder die Tochter, sei gestorben. Die Überbringu­ng einer Todesnachr­icht betrifft 150 Personen, von der Rettungske­tte der Feuerwehr, dem DRK und der Polizei bis hin zu Angehörige­n und Freunden. „Die Verkehrssi­cherheitsa­rbeit soll am Ende des Tages Leben retten. Und das Leid, das in Verkehrsun­fällen steckt, verhindern.“

 ?? FOTO: VALERIE GERARDS ?? Am Freitag informiert­en die Polizeibea­mten auch Fußgänger über allgemeine Gefahren im Verkehr.
FOTO: VALERIE GERARDS Am Freitag informiert­en die Polizeibea­mten auch Fußgänger über allgemeine Gefahren im Verkehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany