Auch Audi bläst zur Jagd auf Tesla
Der e-tron bringt mit zwei Elektromotoren 408 PS auf die Straße und kostet rund 80 000 Euro
J● ahrelang konnte Elon Musk in der Komfortzone kuscheln. Denn wie das Kaninchen vor der Schlange waren die etablierten Luxushersteller in eine Art Schockstarre verfallen und hatten den elektrischen Luxuslinern aus Kalifornien nichts entgegenzusetzen. Doch jetzt sind die hohen Herren offenbar aufgewacht: Nachdem Jaguar den iPace schon verkauft und Mercedes gerade den EQC enthüllt hat, reiht sich nun auch Audi ein in die Schar der TeslaJäger und lässt den e-tron von der Leine. Nach zwei Jahren PR-Gewitter und Vorspiel im Verkauf soll er noch Ende dieses Jahres zu einem Preis ab etwa 80 000 Euro in den Handel kommen.
Dafür erhält man – wie könnte es aktuell auch anders sein – einen schnittigen SUV, für den Audi seine Designsprache nur vorsichtig weiterentwickelt hat: Noch mal eine neue Spielart des ewigen SingleFrame-Grills, spektakuläre Scheinwerfer und ein Coupéheck wie ein Ufo sollen den Aufbruch in eine neue Zeit zeigen und trotzdem Millionen von Bestandskunden mitnehmen, sagt Designchef Marc Lichte.
Das gilt auch für den Innenraum des Hoffnungsträgers, der bei 4,90 Metern Länge und 2,93 Metern Radstand reichlich Platz vorn wie hinten sowie für bis zu 660 Liter Gepäck bietet. Denn im Prinzip kennt man das Interieur mit digitalem Cockpit und den beiden riesigen Touchscreens schon von Q8 & Co. Doch im e-tron wirkt das alles noch ein bisschen futuristischer, weil es anders beleuchtet ist, die Grafiken neu programmiert wurden und der Wählhebel für das Getriebe aussieht wie in einem Raumschiff.
Effiziente Raumausnutzung
Ganz neu im e-tron ist die effiziente Raumausnutzung. Denn anders als etwa Mercedes beim EQC machen die Bayern von den Vorteilen der elektrischen Architektur Gebrauch und schaffen damit zum Beispiel einen flachen Wagenboden ohne Kardantunnel, sodass die Hinterbänkler bequem füßeln können. Zwischen den Vordersitzen wartet eine Ablage beinahe größer als die Kommode daheim im Wohnzimmer, und unter dem Bug haben sie noch „Frunk“eingebaut: Dieser „Front-Trunk“umfasst 60 Liter Stauraum und ist damit groß genug zum Beispiel für das Ladekabel.
In Fahrt gebracht wird das Dickschiff von zwei Elektromotoren, die zusammen 408 PS (300 kW) leisten und – wie es sich für Audi gehört – bei Bedarf einen Quattroantrieb zur Verfügung stellen. Sie beschleunigen den e-tron in weniger als sechs Sekunden auf Tempo 100, und nur mit Rücksicht auf die Reichweite schaltet die Elektronik bei 200 km/h ab.
Gespeist aus einem stolze 95 kWh großen Akku im Wagenboden, kommt der e-tron auf dem Prüfstand mehr als 400 Kilometer weit. Damit er diesen Wert auch in der Praxis zumindest halbwegs erreicht, hat Audi alle Register gezogen: Es gibt eine aufwendige Rekuperation mit mehreren individuell einstellbaren Stufen, die rund 30 Prozent zur Reichweite beitragen soll. Jede Menge Leichtbau kommt zum Einsatz. Und vor allem hat der e-tron die windschnittigste Karosserie im Q-Stall der Bayern. Nicht umsonst haben die Designer den Kühlergrill nahezu komplett geschlossen, den Unterboden mit kleinen Dellen gespickt wie einen Golfball und zum ersten Mal bei einem Serienauto auf die Spiegel verzichtet. An deren Stelle prangen nun kleine Videokameras, die ihre Bilder auf Displays in den Türen übertragen. Und als wäre das noch nicht genug, kann man darauf sogar mit den Fingern zoomen und sich die Warnhinweise der Assistenzsysteme einblenden lassen. Umso unverständlicher ist es allerdings, dass der Innenspiegel noch aus konventionellem Glas ist. Den haben sehr viel weniger ambitionierte Hersteller schon längst durch Kameras ersetzt.
Auf dem Niveau der Konkurrenz
Nicht ganz so futuristisch wie der iPace, aber moderner als der EQC, wie immer ein faszinierendes Interieur und ein Design, das zumindest ein bisschen nach vorne weist, eine respektable Reichweite und Fahrleistungen auf dem Niveau der Konkurrenz – ob das für Audi reichen wird für die Pole-Position an der LuxusLadesäule, das wird die Zukunft zeigen müssen. Doch zumindest eines ist mit dem e-tron sicher: Die Zeit in der Komfortzone ist für Elon Musk bald endgültig abgelaufen.