Verlierer Bouffier bleibt Ministerpräsident
Berliner GroKo-Parteien CDU und SPD auch in Hessen im Sinkflug – Nahles stellt Ultimatum
WIESBADEN/BERLIN - Dramatische Verluste für CDU und SPD in Hessen, die Grünen bleiben im Höhenflug: Nach der Landtagswahl am Sonntag bleibt die CDU von Volker Bouffier trotz zweistelliger Verluste stärkste Kraft und der 66-Jährige trotz der Einbußen voraussichtlich Ministerpräsident. Die Grünen erzielten, wie bereits vor 14 Tagen in Bayern, ein Rekordergebnis. Die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Thorsten SchäferGümbel verlor ebenfalls zweistellig. FDP und Linke verbesserten sich im Vergleich zu 2013, die AfD zog auch in das 16. Landesparlament ein.
Wahlverlierer Bouffier sagte, das Ergebnis sei trotz der Verluste für die CDU „ein klarer Auftrag, auch die nächste Regierung anzuführen“. Für das schwache Ergebnis machte er die Streitereien in der Großen Koalition im Bund mitverantwortlich. Das habe „alles überlagert“. Die Grünen hätten profitiert von der Missstimmung in Berlin. Deren Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir erklärte: „Wir sind die Gewinner dieses Wahlabends.“
Den Hochrechnungen am späten Abend zufolge erzielte die CDU etwa 27,0 der Stimmen, während die SPD auf nur noch 20,0 Prozent abstürzte. Die Grünen erreichten ein Rekordergebnis von 19,6 Prozent, die FDP kam auf 7,7 Prozent und die Linke auf 6,2 Prozent, während die AfD mit 13,2 Prozent auch den Einzug in den letzten der 16 Landtage der Republik erreichte.
CDU und Grüne hätten diesen Hochrechnungen zufolge im Wiesbadener Landtag keine gemeinsame Mehrheit mehr. Auch für eine Koalition von CDU und SPD würde es demnach sehr eng. Stabil wäre nur ein Jamaika-Bündnis von CDU, Grünen und FDP. FDP-Chef Christian Lindner signalisierte die Bereitschaft seiner Partei, Regierungsverantwortung zu übernehmen.
In der CDU-Zentrale in Berlin herrschte nüchterne Stimmung, das Gefühl tendierte zu „wir sind noch einmal davongekommen“. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, es sei zum einen schmerzhaft, dass man viele Stimmen eingebüßt habe. Zum anderen aber könne man in Hessen weiter regieren. Die Ergebnisse lägen mit Sicherheit am Erscheinungsbild der GroKo, räumte sie ein. CDU-Vize Thomas Strobl wurde deutlicher: „Für meine Partei ist dieses Ergebnis erneut ein schwerer Nackenschlag“, sagte der Chef der Südwest-CDU. „Das ist ein Preis, den wir für die Berliner Aufführungen der vergangenen Wochen und Monate zahlen.“
Die GroKo-Kritiker in der SPD fühlten sich am Sonntag bestärkt. „Wir müssen raus aus der Großen Koalition und zwar ohne Wenn und Aber“, sagte die Ulmer SPD-Linke Hilde Mattheis der „Augsburger Allgemeinen“. Auch der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert zweifelte am Regierungsbündnis: „Unter den Bedingungen, unter denen wir in Berlin arbeiten, kann die SPD in keinem Bundesland einen Fuß auf die Erde bekommen.“
SPD-Chefin Andrea Nahles wies die Schuld am Verlust in Hessen der Bundespolitik und insbesondere der Union zu. Sie stellte dieser ein Ultimatum. „Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel“, sagte Nahles. Die Koalition müsse nun einen „verbindlichen Fahrplan“für die nächsten Monate vorlegen. Falls dessen Umsetzung bis zur Halbzeitbilanz nicht gelinge, müsse die SPD überlegen, ob sie in der Koalition noch „richtig aufgehoben“sei. ●
WIESBADEN/BERLIN (dpa) - Der Höhenflug der Grünen rettet Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier wohl das Amt – obwohl dessen Partei von den Wählern eine heftige Ohrfeige kassiert hat.
Bei den hessischen Grünen kennt die Freude keine Grenzen, als um 18 Uhr die ersten Prognosen kommen: Tosender Jubel, rhythmisches Klatschen und laute Pfiffe tönen aus dem Fraktionssaal bis über den Landtagshof in Wiesbaden. Fünf Minuten später stehen Servierwagen mit Sektgläsern bereit.
Der Jubel wird noch lauter, als die Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir und Priska Hinz um kurz nach halb sieben im Fraktionssaal sprechen. „Das ist ein historisch tolles Wahlergebnis“, ruft Hinz der dicht gedrängten Menschenmenge zu. „So grün war Hessen noch nie“, ergänzt Al-Wazir, der in seinem Offenbacher Wahlkreis das Direktmandat holte. Das Wahlergebnis sei auch ein Auftrag an die Grünen, weiterzumachen.
Es sieht danach aus, dass es so kommen wird – auch wenn am Abend lange offen bleibt, ob es für Schwarz-Grün noch einmal reicht oder doch Gespräche über ein Jamaika-Bündnis nötig werden.
Im Gegensatz zur Euphorie bei den Grünen löst sich auf der Wahlparty der CDU die Anspannung nur langsam. „Alles wird gut“, „Das reicht“und „Wird schon werden“, lauten die Kommentare, als die Balken der ersten ARD-Hochrechnungen eine knappe Mehrheit für die bisherige schwarz-grüne Regierung zeigen. Erst als CDU-Spitzenmann Bouffier kurz darauf bei seinen Parteifreunden im Wiesbadener Fraktionssaal vorbeikommt, brandet erleichterter Applaus auf. „Wir werden erneut den Anspruch erheben, die Landesregierung in Hessen anzuführen“, verkündet der amtierende Ministerpräsident.
Die Aussagen Bouffiers und AlWazirs klingen wie erste Signale für eine Neuauflage von Schwarz-Grün – wenn es denn reicht. Auf dem Prüfstand steht jetzt vor allem, wie dick die Männerfreundschaft zwischen den beiden Spitzenpolitikern ist. Fast fünf Jahre arbeitete das anfangs kritisch beäugte Bündnis zwischen Konservativen und Ökopartei nahezu geräuschlos. Sollten die Grünen das Bündnis erneuern, werden ihre Unterhändler bei der Ressortverteilung Ansprüche erheben. Bislang haben die Grünen zwei Ministerien – da dürfte der Zuwachs bei den Prozentpunkten Begehrlichkeiten wecken. Ein neuer Koalitionsvertrag dürfte deutlich stärker grün geprägt sein, mit mehr Akzenten des kleineren Partners etwa bei der Umweltund Verkehrspolitik.
Für die Grünen läuft es einfach. Als Al-Wazir kurz vor der Wahl den Grünen-Vorstand in Berlin besuchte, stellte er fest: „Wir haben so viel Rückenwind momentan von die Bundesebene aus wie noch selten.“Die hessischen Spitzenkandidaten mussten nicht mühsam gegen den Bundestrend anschwimmen wie ihre Kollegen aus CDU und SPD. Sie konnten die Hype-Welle reiten. Und die zwischenzeitliche Aussicht, dass Al-Wazir neben Winfried Kretschmann der zweite grüne Ministerpräsident werden könnte, ließ die Partei bundesweit noch ein wenig mehr schillern.
Nach den 17,5 Prozent in Bayern schaffen die Grünen den zweiten Rekord innerhalb von zwei Wochen. Bei den jungen Wählern unter 30 werden sie in Hessen Analysen zufolge gar stärkste Kraft. Diesel und Klimaschutz, zwei Lieblingsthemen der Partei, treiben die Menschen um. Dazu haben sie es geschafft, sich als Anti-AfD zu positionieren.
Trotzdem geben sich die Köpfe der Bundesgrünen redlich Mühe zu signalisieren: Wir bleiben auf dem Teppich, Hype hin oder her. Radikal in der Problemanalyse, pragmatisch in der Problemlösung, so wollen sie wahrgenommen werden. Der Spruch „Vernunft statt Populismus“der Wahlkämpfer in Hessen passte bestens zum Staatstragend-und-ÖkoKurs, auf den die Co-Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock die Bundespartei trimmen. Die beiden Landtagswahlen haben die noch recht neuen Parteivorsitzenden gestärkt. Der Jubel beim Bundesparteitag im November in Leipzig dürfte ihnen sicher sein. Dass es mit dem Mitregieren mit der CSU in Bayern nicht klappte, erspart ihnen auch schmerzhafte Kompromisse. Falls Koalitionsverhandlungen in Hessen kompliziert werden sollten, könnte das aber der erste Test für das neue, gut gelaunte Geschlossenheits-Image der Grünen werden.
FDP will Al-Wazirs Ministerium
Und kompliziert dürfte es vor allem dann werden, wenn es tatsächlich nicht reicht für Schwarz-Grün, sondern die FDP als Partner ins Boot geholt werden muss, um in Wiesbaden auf eine Mehrheit zu kommen. Zwar haben die Liberalen im Wahlkampf deutlich zu verstehen gegeben, dass sie in Hessen wieder regieren wollen und dabei auch bereit sind, eine grüne Kröte zu schlucken. Unter Wert verkaufen will sich die FDP allerdings nicht. FDP-Spitzenkandidat René Rock kündigte schon lange vor dem Schließen der Wahllokale an, dass die FDP bei einer Regierungsbeteiligung den Anspruch auf das prestigeträchtige Wirtschaftsministerium erhebt. Dort sitzt bislang der Grüne Al-Wazir auf dem Chefsessel – und er hatte in den vergangenen Jahren sichtlich Spaß an dem Job.
Fraglich ist zudem, ob auch ein Trio wie bislang das Duo ohne öffentliche Streitereien auskommen würde. Oder ob dann gilt: Drei sind einer zu viel.