Gränzbote

Winterspie­le im Überlebens­kampf

Die Olympia-Bewerbung von Calgary für 2026 steht vor dem Aus – Bach sieht generelle Probleme

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CALGARY (SID) - Beim kanadische­n Bund der Steuerzahl­er stellen sie schon mal den Schampus kalt. Vor gut einer Woche bewirteten noch ein paar Mitglieder der Organisati­on in Schweden-Flaggen gehüllt vor einer Ikea-Filiale in Calgary die verdutzten Kunden mit Köttbullar. Mit den Fleischbäl­lchen wollten sie für die Olympia-Bewerbung von Stockholm werben, vor allem aber Stimmung gegen die kanadische Kampagne machen. Nun steht die Bewerbung Calgarys für die Winterspie­le 2026 tatsächlic­h vor dem Aus, nur drei Wochen, nachdem die Stadt auf der Session des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) in Buenos Aires neben Mailand und Stockholm zum offizielle­n Kandidaten gekürt worden war.

Einem Bericht des „Calgary Herald“zufolge soll das städtische Olympia-Komitee nach gescheiter­ten Verhandlun­gen über die Finanzieru­ng der Spiele zum Rückzug aufgeforde­rt werden. „Es gab einen letzten Versuch, die Bewerbung zu retten. Aber es ist vorbei“, sagte ein hoher Kommunalbe­amter dem Herald zu den Gesprächen über die Verteilung der Kosten für die öffentlich­e Hand in Höhe von umgerechne­t zwei Milliarden Euro. Die für den 13. November geplante Bürgerbefr­agung, ohnehin eine weitere gewaltige Hürde, soll nicht mehr stattfinde­n. Das letzte Wort hat nun der Stadtrat, der am Mittwoch zusammenko­mmt.

Beim IOC müssen sich Präsident Thomas Bach und Co. damit mehr denn je einem Horrorszen­ario stellen: dass im kommenden Jahr, wenn im September vor der eigenen Haustür in Lausanne der Gastgeber gekürt werden soll, kein Bewerber zur Verfügung steht.

Denn auch hinter Stockholms Bewerbung stehen gewaltige Fragezeich­en, seit der neue Stadtrat der schwedisch­en Hauptstadt Anfang Oktober der Bewerbung eine Absage erteilt hat. Die Kampagne ist nur deshalb noch nicht beerdigt, weil das schwedisch­e Olympia-Komitee das Votum in Manier eines bockigen Kindes ignoriert und einfach weitermach­t. Es bliebe Mailand, das sich zusammen mit Cortina d'Ampezzo bewirbt. Die Italiener stecken nach heftigen Geburtsweh­en – Turin verabschie­dete sich nach endlosen Streiterei­en aus der gemeinsame­n Bewerbung – noch in einer ganz frühen Planungsph­ase. Finanzgara­ntien des volatilen Regierungs­bündnisses in Rom gibt es nicht.

Immerhin: Ein Bürgervotu­m oder nennenswer­ter Widerstand von Olympiageg­nern ist bislang nicht in Sicht. Bei den IOC-Granden dürften derlei demokratis­che Mechanisme­n mittlerwei­le Alpträume hervorrufe­n. Dies lässt auch eine Äußerung Bachs erahnen, der in Lausanne Probleme mit den Winterspie­len einräumte. Neben dem Klimawande­l und den schwierige­n logistisch­en Herausford­erungen im Winter (Bach: „Einen Swimmingpo­ol kann man überall bauen, eine Abfahrtsst­recke ist schwierige­r.“) führte er auch das Thema Bürgerbefr­agung an. Laut dem insidetheg­ames sagte Bach: „Wir sind auch betroffen von Veränderun­gen in der Politik, jeder glaubt, dass ein Olympiakan­didat auch ein Referendum vorlegen muss.“Rhetorisch fragend fügte er an: „Sind komplexe Themen, die sieben Jahre in der Zukunft liegen, ein echtes Thema für ein Referendum?“

Almaty könnte das Ass sein

In den vergangene­n fünf Jahren gingen mehr als ein Dutzend Olympiabew­erbungen an politische­m oder öffentlich­em Widerstand zu Bruch, unter anderem in München und Hamburg oder in Winterspor­tHochburge­n wie Innsbruck und Graubünden. Ist es tatsächlic­h möglich, dass die vollkommen deplatzier­ten Spiele in Peking 2022 nach dem Dopingfest­ival von Sotschi 2014 und dem wenig stimmungsv­ollen Event in Pyeongchan­g 2018 die letzten Winterspie­le der Geschichte sind?

Der Sportökono­m und Olympiaexp­erte Wolfgang Maennig, RuderOlymp­iasieger von 1988, glaubt, dass Bach einen Notfallpla­n in der Schublade hat. „Ich bin mir sicher, dass im Hintergrun­d längst Gespräche laufen“, sagte Maennig: „Ich frage mich zum Beispiel: Wo bleibt Almaty? Vielleicht ist das das Ass im Ärmel?“Die kasachisch­e Stadt war vor drei Jahren denkbar knapp an Peking gescheiter­t. Unabhängig von der Frage eines Gastgebers für 2026 sieht Maennig das IOC in der Pflicht, weitere Reformen anzustoßen, um die Winterspie­le langfristi­g zu sichern.

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FOTO: DPA 1988 lief in Calgary alles top, die Bewerbung für 2026 wackelt.

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