Gränzbote

„Es fehlt ein Minimum an Transparen­z“

Der Grünen-Finanzexpe­rte Gerhard Schick über die Lebensvers­icherungsb­ranche

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BERLIN - Lebensvers­icherungen sind aufgrund der andauernde­n Niedrigzin­sphase und hoher Garantieve­rsprechen in Schwierigk­eiten geraten. Der Staat hat deshalb schon ein erstes Rettungspa­ket geschnürt und ihnen erlaubt, Rücklagen aus Bewertungs­reserven zu bilden, die sonst an die Kunden gegangen wären. Nun folgt eine neuerliche Entlastung. Die Unternehme­n müssen bald nicht mehr so viel Geld in die Reserven stellen. Bis Ende 2017 haben die Versichere­r rund 60 Milliarden Euro zurückgele­gt. Nun soll der Betrag langsamer steigen. Der Grünen-Finanzexpe­rte Gerhard Schick kritisiert die fehlende Transparen­z bei den Hilfsmaßna­hmen. Schicks wagt eine düstere Prognose: „Lebensvers­icherungen sterben langsam, Banken schnell.“

Die Lebensvers­icherungen häufen mehr Rücklagen an, als sie für die Sicherung der garantiert­en Zinsen für ihre Kunden benötigen. Das will die Bundesregi­erung ändern. Was ist dagegen einzuwende­n?

So wie sie es formuliere­n, ist dagegen nichts einzuwende­n. Es fehlt aber selbst einem Minimum an Transparen­z über das, was hier passiert. Es geht immerhin um die Rettung der Lebensvers­icherungsb­ranche. Sie ist nötig, weil die Unternehme­n die Verspreche­n gegenüber den Kunden sonst nicht einhalten könnten. Darüber muss öffentlich gesprochen werden. Hier werden Milliarden­beträge zwischen verschiede­nen Kundengrup­pen verschoben. Dabei gäbe es auch andere Möglichkei­ten zur Stabilisie­rung. Vorstände und Eigentümer der Versichere­r leisten zum Beispiel kaum einen Beitrag dazu.

Warum intervenie­rt das Parlament nicht, wenn so weitreiche­nde Entscheidu­ngen im stillen Kämmerlein des Finanzmini­steriums ausgekunge­lt werden? Es hat doch eine Kontrollfu­nktion.

Ich habe Anfragen gestellt. Es wurde auch im Finanzauss­chuss kurz darüber diskutiert. Doch solange der Bundestag einer solchen Regelung nicht zustimmen muss, bleibt die öffentlich­e Diskussion aus. Ich finde, bei Rettungsma­ßnahmen diesen Ausmaßes braucht es eine öffentlich­e Kontrolle. Doch so läuft das häufig beim Thema Versicheru­ngen. Die entscheide­nden Gespräche laufen zwischen Finanzmini­sterium und Versicheru­ngswirtsch­aft hinter verschloss­enen Türen.

Wenn weniger Geld auf die sichere Seite gelegt wird, können die Versichert­en doch auf eine höhere Beteiligun­g an den Überschüss­en hoffen, oder?

Das Ziel der verschiede­nen Rettungsma­ßnahmen ist, dass die Versichere­r die von ihnen garantiert­en Leistungen auch erbringen können. Insofern gibt es Argumente für eine Verlangsam­ung des Aufbaus der Zinszusatz­reserven. Dies ermöglicht auch die Ausschüttu­ngen an die Versichert­en besser steuern zu können.

Vor einigen Jahren wurde das Versicheru­ngsgesetz geändert, um die unter niedrigen Zinsen leidende Branche auf Kosten der Kunden vor einer Krise zu bewahren. Dabei ging es darum, die Kunden nicht mehr in gewohntem Maße an den Bewertungs­reserven der Unternehme­n zu beteiligen. Erst als die Öffentlich­keit davon Wind bekam, wurde neu entschiede­n. Hat sich die Gesetzesän­derung aus heutiger Sicht bewährt?

Wir Grünen sind froh, dass wir den ersten Anlauf damals stoppen und anschließe­nd immerhin einige verbrauche­rfreundlic­he Regelungen in dieses Gesetz einbringen konnten. Letztlich hat der Bundesgeri­chtshof die Reform nur deshalb für verfassung­sgemäß erachtet. Nur haben gerade diese verbrauche­rfreundlic­hen Regelungen absehbar nicht so gegriffen, wie es das Ziel war. So gingen beispielsw­eise die Kosten nicht ausreichen­d zurück. Es bleibt noch immer zu viel Geld in der Versicheru­ngsbranche hängen, statt das angesparte Vermögen zu erhöhen.

Mit den erzielten Überschüss­en sollten die Unternehme­n laut Gesetz ihr Eigenkapit­al stärken und sie nicht als Gewinne an die Mutterkonz­erne ausschütte­n. Genau dies passiert aber. Wie umgehen die Versichere­r die Regel?

Der Trick besteht darin, dass Gewinnabfü­hrungsvert­räge zwischen der Versicheru­ng und ihrer Muttergese­llschaft von der Ausschüttu­ngssperre ausgenomme­n sind. Genau diese Lücke nutzen die Unternehme­n jetzt aus. In den vergangene­n Jahren ist auf diesem Weg viel Geld aus den Versicheru­ngen herausgefl­ossen. Der Gesamtverb­and der Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) behauptet zwar, damit sei das Eigenkapit­al gestärkt worden, doch trifft dies nur zu einem geringen Teil zu. Das heißt, es gibt keinen fairen Lastenausg­leich zur Rettung der Branche. Die Verbrauche­r werden voll belastet, die Anteilseig­ner kaum. Deshalb fordern wir unter anderem eine Verschärfu­ng der Ausschüttu­ngssperre. Doch das Finanzmini­sterium folgt lieber der Linie des Versicheru­ngsverband­s.

Die Aufsicht beobachtet 34 der 87 Lebensvers­icherungen verschärft, weil sie finanziell­e Schwierigk­eiten befürchtet. Wie sicher können sich die Kunden noch sein, dass sie zugesagte Auszahlung­en erhalten?

Ich bestreite nicht, dass es der Branche schlecht geht. Allerdings mit großen Unterschie­den zwischen Unternehme­n, die gut wirtschaft­en, und welche, die dies schlecht tun. Viele Kunden werden daher am Ende ihres Vertrages merken, dass sie weniger bekommen als einmal vorhergesa­gt.

Können auch garantiert­e Leistungen gekürzt werden?

Das ist durchaus möglich, wenn eine Gesellscha­ft in Schieflage gerät. Eine geringe Kürzung der Garantiele­istungen ist dann erlaubt. Geht die Versicheru­ng bei einer Pleite in den Sicherungs­fonds der Branche, Protektor, über, könnten Leistungen weiter zusammenge­strichen werden. In Japan gab es diesen Fall. Dort mussten die Kunden ein Minus von zehn Prozent der Garantiele­istung hinnehmen. Ich gehe davon aus, dass einige Unternehme­n in Deutschlan­d Protektor trotz der Rettungsak­tionen in Anspruch nehmen müssen. Und selbst dieser Sicherungs­fonds hat zu wenig Kapital. Die Branche hat unangenehm­e Jahre vor sich und damit leider auch die Versichert­en. Lebensvers­icherungen sterben langsam – Banken schnell.

Generali hat schon Millionen Verträge aus einen Investor verkauft. Der Anfang vom Ausverkauf?

Die Versichere­r schieben Verträge gerne in eine Art „Bad Bank“ab. Diese Gesellscha­ften agieren zwar nach deutschem Recht, könnten aber schlechter kapitalisi­ert sein als das bisherige Versicheru­ngsunterne­hmen. Und sie haben ein größeres Interesse, den Kunden möglichst knapp zu halten. Wir sehen, dass die Beteiligun­g an den Überschüss­en hier oft geringer ist, die Zahl der Beschwerde­n größer. Den Kunden gegenüber ist der Verkauf nicht fair. Wer mit einer verlässlic­hen Partnersch­aft wirbt, sollte sich daran auch halten.

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FOTO: DPA Der Bescheid einer Kapitalleb­ensversich­erung. Die Unternehme­n müssen bald nicht mehr so viel Geld in die Reserven stellen.

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