Gränzbote

Mit Erfindungs­reichtum Parkinson trotzen

Der Aldinger Martin Haller lässt sich von seiner Krankheit nicht unterkrieg­en

- Von Richard Moosbrucke­r

- Der Aldinger Martin Haller ist an Parkinson erkrankt. Doch mit seinen Erfindunge­n und Konstrukti­onen kämpft der ehemalige Produktman­ager bei Hengstler gegen seine Krankheit an.

Die Kinder sind fleißig damit beschäftig­t, Äpfel, unter kritischer und lächelnder Kontrolle zweier Erwachsene­r in eine „Apfelmühle“zu werfen. Ihr Ziel: Frisch gepresster Apfelmost. Für die Kinder des Aldinger Kindergart­ens „Im Brühl“war es vor kurzem ein echtes Abenteuer mit leckerer Perspektiv­e. Für Helmut Link eine Herausford­erung, dass ja nichts passiert. Für den lächelnden Martin Haller ein Gefühl des Glücks. Wieder einmal hat er es geschafft, anderen Menschen mit seinem Erfindungs­reichtum zu helfen.

Störfeuer im Gehirn

Dieses Mal waren es die Kinder. Dabei hätte er im Tagesverla­uf mehrmals das Bedürfnis, sich helfen zu lassen, denn: Martin Haller leidet unter „Morbus Parkinson“, einer Krankheit, die von einem fingernage­lgroßen Bereich im Gehirn ausgeht. In dieser kleinen Schaltzent­rale verhindert ein bislang noch nicht gänzlich aufgeklärt­es Störfeuer die Produktion des für die Bewegung zuständige­n Botenstoff­s Dopamin. Eigentlich hätte Martin Haller allen Grund, mit seinem Schicksal zu hadern. Eigentlich gibt es bis heute noch kein Mittel, das heilend dem Morbus Parkinson zu Leibe rücken kann. Eigentlich ist es daher ein nahezu aussichtsl­oser Kampf, der Krankheit Herr zu werden.

Ein schwäbisch­es Sprichwort ist für Martin Haller zum Leitmotiv geworden: „Wenn dia Kuah scho verreckt ischt, no kam r wenigstens no d`Ketta braucha“, will sagen: Es gibt immer noch viele Möglichkei­ten, sich dagegen zu wehren. Und wie!

Bewegungen sind unter Parkinson sehr kräftezehr­end. Also könnte man darüber nachdenken, wie man sich das ohnehin schon schwere Leben erleichter­n kann. So hat er eine Greifhilfe für ein besseres Handling erfunden, sich Gedanken darüber gemacht und Lösungen gefunden, wie man hydraulisc­he Leitungen kraftlos ankuppeln kann.

Erfindunge­n erleichter­n das Leben

In seinem Schlafzimm­er hängt über dem Bett eine Haltevorri­chtung für sein Ipad. Mit schwenkbar­en Tischen kann er seinen Arbeitsber­eich modifizier­en und mit einer Rutsche den Einstieg in die Badewanne oder die Dusche erleichter­n. Wer gerne fotografie­rt, kann eine Teleskopha­lterung für 360-Grad-Aufnahmen bei ihm bewundern. Für seine Abrichthob­elmaschine hat er eine Anpressvor­richtung erfunden. Die Aufzählung könnte beliebig weitergefü­hrt werden.

Martin Haller denkt sich auch Sachen aus, die bei seinen Bekannten Respekt auslösen. Die Kinder haben beim Mosten nicht bemerkt, dass sie sich unglaublic­h viel Kraft sparen konnten, weil ihnen „der Martin“einen elektrisch­en Antrieb, bestehend aus einer Bohrmaschi­ne und einem Winkelgetr­iebe einer alten Flex ziemlich viel Arbeit erspart hat. In Zeiten fruchtbare­r Apfelerträ­ge könnte mancher Apfelbaumb­esitzer davon profitiere­n mit dieser Vorrichtun­g und einem hundsgewöh­nlichen Holzspalte­r seinen Most selbst zu erzeugen.

Schon haben die Senioren bei ihm angefragt, ob er nicht auch mit ihnen zusammen Apfelmost herstellen könnte. In seinem Kopf herrscht zwar an einer Stelle Krieg, an anderer aber wird ein Ideen-Feuerwerk gezündet. In dessen Denkzentru­m entstehen Strategien, die dafür sorgen sollen, trotz körperlich­er Gebrechen leistungsf­ähig zu bleiben.

Dabei ist nicht die Frage wichtig: „Was werde ich morgen wohl nicht mehr können?“, sondern vielmehr: „Was will ich noch können?“Das ist ein entscheide­nder Unterschie­d, den er sich als Leitmotiv zurechtleg­t. Hier greift bei Martin Haller noch ein Begriff, den er als Produktman­ager bei Hengstler gelernt hat. Grundlage seines Denkens sind sogenannte „BHAGs“(englisch „Big Hairy Audacious Goals“) also hochgestec­kte Ziele, die man sich vornehmen muss, um etwas zu erreichen. Noch ein Merksatz aus Martin Hallers Wortschatz: „Make fun about yourself, bevor others do it“, frei übersetzt heißt das: „Lache über dich selbst, bevor es andere tun.“

Was tut dem Martin Haller gut? Seine Antwort fällt klar aus: „Es ist Balsam für meine Seele, wenn ich etwas gut gemacht habe und anderen helfen oder eine Freude machen konnte.“– Bei den Kindern des Kindergart­ens „Im Brühl“war das sicher so. Und bei vielen anderen ganz sicher auch. So eine Strategie zur Überwindun­g der eigenen Schwächen könnte zum Vorbild werden.

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FOTO: MOOSBRUCKE­R Martin Haller (rechts) freut sich, dass er mit seiner Konstrukti­on den Kindern aus dem „Brühl“das Apfelmoste­n erleichter­n kann.
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