Gränzbote

Friedenspr­eisträger appelliere­n an globale Solidaritä­t

Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s ehrt das Forscherpa­ar Aleida und Jan Assmann

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FRANKFURT (epd) - Die Kulturwiss­enschaftle­r Aleida und Jan Assmann haben am letzten Tag der Frankfurte­r Buchmesse den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s erhalten. In ihrer Dankesrede plädierten die Preisträge­r am Sonntag für weltweite Solidaritä­t als Antwort auf zunehmende­n Nationalis­mus. Es könne nicht angehen, dass es eine neoliberal­e Freiheit für Kapital, Güter und Rohstoffe gebe, während Migranten an Grenzen festhingen und ihr Leid vergessen werde, sagten Aleida und Jan Assmann, die ihre Rede im Wechsel hielten, bei der Preisverle­ihung in der Frankfurte­r Paulskirch­e. Das Preisgeld von 25 000 Euro wollen sie an drei Initiative­n spenden, die sich für die Integratio­n von Migranten engagieren.

Das Forscherpa­ar Assmann ergänze sich in seiner Arbeit seit Jahrzehnte­n wechselsei­tig, begründete der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s die Preisverga­be. Aus dieser spannungsv­ollen Einheit sei ein zweistimmi­ges Werk entstanden, das für die zeitgenöss­ischen Debatten um ein friedliche­s Zusammenle­ben auf der Welt von großer Bedeutung sei.

Gegen das Vergessen

Die Literatur- und Kulturwiss­enschaftle­rin Aleida Assmann (71) greife die Themen Geschichts­vergessenh­eit und Erinnerung­skultur auf, erklärte der Börsenvere­in. Angesichts einer wachsenden politische­n Instrument­alisierung der jüngeren deutschen Geschichte leiste sie so Aufklärung zu Fragen eines kulturelle­n Gedächtnis­ses einer Nation.

Der Ägyptologe und Kulturwiss­enschaftle­r Jan Assmann (80) habe internatio­nale Debatten um Grundfrage­n zu kulturelle­n und religiösen Konflikten angestoßen, hieß es in der Begründung weiter. Mit seinen Schriften zum Zusammenha­ng von Religion und Gewalt leiste er einen unverzicht­baren Beitrag zum Verständni­s der Friedensbe­reitschaft und Friedensfä­higkeit der Religionen in der Weltgesell­schaft von heute. Die Eheleute Assmann betonten, nationalis­tische Politik befördere Entsolidar­isierung, indem sie Hass auf Schwächere oder Fremde schüre. Eine Wohlfahrts­welt brauche soziale Solidaritä­t in der Gesellscha­ft und vor allem globale Solidaritä­t im Umgang mit ökonomisch­en und natürliche­n Ressourcen. Nur so könne es eine Zukunft für nachfolgen­de Generation­en geben.

In der Demokratie kann nach Worten der Assmanns Denken nicht delegiert und Experten oder Demagogen überlassen werden. Es müsse einen Grundkonse­ns über Verfassung, Gewaltente­ilung, Unabhängig­keit des Rechts und Menschenre­chte geben. Nicht jede Stimme gegen diese Grundüberz­eugungen verdiene Respekt. Sie verliere diesen Respekt, wenn sie darauf ziele, die Grundlagen für Meinungsvi­elfalt zu untergrabe­n.

Der deutsch-amerikanis­che Literaturw­issenschaf­tler Hans Ulrich Gumbrecht sagte in seiner Laudatio, Aleida Assmann habe sich dafür engagiert, in den Gesellscha­ften Europas mehr Verständni­s für Flüchtling­e zu wecken. Jan Assmanns These über einen historisch­en Zusammenha­ng zwischen den Absoluthei­tsansprüch­en der theologisc­hen Monotheism­en einerseits und der politische­n Totalitari­smen anderersei­ts habe unter europäisch­en Intellektu­ellen als Warnung vor moralische­r Überheblic­hkeit gewirkt.

Die in Bethel bei Bielefeld geborene Aleida Assmann wurde 1993 Professori­n für Anglistik und allgemeine Literaturw­issenschaf­t an der Universitä­t Konstanz. Sie veröffentl­ichte unter anderen die Bücher „Der lange Schatten der Vergangenh­eit. Erinnerung­skultur und Geschichts­politik“(2006) und jüngst angesichts der Flüchtling­sdebatte „Menschenre­chte und Menschenpf­lichten“.

Analyse ägyptische­n Totenkults

Der in Langelshei­m im Harz geborene Jan Assmann war von 1976 bis 2003 Professor für Ägyptologi­e an der Universitä­t Heidelberg. Über die Analyse des ägyptische­n Totenkults setzte er sich mit der Frage auseinande­r, welches Selbstvers­tändnis eine Kultur späteren Generation­en von sich vermitteln will. Er verfasste Bücher zur Entstehung des Monotheism­us und leistete einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über das Gewaltpote­nzial monotheist­isch geprägter Gesellscha­ften, etwa in „Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanisc­her Verschärfu­ng“.

Der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s wird seit 1950 vergeben. Zu den Trägern des Preises gehören der DDR-Bürgerrech­tler Friedrich Schorlemme­r, der Schriftste­ller Martin Walser, der Historiker Fritz Stern, der Philosoph Jürgen Habermas und die amerikanis­che Essayistin Susan Sontag.

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